Freie
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ins
23. Der Neg
„
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DIe
unrichtigen Schluß, aber das Thema: Der Widerstreit deutschen und
südamerikanischen Blutes in einem Weibe ist doch mit erstannlicher
Kraft angepackt und dargestellt.
Und nun mag die deutsche Eigenart wieder mit allen Registern
spielen: Lilieneron sitzt an der Orgel.
Dieser liebe Phantast
beschert uns einen autehiographischen Roman unter dem Titel
„Leben und Lüge". Der erste Teil, der die Jugend des Helden in
einer ganz kleinen Festung schildert, scheint der beste zu sein. Fon¬
taues Einfluß macht sich bemerkbar. Allmählich beginnt dann
Münchhausen zu erzählen, verweilt noch in der Betrachtung der
Wirklichkeit ein wenig, dann aber gehts über Stock und Stein. Es
ersteht dann ganz die Welt, in der man sich an den eignen Haaren
aus dem Sumpf zieht, und auf Kanonenkugeln reitet. Und schließlic
folgt man durch diek und dünn. Und es hilft nichts, daß man zum
Erzähler sagt, wie Richard Dehmel zu seinem Töchterchen:
Aber Detta, du schwindelst ja, das sind ja wieder lauter Lügen!
Denn wir hören die Antwort: Aber das macht ja nichts, Papa,
es macht mir doch so viel Vergnügen —, und wir sind enswafsnet. —
Auch der neue Roman von Georg Engel „Der Meiter auf
dem Regenbogen“ ist wie Ginzkeys „Jakobus und die Frauen“
von stark nationaler Eigenart. Überdies ist es voll Reiz, das Buch
eines Norddeutschen gegen das eines Süddeutschen zu halten. Bei
diesem Vergleich offenbart es sich durchaus, daß die Fülle klarer
Poesie bei Ginzkey, während die Poesie Engels hier und da ein
wvenig rührselig im Tone ist. Ferner zeigt es sich, daß dort die
Weichheit leicht schwächlich wird, während hier ein Hang zum
Grübeln hervorsticht; dort häufen sich liebliche Bilder, hier düstere,
die sich bis zum grausigen steigern. Alles ganz der Nationalität
der beiden Dichter gemäß. Das Buch Engels, von dem erträumten
Phantasten, dessen lange verschlossene Tatkraft sich gegen Ende ins
Heroische erhebt, wirkt wie eine Phantasie auf dem Contrabaß,
während Ginzkey in der Geschichte des reinen Toren Jacobus, eine
chlichte Melodie auf einer alten Geige spielt. Richard Voß da¬
gegen stampft mit Heldenschritten daher, und agiert mit ausgiebigen
Gesten immer Hauptaktionen. Alles was er schafft, ist um einen
Tol. zu hoch gestimmt. ce rückt selbst geringe Erlebnisse seiner
Heiben ins Übermenschliche und läßt uns kalt, so heftig er selber
Ergriffenheit markiert. Sein großer Roman „Die Liebe Davia
Lantes“, der von den drei in diesem Jahr erschienenen (außer „Davia
Lante“ noch „Richards Junge" und „Wenn Götter lieben“) der
beste ist, stört die Voßsche Eigenart. Immerhin nicht so stark wie
sonst, da die Liebe der großen Sängerin Lante zu dem Volskischen
Käubersprossen und Komponisten wirklich etwas über das Maß
Gehendes hat. Überdies verträgt die römische Landschaft den ge¬
hobenen Ton der Schilderung durchaus. In der Naturschilderung
ist Voß wie immer bedeutend.
Arthur Schnitzlers Roman „Der Weg ins Freie“ (S. Fischer)
hat viele Breiten, aber auch Sympathisches: den erlesenen Ausdruck
und die erfreuliche Aufwärtsbewegung der Entwicklung der Haupt¬
person. Aus dem viel redenden und wenig handelnden Wien reißt
sich Graf Michael heraus zu zielbewußter Arbeit nördlich der
schwarz=gelben Grenzpfähle. Möge es Schnitzler ehenso machen, das
liebenswürdig plaudernde Österreichertum niederhalten und seiner
Handlung etwas Schneidigkeit einererzieren. So haftet seinen
Werken, wie denen von Gintzkey etwas Mattes an. In allen
diesen Büchern erblüht die Genußfreudigkeit in vielfältiger Schönheit,
aber kein tatkräftiger Ton wird bestimmt hörbar.
