I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 209


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Herausgeber: Salg Geis.
6. Jahrgang.
Donnerstag, den 7. Tewes 5669 (31. Dezember 1908).
Nr. 51.
Inhalt des Hauptblattes.
doch in ihr eine Sehnsucht nach glanzvollem
wirklicht wähnte. Schon als Zwanzigjähriger hatte
Leben, ein unbändiger Hang nach Abenteuern.
Artikel: Die Juden in Schnitzlers neuestem
Heinrich seinem vertrauensseligen Vater sein
Roman.
Brief aus Ungarn
Aus aller
Kein Wunder, daß sie mit einem der verhaßten
Schicksal vorausgesagt, genau so, wie es sich
Welt. — Personalien. — Aus der Lehier¬
Besitzenden, mit dem schönen Kavalier Demeter
später erfüllen sollte: „Nach einer kurzen Epoche
welt. — Feuilleton: Ene versunkene Welt.
Stanzides, auf einige Zeit eine „Hochzeitsreise“
der Beliebtheit und des Erfolges hatte das An¬
Wochen=Kalender. — Familiennachrichten.
Barmizwohs.
nach Italien macht. Soll das ihr Weg ins
wachsen der antisemitischen Bewegung ihn aus
Freie sein?
der deutsch=liberalen Partei gedrängt, die meisten
Einheitlicher, konsequenter ist ihr Bruder Leo,
Freunde hatten ihn verlassen und verraten, und
Die Juden in Schnitzlers neuestem
der Zionist, dessen Werdegang der Autor leider
ein Kouleurstudent, der die Tschechen und Juden
Roman.
zu schildern unterläßt. Er deutet nur an, daß
als die gefahrlichsten Feinde deutscher Zucht und
Von Dr. Marek Scherlag=Wien.
Leo, der anfangs nach keinem sicheren Ziel ging
Sitte hinstellte, daheim seine Frau prügelte, und
(Schluß).
und unbewußt auf Wunder zu warten liebte,
einen Mägden nachstellte, war sein Nachfolger
erst durch seine Erlebnisse auf dem Basler Zio¬
geworden.“
Den Gegensatz zu der emporgekommenen
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nistenkongreß zu einem überzeugten Zionisten
Familie Ehrenberg bildet die herabgesommene Fa¬
Der einst gesuchte Advokat verlor auch seine
wurde. Hier ward er sich bewußt, welchen Weg
milie Glogovski. Der alte Clogovskf hatte Pech,
Klienten und steuerte so dem Verfall zu. Heinrich
er einzuschlagen habe, um ins Freie zu gelangen.
sein Geschäft ging zugrunde, aus i Rathaus¬
mußte seine juristischen Studien aufgeben, um
viertel mußte er in die Leopoldstadt übersiedeln
Der Dichter läßt ihn diese Erlebnisse seinen
den Seinen durch journalistische Tagesarbeit zu
und Vermittler für alles werden. Daß er die
Freunden, dem Christen Georg v. Wergenthin und
Hilfe kommen. Seine Erfolge fanden in dem
dem Juden Heinrich Bermann erzählen und den
meiste Zeit in den Kaffeehäusern saß und den
verdüsterten Hause der Heimat kein Echo mehr.
Eindruck schildern, den die Kongreßteilnehmer auf
Schachspielern zusah, geschah nur, weil er bei
Der Vater verfiel in Wahnsinn, die Schwester,
hn genommen haben. „In diese Menschen, die
diesem billigen Vergnügen den Niedergang seines
die sich in einen Provinz=Don=Juan verliebte,
Daseins vergessen konnte. Seinen Kindern gegen¬
er zum erstenmal in der Nähe gesehen, war die
n Schwermut.... Und Heinrich saß in Wien
über war er seit dem Ruin befangen und schüch¬
Sehnsucht nach Palästina nicht künstlich hinein¬
und pflegte von den Seinen in einem Ton
tern. Die Frau Glogovski fügte sich leichter in
getragen; in ihnen wirkte sie als ein echtes.
zu erzählen, der „wie aus Zärtlichkeit und Wider¬
die geänderten Verhältnisse, verfertigt Handarbei¬
nie erloschenes und nun mit Notwendigkeit neu
villen, aus Gefühlen der Anhänglichkeit und von
aufflammendes Gefühl. Daran konnte keiner zwei¬
ten zum Verkauf oder sucht nach einer Wohnung
Losgerissensein“ gemischt war. ... Er lehnt sich
feln, der, wie er, den heiligen Zorn in ihren
für ein illegitimes, allerdings befreundetes Paar:
dagegen auf, sich mit irgend einer Gemeinschaft
Blicken hatte aufleuchten sehen, als ein Redner
Georg v. Wergenthin und Anna Rosner. Die
usammengehörig zu fühlen, läßt weder National¬
Tochter Therese will Schauspielerin werden und
erklärte, daß man die Hoffnung auf Palästina vor¬
gesühl noch Religion gelten, so sagt er wenig¬
läufig aufgeben und sich mit Ansiedlungen in
gibt Unterricht in französischer Sprache. Da er¬
stens. Etwas Reales bedeutet für ihn nur die
Afrika begnügen müsse. Ja, alte Männer, nicht
weckt in ihr ein junger Russe Interesse für Po¬
Heimat, und aus seinem Heimatsgefühl will er
etwa ungebildete, nein, Gelehrte, weise Männer
litik. Sie schwört der Kunst ab, und gerät ins
ein Heimatsrecht ableiten. Da man ihm dies be¬
hatte er weinen gesehen, weil sie fürchten mu߬
Fahrwasser der sozialdemokratischen Agitation. Als
treitet, empört er sich, vermag aber der Ver¬
ten, daß das Land ihrer Väter, das sie, auch
frische und verwegene Rednerin läßt sie sich in
olgung und Beschimpfung der Ueberzahl nichts
bei Erfüllung der kühnsten zionistischen Pläne,
einer Versammlung zu einer angeblich verletzen¬
anderes entgegenzusetzen, als eine Erbitterung, Er¬
doch keineswegs mehr selbst hätten betreten kön¬
den Aeußerung gegen eine hochstehende Persön¬
mattung und Verwirrung der Gefühle. Wird er
lichkeit hinreißen, wird angeklagt und erst frei¬
nen, sich vielleicht auch ihren Kindern und Kin¬
daraus den Ausweg finden? Der Zionismus lockt
deskindern niemals erschließen würde.“
gesprochen, dann verurteilt und muß zwei Mo¬
ihn nicht.
