I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 239

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AUS DER DICHTUNG DES LETZTEN JAHRES
AUS DER DICHTUNG DES LETZTEN JAHRES
Trotz einer Reihe guter, achtungswerter neuer Werke
am ehesten auf achtbarer Höhe. Ricarda Huchs
1 ist der Gesamtanblick der letzten Ernte unserer
temperamentvolle Gedichte und Jgnes Miegels Bal¬
schönen Literatur wenig erfreulich. Auf allen Gebieten
laden und Gedichte ragen immerhin über das Mittel¬
sind unsere Dichter eifrig am Werk, neue Wahrheiten,
maß auch der guten Literatur hinaus. Rosa Mapreder
neue — oder auch alte — alleingültige Formen zu
offenbart in ihren „Sonetten“ einen starken Form¬
schaffen. Man ringt mit mehr oder weniger Einsicht
sinn, der freilich zuweilen den unmittelbaren Ausdruck
um Stil, um Formschöne, um das „große Drama“ oder
der Tiefe und Ursprünglichkeit ihres Empfindens be¬
„den Roman unserer Zeit“. Und über all dem wird
engt. Ihr Landsmann Schaukal bringt im „Buchider
das eigentliche Schaffen immer mehr umstrickt vom
Seele“ eine kleine Sammlung formruhiger Gedichte
Künstlichen des Gewollten, Geformten, Aufgefüllten
zusammen mit einer Reihe unbeträchtlicher Über¬
und Posierenden. Auf der andern Seite herrscht
setzungen. Stean Zweig, ebenfalls Wiener, gibt wie
weithin in Künstlerkreisen die seltsame Meinung, daß
so manche seiner Art mehr die gesuchte Betonung
ein sorgfältiges, aufs Ganze bedachtes Arbeiten der
einer Empfindungsnuancz, als diese selbst und verfällt
poetischen Lenzblüte Duft und Schimmer abstreifen
so ins flatternd Dekorative, bevor das Gerüst fest
müsse, und so werdien wir, selbst von höherstehenden
steht, das die Wimpel tragen soll. M. K. 7. Tielos
Schaffenden, immer häufiger mit Unfertigem und Un¬
„Klänge aus Litauen“ bilden einen umfangreichen
gereiftem bedacht. Daß einige früher hoffnung¬
Band, in dem wirklich Erlebtes und Stimmungsvolles
erweckende Talente stillzustehen oder gar zurück¬
mit allzu viel Langweiligem und Flachem vermischt
zugehen scheinen, kommt dazu, um das Bild noch
ist. Von Mlsons Pagust, dessen tiefgefühlte und in
weniger anziehend zu machen.
freindartig-neuen Tönen daherrauschende Gedichte
Am spärlichsten ist wohl das dramatische Feld
„Auf Erden“ weit bekannt wurden, erwarten auch
besät. Gerhart Hauptmanns letztes Werk, das Legen¬
wir noch manches Gute. Mf. Dauthendeys, Gustau
spiel „Kaiser Karls Geisel“, zeigt alle guten und alle
Schülers, M. Geißlers, Otlo J. Bierbaums und auch
lähmenden Eigenschaften seiner unmittelbaren Vor¬
des allzu unfertigen Neulings Schirmer neue Gedicht¬
gänger. Ein menschlich tief und zart gefühlter Vor¬
bände dünken uns wenig bedeutsam, die Mehrzahl

gung
der alternde Kaiser im Lie# sbann eines
dieser Lyriker gab bei weitem Besseres schon in
Sachsenkindes, in dem das ursprüngliche Heidentum
früheren Büchern. Styan Grorges neuer Band ist
begehrlich wild aber als Menschheitjugend lebt
seinen alten Verehrern zwar abermals zur „Offen¬
spielt sich in ergreifenden, doch unfertigen und lose
barung“ geworden, uns aber offenbart sich nur das
gefügten Szenen ab. Auf das dramatisch festgefügte,
eine wieder: daß wirs in ihm mit einem vornehmen
von all seiner lebendigen Gestaltungskraft durch¬