Dies ist
natürlich bei Dichtern einer Nation, die nicht mehr im Zenith ihres
Glanzes steht. Wir gehörchen noch dem harten Trommelschlag des
Willens. Aber wie lange, und auch unsre Ziele liegen hinter uns.
Man soll daran nicht denken. Nein. Verscheuchen wir denn
bittere Stimmunge# mit den frischen
Humoresken von Rudolf Greinz:
„Aus'm heiligen Land'!“ (Staackmann,
Leipzig) entzückenden Geschichten, die
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immer wieder ergötzen, oder mit
dem lebensklugen Buche des alten
Heyse, das unter dem Titel „Menschen
und Schicksale“ (Cotta,
Stuttgart)
viel tüchtige
Charakter¬
studien
mit dem
Silberstift ge¬
zeichnet bietet
Franz Herwig.
Die heilige facht
Von Selma Logerlöf.
Chrisiuslegenden. München. Albert Langen.
Als ich fünf Jahre alt war, hatte ich einen großen Kummer.
Ich weiß kaum, ob ich seitdem einen größeren gehabt habe.
Das war, als meine Großmutter starb. Bis dahin
hatte sie jeden Tag auf dem Ecksofa in ihrer Stube gesessen
und Märchen erzählt.
Kongreßzeit.
Wie viele tief bedauernswerte
Mitbürger lehen unserm Staal,
Die wohl ein Gott zu reden lehrte,
Doch denen nie ein Auf genaht.
Für alle die ist eins zu hoffen
Dr. Max Goldschmidt
# Bureau für
Zeitungsausschnitte
Bertin N. 24.
Telephon: Ill, 5954.
Ausschnitt aus
Wreeegred Deseer
222
Neue Bücher.
Alle dem Herausgeber zugehenden Bücher, Broschüren u. s. f. werden an
dieser Stelle aufgeführt. Die Besprechung bleibt dem Ermessen der Rehaktion
vorbehalten. Eine Rücksendung Engegangener Werke kann nicht stattfinden.
Arthur Schaihler Der Weg ins GreieNaman=Vortag vof
S.=Eischer (Bernin), Preis geh. Mk. 4.
In diesen Tagen, die so wunderbar prächtig sind und von einer
vornehmen Reife erfüllt, in denen die ersten Blüten schon die ersten
Früchte tragen, an die uns noch der süße Geruch kleiner, wilder
Blumen entzückt, in viesen Tagen muß die „Idee“ dieses Romanel
wohl zum ersten Male gekeimt sein. Zu keiner anderen Zeit wäre
dies möglich gewesen. Höchstens in den stillen Stunden eines halb¬
verträumten Herbsttages. Aber furchtbar wäre es, zu denken, daß
diese persönlichste Arbeit unsres größten gegenwärtigen Dichters
in Herbsttagen, in Tagen der Resignation erwachsen wäre. Denn es
nützt nichts: selbst aus den letzten Werken dieses Mannes, haben wir
jenen leidenden Resignationszug vernommen, der zwar grundverschieden
ist von der Resignation vormärzlicher Poeten, aber doch immerhin
ein Resignationszug ist. Für mich bleibt es fest: in diesen herrlichen
Tagen keimte die erste „Idee“ dieses Romanes. Ich sage absichtlich
„Idee“. Denn dieses Werk ist nicht eines, das fertig stehl, ehe es
geschrieben, sondern eines, das erst unter der Hand Leben annimmt,
zum Leben erwacht, bis es selbst üppigstes, urtigenstes Leben ist.
Ureigenstes Leben. Denn diesen Roman kann nur einer ver¬
stehen, der dieses Dichters Werke kennt. Alle, ausnahmslos. Der
ihn von einem Werke zum andern folgte, hindurch, hinan, hinauf,
bis zu „den höchsten Gipfeln dieses meertiefen und wunderbaren
„Einsamer Weg: Mit all seinen Werken hängt dieser Roman zu¬
sammen. Und ist vielleicht die Frucht seiner Bücher. Vielleicht auch
die Krone seiner Werke. Ich sage „vielleicht". Momenkan weiß
ichs nicht. Momentan steht mir dieses Buch noch zu nahe. So nahe,
daß alle andern davor verblassen, selbst mein Lieblingsbeich, sein
„Einsamer Weg“. Momentan sind sie mir nur im Gedächtnis als
Bücher und Werke eines hervorragenden Dichters. Und nur dieses
Buch lebt. Lebt. Lebt. Ledt. Das mach“ vielleicht die Sprache
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DIe
unrichtigen Schluß, aber das Thema: Der Widerstreit deutschen und
südamerikanischen Blutes in einem Weibe ist doch mit erstannlicher
Kraft angepackt und dargestellt.