nate absitzen.
Bei Leo Glogovski hat man die Empfindung,
Als moralisches Prinzip und als Wohlfahrts¬
Vergebens warnt der alte Ehrenberg die
daß es ihm mit seinem Zionismus ernst ist,
aktion will er ihn gelten lassen, aber die Idee
junge Sozialistin, die ihren Bruder Leo, der
wiewohl ihn der Autor nicht als den tätig wir¬
der Errichtung des Judenstaates erscheint ihm
Zionist ist, bespöttelt, nicht restlos der Sozial¬
kenden Zionisten zeichnet. Während seine Schwe¬
wie eine Auflehnung gegen den Geist der
ge¬
demokratie zu trauen. „Ich versichere Sie, The¬
ster Versammlungen der Sozialisten besucht und
chichtlichen Entwicklung. Freilich ist seine
Be¬
rese, es wird euch jüdischen Sozialdemokraten
Reden hält, trägt er Duelle aus. Soll das etwa
gründung dieser Behauptung nichts weniger
als
geradeso ergehen, wie es den jüdischen Liberalen
die zionistische Arbeit sein?
tichhaltig. Er versucht zu leugnen, daß Palästina
und Deutschnationalen ergangen ist. ... Wer hat
den Zionisten mehr als ein geographischer Be¬
Schnitzler hat darin ein wenig übers Ziel
die liberale Bewegung in Oesterreich geschaffen?
geschossen, daß er Leo zwei Duelle mit Christen
griff wäre. Hätte er sich wie Leo den VII. Zio¬
Die Juden! Von wem sind die Jnden ver¬
bestehen läßt. Ein Mensch, dessen Seele
tistenkongreß angeschaut, so wäre er wohl an¬
sich
raten und verlassen worden? Von den Libe¬
nach Schönheit sehnt, dessen musikalisches Empfin¬
erer Meinung. Palästina ist den Zionisten ein
ralen. Wer hat die deutschnationale Bewegung in
Heimatland, wohin sie ihr Heimweh ruft.
den gerabezu überströmt, kann gar nicht so rauf¬
Oesterreich geschaffen? Die Juden. Von wem sind
lustig sein.
„Sie werden aber doch nicht nach Palästina
die Juden im Stich gelassen
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was sag ich,
Tiefer gräbt Schnitzler bei der Schilderung
auswandern, selbst wenn der Judenstaat begrün¬
im Stich gelassen . . .. bespuckt worden wie die
des sich loslösenden und doch zurückstrebenden
et würde,“ sagt er zu Leo. Der unterbricht ihn
Hunde? . . .. Von den Deutschen! Und geradeso
Ghettojuden Heinrich Bermann. Diese Gestalt um¬
ziemlich flau: „O, das können Sie nicht wis¬
wirds ihnen jetzt ergehen mit dem Sozialismus
flittert der düstere Glanz des Tragischen. Sie ist
en.“ „Ich weiß es ganz bestimmt,“ meint Hein¬
und Kommunismus.“
auch die bestgelungene Gestalt des Romans. Das
rich, „dafür gesteh' ich Ihnen ja auch zu, daß
Ihr Bruder, der sich von großen Worten
ist der ringende, unzufriedene, grübelnde, kranke
ich mich trotz meiner vollkommenen Gleichgiltig¬
nicht imponieren ließ, weder von Versprechungen,
Jude des Westens, der noch keinen Halt gefunden
keit gegen jegliche Religionsformen nie und nimmer
die niemals einzulösen waren, noch von Droh¬
und auch nicht so leicht den Weg ins Freie
werde taufen lassen, selbst, wenn es möglich wäre,
ungen, die ins Leere gingen, sucht oft die Wider¬
inden wird.
durch solch einen Trug antisemitischer Beschränkt¬
sprüche in ihren Reden nachzuweisen. Er glaubt
Bermanns Vater war Dorf=Advokat und
heit für alle Zeit zu entrinnen.“ „Aber, wenn
nicht ganz an ihr Mitgefühl für die Armen
Reichsratsabgeordneter, der den Traum von der
die Scheiterhaufen wieder angezündet werden?“
und Elenden. Ob er nicht recht hat? Brennt
Verbrüderung der Juden mit den Deutschen ver¬
fragt Leo. „Für diesen Fall,“ entgegnet Heinrich,