I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 228

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23. Der Neg ins Freie

Punkten zu erhalten. Der Trödler, der ein paar alte Hofen an¬
an der produk¬
über ein Zuniel
preist, der große Bankier, der seinen Prokuristen rüffelt, auch wenn
Gedankensplitter
der gerade ein Arier sein sollte, der Forscher, der seinem gemischt
konfessionellen Auditorium einen konfessionslosen Bazillus vorstellt, sie
herausnehmen
alle befinden sich in einer seelischen Gleichgewichtslage, wenigstens solange
ein Milien von
sie handeln, zählen, arbeiten und forschen. Gewiß hat das Buch seine
wird die Debatte
Seele, es verbirgt noch hinter den indiskretesten Enthüllungen des
Geistes eine Art von spröder, stumm gebliebener Scham von dumpf
en Beruf
on Natur die
verhaltener Erbitterung, aber dieser Ernst ist auch nutzlos vertan
entgegenzutreten
worden durch die Einschränkung auf diesen Kreis, in dem man
er von Berufs
nichts treibt als Empfindeleien erregen und analysieren.
nalyse ausüben
Es wäre vor allem der Schnitzlerschen Kunst zu wünschen, daß sie ihren
rade von Durch¬
Weg ins Freie“ findet. Gerade durch ihren echtesten und sympathischsten
Pfleger ist die literarische Hyperkultur des nicht mehr ganz jungen
seine Figuren
sie eine warme
zungwien bis an die Grenze des Möglichen geführt worden. Ihre
at der Dichter
Note (teht längst in Gefahr, sich zu verbrauchen. Man hat
die krankhafte
dort die moderne Seele oder die Seele überhaupt als ein
ischen Seele zu
Ding entdeckt, das sozusagen nie recht bei der Sache
#ten, die sich mit
ist.
Es gibt Ereignisse, die wir am stärksten in der
irklichen nur ihre
Erwartung erleben, andere am stärksten in der Erinnerung, und
le diese Leute be¬
wenige nur, die wir momentan in ihrer vollen Bedeutung und
sten Grade des
Schwere aufnehmen. Die Faktoren des äußeren Geschehens setzt die
Geheimnis an¬
Seele immer in ihre irrationalen Gleichungen um, und diese Wiener
vor lauter An¬
haben eine Fertigkeit und Eleganz in der Rechnung mit
Logarithmen erreicht, hinter der so beträchtliche Analytiker der Seele
elbsttäuschungen
Flaubert als ehrwürdig Primitive
wie Stendhal oder
zurückzubleiben scheinen. Flanberts eigentlich psychologischer Roman
das ein¬
as,
der „Sentimentalen Erziehung“ wird von Schnitzlerschen Leistungen
at, nur diese
ches ist nicht zu
geradezu überboten. Da plandern am Schluß zwei
alt
aller Breite im
und kalt gewordene Freunde über ihr vergangenes Leben, und
(die sie weitschweifige Erinnerungen auskramen, bleiben sie mit
genug erwies.
größter Rührung und Anhänglichkeit bei einem Abenteuer haften,
ihlt hat, spielen
wie sie als Jungen der dicken Türkin in einem verdächtigen Hause
zwischen dem
ein paar Blumen gebracht haben, um nach dieser mit Bräutigams¬
die bekannte
gefühlen dargebrachten Huldigung in entsetzlicher Angst davonzujagen.
n Anerkennung
Das war doch das Schönste: beteueren sich die alten Philister. Man
nsgenusses, der
begeht kaum eine grobe Übertreibung, wenn man die Situation im
des ästhetischen
Schnitzlerschen Sinne umkehrt, daß die Bengel in ihrer Angst schon
ie Beziehungen
vorausberechnen, welche Süßigkeit der Erinnerung sie im Alter
aus
Altwien allein
diesem fatalen Moment ziehen werden. In dieser Fertigkeit
der
cht die Macht,
Selbstbeobachtung, in dieser Technik der Inquisition,
die
dung zu treffen.