und vielbewegten Geist, einem sicheren Former, aber
wärmte Werk, das viele so lange schon von ihm
nimmermehr mit einem ursprünglich schaffenden Ly
erhoffen, warten wir noch immer. Wühelm Weigand
riker zu tun haben. Nicht einmal die Tiefe seines
holt auch seinen neuesten Stoff, „Der Gürtel der
Geistes vermögen wir überall anzuerkennen, trotz
Venus“, aus der Renaissancezeit. Und abermals ge¬
der düsteren und berauschenden Formen, diere
lingt ihm statt eines Dramas nur ein farbiges, aber
liebt. Einen recht ansprechenden, wohlgewählten und
diesmal nicht einmal klar komponiertes Zeitgemälde
wohlausgestatteten Band gab Fr. Langheinrich heraus,
ohne Natürlichkeit und ohne mitreißende, nicht „zer¬
Gedichte, die von einem sicheren Können, von einem
stilisierte“ Leidenschaft. Ernst Hardt versucht einen un¬
ehrlich und fein fühlenden Geist zeugen, dem auch die
seres Erachtens undramatischen, gänzlich schlußlosen
Sprache selten ermangelt, wenn schon hier und da die
Stoff in das Gewand der Verstragödie zu stecken
Tiefe. Ungefähr umgekehrt steht es bei den Versen
(„Tantris der Narr“). Das alte Lied von der einsamen
eines anderen Münchners, Mülhelm Michel; das sub¬
sot, die den Neffen ihres alternden Gernahls liebt
jektive Erlebnis ist häufig durchzuspüren, aber das
und so wenig von ihm wie er von ihr lassen mig, also
„erlösende Wort“ bleibt aus. Den neuen Gedichtband
daß Leid und Not über sie kommt — in Marat mag
von Cäsar Mlaischlen konnten wir noch nicht lesen.
manches davon als Erlebnis frisch und stark gewesen
Zuletzt seien hier noch Mdolj Freps Gedichte genannt,
sein; nun aber geht sein Fühlen in diesem sorgsam ge¬
die dieses Jahr endlich eine zweite Auflage eriebten.
formten Werke steif und befremdend daher, und nurganz
Ein Überblick über die Prosa zeigt uns einige aus¬
selten schlägt eine Flamme empor oder läßt ein scharfes
gezeichnete und eine Reihe guter Werke: doch auch
Wort, eine Szene die ursprüngliche Kraft des Autors
hier ist die Klage berechtigt, wo sind die Kräftigen,
ahnen. Überraschend kräftig zeigt sich hingegen E. v.
die Stilsicheren, wo die Gescheiten? Denn daran
Bodmann in dem geschlossenen, warmen Werke „Der
leidet unser Schrifttum nicht zuletzt, daß unsere Dich¬
Freindling von Murten“, die Tragödie zweier Lie¬
ter sich scheuen, auch an geistig gewichtigen Stoffen
benden, die in der von Karl dem Kühnen belagerten
ihre künstlerische Gestaltungskraft zu zeigen. Zeit¬
Stadt sich finden und zugleich vom Tode geschieden
gemälde wie Bierbaums „Prinz Kuckuck“ oder Schlafs
werden: das Stück hat auch bereits einen Bühnen¬
„Prinz“ können, soviel sie Angeschautes und Wohl¬
erfolg zu verzeizanen. In einen sehr menschlichen,
bedachtes, auch Gestaltetes enthalten, und so hohe
wohl auch sehr modernen Konflikt stellt Heinrich Ldien¬
Achtung man der darin steckenden Arbeit ent¬
ein den Helden seines Schauspiels „Der große Tag“
gegenbringen mag, doch nicht auf eine besondere
in die Wahl zwischen innerem Anstand und äußeremn
und bleibende Bedeutung Anspruch erheben, weil das
Aufstieg zu politischer Macht — etwas zu theatralisch.
allzustarke Bewußtsein des Gegenwärtigen das Heraus¬
In der Lyrik halten die Frauen dies Jahr noch
lösen des Dauernden erschwert. Wir haben in der