I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 218

23.
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Der Neg ins Freie

P. 11.
ginnen.
titzler: Der Weg ins Freie. Roman,
Arthur
(ng, Berlir.) Wer vom Verfasser
des entzückenden Einakter=Zyklus „Reigen“ und vieler fein
ziselierter Dramen und graziöser Novellen einen leichten
Unterhaltungsroman erwartet hat, wird bei der Lektüre dieses
neuesten Werkes des feinsinnigen Wieners sehr enttäuscht
werden. Sein Roman ist vielmehr ein gedankenreiches,
tiefe Schönheit bergendes Buch, das langsam genossen werden
muß, um die Stimmung auszulösen, in die der Dichter uns
versetzen will. Schnitzler entrollt hier im breiten Rahmen ein
farbenschillerr des Bild der heutigen Donaustadt, er führt
uns in den Prater, in die Gesellschaftsabende der Wiener
Hautevolee, in den Familienkreis des Bürgers, kurz: in
jede Sphäre, die die frohe und so lebenslustige österreichische
Hauptstädt besitzt. Und das eben ist das Reizvollste an diesem
an sich schon interessanten Milieu, daß er alles mit eigenen
Künstleraugen betrachtet. Er kennt alle Typen Wiens, den
gealterten Komponisten berühmter Wiener Walzer, wie den
Kaffeehausliteraten, den vorwärtsdrängenden Künstler und
den schwärmerisch veranlagten Zionisten. Er weiß von der
Demi-vierge evensogut, wie von der hingebungsvoll liebenden
jungen Dame zu berichten, und seine Charakteristik ist haar¬
scharf, ob er nun eine sorgende Mutter, die nach dem Schwie¬
gersohn verlangend auslugt, schildert, oder mit knappen Linien
einen heruntergekommenen Haussohn hinstellt. Wenn man
dieses Buch liest, so glaubt man sich selbst einmal in den
bunten Kreis dieser Menschen versetzt und diskutiert mit
ihnen über Tagesfragen und Dinge, die sie im gleichen Maße
wie auch uns interessieren; über das jüdische Rassenproblem,
über das Heimatsgefühl des Deutschen in Oesterreich, über
Kunst= und über alltägliche Angelegenheiten. So vielseitig
ist dieser an sich nicht übermäßig starke Roman, daß man
das Wenigste von ihm mitteilt, wenn man seinen Inhalt
angibt. Es ist hier nicht der Platz, um auf die interessanten
und im hohen Maße fesselnden Einzelheiten näher einzu¬
gehen; sie mag sich der Leser selbst mit Genuß vor Augen
führen. Der Inhalt aber, in wenige kurze Sätze gebracht,
ist folgender: Ein junger deutscher Baron, der seit seiner
Kindheit in Wien lebt und sich bereits durch ein paar Lieder¬
kompositionen einen guten Namen gemacht hat, knüpft nach
einer sorglos durchtaumelten Jugend ein Verhältnis mit der
Tochter eines bedeutungslosen Wiener Bürgers an. Die
Liebe beider Menschen ist tief und echt. Als sie sich nun
Mutter fühlt, siedeln beide nach einer (wundervoll beschrie¬
benen italienischen Reise) in eine Vorstadt über und hier
kommt ein totes Knäblein zur Welt. Das nun ist wohl der
höchste Gipfel dieses so an Höhen reichen Buches, wie der
Vater vor der Leiche dieses kleinen Wesens steht, das nur
geboren ward, um zu sterben. „Er berührte Wangen,
Schultern, Arme, Hände, Finger. Wie rätselhaft vollendet
dies alles war. Und da lag es nun, gestorben, ohne gelebt
zu haben, bestimmt von einer Dunkelheit, durch ein sinn¬
Und dann
oses Nichts hindurch in eine andere einzugehen.“
Er fühlt,
entwickelt sich seine Laufbahn konsequent weiter.
daß ihn seine Freunde, die Stadt Wien, und selbst seine Ge¬
liebte nur Fesseln sind, die seine Künstlerschaft in Banden
halten. Erst wenn er sich von ihnen löst, kann er „den Weg
ins Freie“ antreten. Und er hat den Mut, sie abzuschütteln.
Irgendwo in einer deutschen Kleinstadt bietet sich ein Kapell¬
meisterposten für ihn, den er annimmt, und dort wird sich
vielleicht sein Genie entfalten, oort wird vielleicht aus dem
talentierten Komponisten einiger Lieder ein echter Künstler
werden. Darüber berichtet der Dichter nicht mehr.
Karl Escher.
Nau
0
Kohls Briefmarkenkatalog. Für das Heer der Brigs¬
markensammler ist in diesem Jahre der Beginn der Sajsen
überraschend schnell gekommen. Bekanntlich kommt alljährlich
geordneten