die Seele durch immer feinere Fragen bedrängt, haben es die
ie Gemeinschaft,
Wiener zu einer Routine gebracht, an der sie nun endlich müde
Dichtigkeit an
werden sollten. Schnitzler verdankt ihr den überaus großen und
ihre Sache nur
bisher so beständigen Reiz seines Dialogs mit den kapriziösen
zim Verhältnis
Kurven, die sich doch so überzeugend zwischen den Polen des Be¬
kein Wunder,
wußten und des Unbewußten hinschlängeln. Und wer den Appetit
ommen und es
dazu mitbringt, wird sich gern fünfhundert Seiten Konversation
sich eben der
dieses Esprits und dieser hohen schriftstellerischen Kultur vor¬
Kreaturen ab¬
setzen lassen. Andere aber werden sich bei aller Schätzung so
egentliche Aus¬
verschwenderischer Bewirtung mit dem Toujours perdrix ent¬
B dazu gedient,
schuldigen. A. E.
ns an einigen
HILFE
Seite 851
Die belletristische Ernte des Jahres
Im Anschluß an den Artikel der letzten Nummer muß noch ein
Frauenbuch erwähnt werden, und zwar „Die Verteidigung Roms“
von Ricarda Huch (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 6,— M.).
Wenn es auch feststeht, daß in diesem glänzenden Buch die Fülle
der Gesichte nicht immer gestaltet ist, daß überflüssige Linien die
Einfachheit des Bildes stören, so kann man doch nicht durchaus von
etwas Mißlungenem sprechen. Denn die Zeugnisse einer reichen
Kraft sind vorhanden, und gerade das Überflüssige ist oft von be¬
zaubernder Schönheit. Die Umrißzeichnung Garibaldis erstickt aber
in dieser quellenden Flut; sie wächst nicht aus ihr wie der Fels.
Das beeinträchtigt die Wirkung des Romans.
Dagegen wird Ernst Zahns Novellenbuch „Die da wandern
und irren“
Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart),
für den
Kundigen zu einer Überraschung. Es machen sich da Ansätze be¬
merkbar, die für die Zukunft das Schönste hoffen lassen.
Der hölzerne Eigensinn, der in den früheren Büchern neben unleug¬
bar Starkem zuweilen abstieß, hat sich gemildert.
Schon in Zahns letztem Roman „Lukas Hochstraßers Haus“
(der als Helden einen Mann von echt Zahnscher, oft sündhafter
Knorrigkeit hatte) wachte eine Melodie auf, die an alte Volks¬
lieder erinnerte. So in der bezaubernden Novelle des jüngsten
Hochstraßer, der heimlich einem italienischen Kesselflickermädchen über
die Berge folgt. Eine ganz balladeske Stelle. Sie verliert aber
an Wirkung durch das Hineintappen des Alltags in den Schluß. In
dem neuen Novellenband sind diese Töne deutlicher. Da sind vor
allem zwei bezaubernde Stücke: „Die Hexe“ und „Requiem“. Be¬
onders das erste, in dem zum Ende der napoleonische Soldat
Eustach Würzer über die Berge reitet, in seinem Mantel geborgen
das junge heimatlose Mädchen, das seine Dorfgenossen Hexe schelten,
ist ganz Volksballade. In der Novelle „Ein kleiner Frühling“ klingt
ein ähnliches Motiv an. Ein ehrbarer, junger „Züribieter“ hat die
Vision eines freieren und tieferen Lebens, und sie nimmt für ihn die
Gestalt einer Dienstmagd aus den Bergen des Reußtales an. Zwar
bleibt er seiner Zusunft treu: dem reichen Fräulein und dem väter¬
lichen Geschäft, aber es scheint da in ihm etwas aufzutauchen, eine
Ahnung besseren Daseins, in dem auch Pflichttreue und Ehrbarkeit
im landläufigen Sinne Sünde sein können.
