I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 212

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23. Der Nec ins Freie
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sonderbarsten und unmöglichsten technischen endung über solche Zwiespältigkeiterhebt, als eine
Aufgabe beladen: im Hin und Her der stetig stumm bedeutsame Lösung seines Urproblemes
fortentwickelten Debatte eine Aktion zu för= gelten. In ihm ist der Widerspruch nicht
dern, Menschen von innen her zu formen, mehr; Gedanken sind starkes Leben geworden,
die Farbe, den Ton und die Lebendigkeit und lebendiges Leben geht in Gedanken auf.
gesellschaftlicher Ereignisse festzuhalten. Ein Die pspchologisch=technische Meisterschaft des
weniger aufmerksames, wenigeraufrhothmische Dichters, der hier die stärksten Proben auf¬
und stilistische Empfindlichkeit geschultes Talent erlegt waren, webt unmerklich ein in das
müßte an den zehnfachen Härten dieser For¬
andere, vermählt und erhöht beides zu einer
derungen zerscheitern. Schnitzler gelingt es,
neuen geistig=seelischen Innerlichkeit. Die
die Entwicklung seines geistigen Themas mit
chwerste Frage, die dieses Gedankenwerk stellt,
dem Gang der Handlung, mit dem Aufbau
hat es so für sich selbst und seinen Schöpfer
der Menschenbilder, mit der Ausweitung des
beantwortet: die Frage, wie absolute Geistig¬
Milieus in gleichem Takt zu halten. In dem
keit in starke Lebendigkeit aufzulösen sei. Die
Vielerlei von ideellen, gesellschaftlichen und
Antwort lautet freilich: durch künstlerische
persönlichen Beziehungen, die sich hier durch¬
Bewältigung, und ist freilich nur für Künstler
einanderbewegen, ist mit hingebendster Sorg¬
zu gebrauchen. Indessen, es besteht auch eine
falt alles so geführt, daß Kreis um Kreis
Künstlerschaft, die nichts anderes zu gestalten
dieser mannigfaltigen Lebendigkeit im gleichen
weiß, als das eigene Leben. Sie ist Ergebnis
Tempo und zur gleichen Bedeutsamkeit sichtbar
persönlicher Kultur und allen erreichbar, die
wird. Und hinter allem webt das Licht jener
Entwicklung in sich haben. Diesen gilt die
besonderen Psochologie, die den besten Ruhm
stumme Antwort, die das Buch sich selbst und
und den ganz modernen Reiz gerade dieses
seiner lautesten Frage gibt; ihnen gilt die
Dichters ausmacht; einer Psochologie, die auf
wortlose Mahnung, ihr gefährlich unfrucht¬
kleinste Widersprüche, Hemmungen und Selbst¬
bares Denken rhythmisch zu bewältigen, zum
täuschungen nachdenklicher Seelen eingestellt
künstlerischen Erlebnis, zu einem kulturbilden¬
ist, auf alles, was unbestimmbar zwischen
den Elewent zu erhöhen.
Bewußt und Unbewußt balanciert. Sie leuchtet
Willi Handl
auch hier durch die Endlosigkeit der Gespräche
und bringt menschliche Bewegung in das
blutleere Getümmel der Gedanken. Sie gibt
Trommelynck
den Problemen, die das wichtigste in diesem
Buche sind, die Schwere persönlicher Erleb¬
aß is uzösischer Dichter es sich ge¬
nisse, sie gibt hochansteigenden Abstraktionen
)statten darf, so barbarisch zu heißen,
den Pulsschlag lebendiger Temperamente. Sie
Crommelyuck, Fernand Crommelynck,
schafft den Grund her, auf dem sich die innere
vor zwanzig, vor zehn Jahren wäre es viel¬
Echtheit dieser Menschen aufbaut, die niemals
leicht noch verwunderlich gewesen. Heute aber
durch besondere Schicksale oder einen beson¬
zeugt nicht Frankreich selbst, sondern das Aus¬
deren Zweck in ihrer Welt beglaubigt werden. land den Franzosen ihre großen Dichter.
Denn sie ist imstande
— und das war von Maeterlinck, Eekhond, Verhaeren sind Belgier,
jeher ihre vorzüglichste Kraft! — das in Vielé=Griffin Amerikaner, Stuart Merill
Wahrheit Unausgleichbare künstlerisch aus Engländer, und klingt ein Dichtername einmal
zugleichen; den Widerspruch zwischen dem gut gallisch, wie der des Jean Moréas oder
Leben, das lebt, und den Gedanken, die darüber der Komtesse de Noeilles, so ist's nur Falsch¬
hingehen, in stilvoller Selbstbetrachtung auf= meldung des Griechen Papadiamantopulos
zubeben. Und weil dieser Widerspruch von und der rumanischen Prinzessin Bibesco.
naipem und geistigem Dasein dem Getriebe Bald werden sie (und wir) sich noch an den
von Fragen, die das Buch erfüllen, immer zerklüfteten Namen des Fernand Crommelynck
den ersten und stärksten Anstoß gibt, kann das gewöhnen müssen, dieses ganz unwahrschein¬
Werk selbst, das sich in künstlerischer Voll= lich jungen Belgiers, der mit einem tragischen
1892