entsprungen war. Oder sollte es Herr
Bielohlawek für einen Mangel an Freiheitlichkeit er¬
Feuilleton.
Schnitzlers Roman.
Der neue Roman von Arthur Schnitzler ist ein Wiener
Judenroman. Ein einziger Nichtjude hat sich hineinverirrt, aber
am Schluß scheint er wieder herauszufinden. Alle Männer von
Wichtigkeit sind Juden in diesem Roman, moderne und un¬
moderne Juden, mehr assimilierte und weniger assimilierte
Juden, künstlerische Juden und Finanzjuden, jüdische Gigerln
und jüdische Fanatiker, altliberale Juden und sozialistische
Juden. So ist es also nicht der Wiener Roman geworden, den
man von Schnitzler, der in Deutschland als Repräsentant des
jungen Wien gilt, erhoffen durfte, sondern bloß der Leopold¬
städter Roman. Leider!... Denn wahrhaftig, es fehlt der
deutschen Literatur der Gegenwart nicht an Kunstwerken, die
sich um die Judenfrage drehen. Georg Hirschfeld hat daran
jahrelang gezehrt, Jakob Wassermann hat darauf seinen Ruhm
gegründet, Herr Beer=Hofmann hat das Problem in seinem
seinerzeit so sinnlos überschätzten „Grafen Charolais“ beschwatzt.
Der stärkste Romanerfolg des vorigen Jahres „Jettchen Gebert“
soll ein Judenroman sein. Die Dichtungen, die Richard
Dehmel aus diesen Blutsfragen geschöpft, möchte ich in
diesem Zusammenhang nicht gern erwähnen. Also genug, mehr
als genug deutsche Dichterantworten auf die Judenfrage! Kurz¬
stirnige Literaturhistoriker wie der durch seinen Heine=Haß berühmte
Adolf Bartels werden als Erscheinung begreiflicher, wenn man
nachsieht, wie viele großstädtische, namentlich Berliner und
Wiener Literaten innerlich im Kontakt nur mit den Juden¬
vierteln ihrer Geburtsstädte stehen. Ein Dichter (und sogar ein
Literat) ist dann von Wert, von Bedeutung und am Ende auch
von Erfolg, wenn er der Repräsentant bestimmter
*)
„Der Weg ins Freie.“ Roman von Arthur
Schnitzler. Berlin. Verlag S. Fischer.
tarischen Tradition
nur der Ausdruck
Schichten einer Nat
Im höchsten Sinne rei
gefühl und intellektue
und Tassos zitternd
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sagen möge, ist repr
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Judentums. Von
höchste Dichterehrung
erhoffen, daß sein G
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Arthur Schnitzler der
jüdischen Literaten¬
Arthur Schnitzler
Georg Hirschfeld sein
den Adolf Bartels
Ohren, ihr blind
Dichtungen eines

allem Darstellungen
alten, unassimilierter
und dem jungen,
künstlerisch schauendet
söhne besteht? Die
waren Abschiedsrufe
nüchterne, im tiefst
Roman Schnitzlers?
seinen Juden, steht
weilt auf ihnen mi