Auf Joseph Lauff braucht man nicht mehr zu hoffen. Er
wird nie höheren künstlerischen Ansprüchen genügen lernen. Man
hat das betrübliche Bild eines Talentes, das durchaus noch unreif
ist und unaufhörlich starkbändige Romane schreibt. Sein „Sankt
Anne“ ist (6 Grote, Berlin, geb. 5,—, br. 4,— M.) unwahr durch und
durch. Sein Humor und seine Tragik scheint von schlechten Schal¬
spielern auf einem Winkeltheater gespielt zu werden. Sie vergreifen
sich immer im Ton, und man lacht darüber. Und doch Talent! Nur
verdorben und eingegraben. Er sieht die Stille von Brügge gestaltet
in einem kleinen Nönnchen, das schweigend mit brennender Kerze
durch die Straßen geht. Und solche Stellen werden dann von einer
Heerschar platter Sätze überflutet, die sämtlich verstiegen und falsch
m Ton sind. Man freut sich dann um so mehr an einem so klaren,
chlichten Buch wie Diedrich Speckmanns „Das goldene Tor“
(M. Warneck, Berlin, geb. 4,— br. 3,— M.), einem Buch voll tiefster
oesie. Es gibt die Lebensgeschichte eines getretenen Bauernjungen bis
zu seinem Ende als blutjunger Schulmeister. Er sehnt sich, in eine
glänzendere Welt einzugehen, deren Tor sich allabendlich im Westen
öffnete. So sah er es als Kind. Und später offenbart sich seiner
grübelnden Seele ein andres goldenes Tor, das freilich unsichtbar
bleibt: die tiefen Entzückungen der Kunst, der Liebe, religiösen
Gefühls. Man legt dieses Buch erschüttert und gehoben aus der
Hand. Nur ein Deutscher konnte es schreiben Das gilt auch von
Friedrich Huchs „Pitt und Fox“ (W. Langewiesche, München 1,80 M.),
einem Roman, der als einer der „Bücher der Rose“ soeben erschien. Er
st entschieden eine starke und ausgereifte Leistung, im Stil ohne
Tadel. Das Gegenspiel des hohlen skrupellosen Allerweltskerl Fox,
zu dem schwerblütigen und gründlichen Pitt ist glänzend durch¬
geführt. Das ganze ist mehr Zeitroman, als Bierbäums „Prinz
Kuckuck“ (G. Müller, München), in dem eine glänzende Darstellungs
gabe an einen Misthaufen verschwendet ist. Bierbaum ist so ein
Fox. Man gedenke der Instrumente, die er alle schon spielte, und
weiß dann, daß er ein Virtnose ist, der neben Parterreakrobaten
und musical clowns gehört. Wenig erfreulich sind auch die Arbeiten,
die der verspätete Einfluß Flauberts in Deutschland hervorgebracht
hat; besonders Max Brods „Schloß Nornepygge“ und René
Beide Bücher wirken wie grenelvolle
Schickeles „Der Fremde“
Verzerrungen. Es ist ein Durcheinander verquälter Gesichter, kein
Ton ist echt, alles ist verstiegen.
Situationen werden herbei¬
geschleppt, nur um eine gewagte Satzkunst brillieren zu lassen, An¬
läufe zur Charakteristik werden durch entgegengesetzte aufgehoben.
Die Kleinen versuchen sich an jenem „Kunstwerk, das sich nur durch
einen Stil hält“, an dem Flaubert zerbrach. Wie würde der Ein¬
siedler von Creisset über diese blutleeren Literatenbücher gelächelt
haben! Einzig Heinrich Mann hat etwas von der Bedeutung
Sein neuer Roman „Zwischen den
des großen Franzosen.
Rassen“ (A. Langen, München) leidet zwar an einem psychologisch