Und nun mag die deutsche Eigenart wieder mit allen Registern
spielen: Lilieneron sitzt an der Orgel.
Dieser liebe Phantast
beschert uns einen autehiographischen Roman unter dem Titel
„Leben und Lüge". Der erste Teil, der die Jugend des Helden in
einer ganz kleinen Festung schildert, scheint der beste zu sein. Fon¬
taues Einfluß macht sich bemerkbar. Allmählich beginnt dann
Münchhausen zu erzählen, verweilt noch in der Betrachtung der
Wirklichkeit ein wenig, dann aber gehts über Stock und Stein. Es
ersteht dann ganz die Welt, in der man sich an den eignen Haaren
aus dem Sumpf zieht, und auf Kanonenkugeln reitet. Und schließlic
folgt man durch diek und dünn. Und es hilft nichts, daß man zum
Erzähler sagt, wie Richard Dehmel zu seinem Töchterchen:
Aber Detta, du schwindelst ja, das sind ja wieder lauter Lügen!
Denn wir hören die Antwort: Aber das macht ja nichts, Papa,
es macht mir doch so viel Vergnügen —, und wir sind enswafsnet. —
Auch der neue Roman von Georg Engel „Der Meiter auf
dem Regenbogen“ ist wie Ginzkeys „Jakobus und die Frauen“
von stark nationaler Eigenart. Überdies ist es voll Reiz, das Buch
eines Norddeutschen gegen das eines Süddeutschen zu halten. Bei
diesem Vergleich offenbart es sich durchaus, daß die Fülle klarer
Poesie bei Ginzkey, während die Poesie Engels hier und da ein
wvenig rührselig im Tone ist. Ferner zeigt es sich, daß dort die
Weichheit leicht schwächlich wird, während hier ein Hang zum
Grübeln hervorsticht; dort häufen sich liebliche Bilder, hier düstere,
die sich bis zum grausigen steigern. Alles ganz der Nationalität
der beiden Dichter gemäß. Das Buch Engels, von dem erträumten
Phantasten, dessen lange verschlossene Tatkraft sich gegen Ende ins
Heroische erhebt, wirkt wie eine Phantasie auf dem Contrabaß,
während Ginzkey in der Geschichte des reinen Toren Jacobus, eine
chlichte Melodie auf einer alten Geige spielt. Richard Voß da¬
gegen stampft mit Heldenschritten daher, und agiert mit ausgiebigen
Gesten immer Hauptaktionen. Alles was er schafft, ist um einen
Tol. zu hoch gestimmt. ce rückt selbst geringe Erlebnisse seiner
Heiben ins Übermenschliche und läßt uns kalt, so heftig er selber
Ergriffenheit markiert. Sein großer Roman „Die Liebe Davia
Lantes“, der von den drei in diesem Jahr erschienenen (außer „Davia
Lante“ noch „Richards Junge" und „Wenn Götter lieben“) der
beste ist, stört die Voßsche Eigenart. Immerhin nicht so stark wie
sonst, da die Liebe der großen Sängerin Lante zu dem Volskischen
Käubersprossen und Komponisten wirklich etwas über das Maß
Gehendes hat. Überdies verträgt die römische Landschaft den ge¬
hobenen Ton der Schilderung durchaus. In der Naturschilderung
ist Voß wie immer bedeutend.
Arthur Schnitzlers Roman „Der Weg ins Freie“ (S. Fischer)
hat viele Breiten, aber auch Sympathisches: den erlesenen Ausdruck
und die erfreuliche Aufwärtsbewegung der Entwicklung der Haupt¬
person. Aus dem viel redenden und wenig handelnden Wien reißt
sich Graf Michael heraus zu zielbewußter Arbeit nördlich der
schwarz=gelben Grenzpfähle. Möge es Schnitzler ehenso machen, das
liebenswürdig plaudernde Österreichertum niederhalten und seiner
Handlung etwas Schneidigkeit einererzieren. So haftet seinen
Werken, wie denen von Gintzkey etwas Mattes an. In allen
diesen Büchern erblüht die Genußfreudigkeit in vielfältiger Schönheit,
aber kein tatkräftiger Ton wird bestimmt hörbar.
