I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 211

23.
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Freie
Neg ins
Der
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GU
Corneliens. Zuletzt erstreckt sich ihre mütter¬
des einen Problemes entnommen, das die
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liche Empfindung versöhnt und friedlich auchauf
Juden durch ihren lebhaften und eindringlichen
den Vater ihres Kindes, den Mann, der sie ent¬
Anteil an allen Bewegungen der modernen
täuschte. Esist einekleine leise und feine Szene am
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Kultur geschaffen haben. Man hat sie so
Schluß, die das Wiedersehen der Beiden bringt
lange und so erbittert nach ihrem Recht auf
und das Bewußtsein für Cornelien, daß sie fort¬
diese Anteilnahme gefragt, daß sie nun viel¬
an ihren Weg mit ihrem Kinde ohne dessen Vater
fach selbst, von außen bedrängt und im
wird gehen müssen. Und können. Die behä= Innern aufgestört, nach einer Antwort ver¬
bige württembergische Art der Leute, von denen langen. Und wo diese fehlt, macht es doch
Cornelie im Tränenhaus umgeben wird, gibt schon ruhiger, die Fragen noch einmal gefragt,
dem Philosophieren der Heldin etwas Gesun= sie auf einen saufteren Tonfall, in den Be¬
des, Erdiges hinzu, das wohltut. Technisch reich besserer Möglichkeiten gebracht zu haben.
ist das Werk mit reifer Meisterschaft gehand¬ Aber dem Zwange, sich ihnen irgendwie zu
habt. Wie zum Beispiel die Vorgeschichte un= nähern, entgeht keiner, den sie direkt betreffen.
auffällig zwischen die Tageserlebnisse und Darum ist dieses Buch von einer unverkennbar
Tagesreflexionen hinein erzählt wird, ist sehr höheren Notwendigkeit. Die Zeit verlangte
fein. Und auch an künstlerischen Schönheiten es; schien es gerade von diesem Dichter zu
bringt der Roman uns genug. Neben Natur= verlangen, den seine Gaben bestimmen, hinter
schilderungen und Ausmalung von Seelen= den Gebilden der heutigen gesellschaftlichen
stimmungen, fein geprägte Sentenzen, präg= Kultur in die Tiefe zu spüren. Er hat, wie
nante Bilder. Und alles in einer sicheren, über= kaum ein zweiter, die sozialen Formen des
legenen Sprache, die stetig vorwärts drängt, modernen Bürgertums mit psychologischen
ohne Originalhascherei oder Krafthuberei. Das Lichtern durchhellt. Ihm war die Aufgabe
Buch einer klugen, geistvollen Frau und Künst¬
am nächsten, seine Analysen einmal, über den
lerin, die es drängt, zu ihren Schwestern zu
Einzelnen weggreifend, auf Allgemeineres ein¬
reden, in Tönen, die ihr vom Herzen kommen.
zustellen. Und ihm war es vielleicht am

Anselma Heine

dringendsten, gerade vor solche Fragen hinzu¬
——
treten, die dem Kulturmenschen seines Blutes

den erworbenen Heimatboden unter den Füßen
zu erschüttern drohen. Denn da bisher
Arthur Schnitzlers neuer Roman
vieles, was zweifelhaft und problematisch ist
in dieser Kultur, ihn und seine Dichtung an.
ieses Buch der Bekenntnisse führt nicht
zugehen schien, so war er der nächste, der sich
D)etwa tiefer in die Innerlichkeit des Dich¬
der Frage stellen mußte: Und du selbst? Was
ters ein, als seine früheren; es eröffnet
kommst du Fremder her, um in unseren Dingen
neues Gebiet. Den Juden in sich hat Schnitzler
mitzureden? Verweile nun gefälligst einmal
wohl längst entdeckt und als wichtige Poten;
bei diesem Problem und gib Antwort!
in die Okonomie seiner schaffenden Kräfte ein¬
Es ist keine Antwort. Wenn so lebendige
bezogen; nun stellt er ihn offen zur Diskussion.
und so zähe Kräfte in gegenseitigem Mißver¬
Damit bietet er seine eigene Person, nicht sein
hältnis sind, dann bleibt es ein leerer Versuch,
Talent allein, dem allgemeinen Urteil an.
zu bedenken, welche von ihnen im Rechte sein
Bisher repräsentierte nur sein Talent; war es
könnte. In solchem Gegeneinanderwirken gibt
spezisisch jüdisch, so mußte das seiner Erfin¬
es kein Recht, es gibt nur Resultanten. Glück¬
dung und seiner Arbeit anzumerken sein. Nun
lich, wer ohne auf Antwort zu drängen, die
stellt er sich persönlich vor sein Werk, verweist
Fragen so zu stellen vermag, daß sie auf einen
ausdrücklich auf sein Judentum und spricht
sanfteren Tonfall, in den Bereich besserer
darüber. Denn alle Fragen, die in dem Buche“
Möglichkeiten gebracht werden. Das geschieht
laut werden, sind irgendwie der Vielfältigkeit
nun in diesem Buch weit ausgreifender Ge¬
spräche, lebhaft gewechselter Meinungen. Da¬
* Der Weg ins Freie. (S. Fischer, Verlag) mit hat es sich, als ein Roman, mit der
1891