Dies ist
natürlich bei Dichtern einer Nation, die nicht mehr im Zenith ihres
Glanzes steht. Wir gehörchen noch dem harten Trommelschlag des
Willens. Aber wie lange, und auch unsre Ziele liegen hinter uns.
Man soll daran nicht denken. Nein. Verscheuchen wir denn
bittere Stimmunge# mit den frischen
Humoresken von Rudolf Greinz:
„Aus'm heiligen Land'!“ (Staackmann,
Leipzig) entzückenden Geschichten, die
74
immer wieder ergötzen, oder mit
dem lebensklugen Buche des alten
Heyse, das unter dem Titel „Menschen
und Schicksale“ (Cotta,
Stuttgart)
viel tüchtige
Charakter¬
studien
mit dem
Silberstift ge¬
zeichnet bietet
Franz Herwig.
Die heilige facht
Von Selma Logerlöf.
Chrisiuslegenden. München. Albert Langen.
Als ich fünf Jahre alt war, hatte ich einen großen Kummer.
Ich weiß kaum, ob ich seitdem einen größeren gehabt habe.
Das war, als meine Großmutter starb. Bis dahin
hatte sie jeden Tag auf dem Ecksofa in ihrer Stube gesessen
und Märchen erzählt.
Kongreßzeit.
Wie viele tief bedauernswerte
Mitbürger lehen unserm Staal,
Die wohl ein Gott zu reden lehrte,
Doch denen nie ein Auf genaht.
Für alle die ist eins zu hoffen
Dr. Max Goldschmidt
# Bureau für
Zeitungsausschnitte
Bertin N. 24.
Telephon: Ill, 5954.
Ausschnitt aus
Wreeegred Deseer
222
Neue Bücher.
Alle dem Herausgeber zugehenden Bücher, Broschüren u. s. f. werden an
dieser Stelle aufgeführt. Die Besprechung bleibt dem Ermessen der Rehaktion
vorbehalten. Eine Rücksendung Engegangener Werke kann nicht stattfinden.
Arthur Schaihler Der Weg ins GreieNaman=Vortag vof
S.=Eischer (Bernin), Preis geh. Mk. 4.
In diesen Tagen, die so wunderbar prächtig sind und von einer
vornehmen Reife erfüllt, in denen die ersten Blüten schon die ersten
Früchte tragen, an die uns noch der süße Geruch kleiner, wilder
Blumen entzückt, in viesen Tagen muß die „Idee“ dieses Romanel
wohl zum ersten Male gekeimt sein. Zu keiner anderen Zeit wäre
dies möglich gewesen. Höchstens in den stillen Stunden eines halb¬
verträumten Herbsttages. Aber furchtbar wäre es, zu denken, daß
diese persönlichste Arbeit unsres größten gegenwärtigen Dichters
in Herbsttagen, in Tagen der Resignation erwachsen wäre. Denn es
nützt nichts: selbst aus den letzten Werken dieses Mannes, haben wir
jenen leidenden Resignationszug vernommen, der zwar grundverschieden
ist von der Resignation vormärzlicher Poeten, aber doch immerhin
ein Resignationszug ist. Für mich bleibt es fest: in diesen herrlichen
Tagen keimte die erste „Idee“ dieses Romanes. Ich sage absichtlich
„Idee“. Denn dieses Werk ist nicht eines, das fertig stehl, ehe es
geschrieben, sondern eines, das erst unter der Hand Leben annimmt,
zum Leben erwacht, bis es selbst üppigstes, urtigenstes Leben ist.
Ureigenstes Leben. Denn diesen Roman kann nur einer ver¬
stehen, der dieses Dichters Werke kennt. Alle, ausnahmslos. Der
ihn von einem Werke zum andern folgte, hindurch, hinan, hinauf,
bis zu „den höchsten Gipfeln dieses meertiefen und wunderbaren
„Einsamer Weg: Mit all seinen Werken hängt dieser Roman zu¬
sammen. Und ist vielleicht die Frucht seiner Bücher. Vielleicht auch
die Krone seiner Werke. Ich sage „vielleicht". Momenkan weiß
ichs nicht. Momentan steht mir dieses Buch noch zu nahe. So nahe,
daß alle andern davor verblassen, selbst mein Lieblingsbeich, sein
„Einsamer Weg“. Momentan sind sie mir nur im Gedächtnis als
Bücher und Werke eines hervorragenden Dichters. Und nur dieses
Buch lebt. Lebt. Lebt. Ledt. Das mach“ vielleicht die Sprache