I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 246


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ins Freie
23. Der We
Nr. 3
Die HILFE
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bloßem Auge, der Erscheinung nach, die trotz der Grund¬
einsamung und der Entfremdung. Oben angelangt wird er von
losigkeit des Weges bald wie ein Traum entschwunden war.
den andern befreit sein.
Auch von sich selbst?
Darauf kehrte er zu dem unterbrochenen Opferfeste der
Gibt es einen Weg zur Selbstbefreiung?
Gastfreundschaft zurück. Da lagen sie nun, die Kostbarkeiten
Und ist nicht das die Frage, die der Dichter stellen wollte?
alle! das meiste war gekauft und bezahlt, das wenigste
Auguste Hauschner.
konnte zurückgegeben werden. Ein Teil der Eßwaren forderte
schleunigst in Angriff genommen zu werden, wenn er
nicht verderben sollte. So war denn im Pfarrhause von
Die beiden Cubus
Y. .. burg der Luxus eingezogen, freilich für ein paar Tage
Erzählung von Hermann Kurz.
bloß, und in den paar teuer erkauften Tagen gedachte der
Pfarrer alter unnennbarer Stunden, und ging der Frau und
(6. Fortsetzung.)
den Kindern ein Begriff vom Paradies der Reichen auf.
Er sah sich bereits in ** auf weithin sichtbarem Posten
Wie aber die feinen Genüsse auch auf die Verseinerung
angestellt, ein Monument der Blindheit seiner engeren
der Seelenvermögen, besonders der Vorstellungskraft, ein¬
Heimat, die eine ihrer besten Kräfte nicht zu schätzen gewußt.
wirken, so kam den Pfarrer bei Gänseleberpastete und Vor¬
Die schon halb eingerostete Technik seines einst so beweg¬
deaux, bei Rehbraten und Champagner, plötzlich ein Gedanke

lichen Kopfes kam immer besser in Gang — er sprühte
an, der glücklich genannt zu werden verdiente, falls er
sprühte vielleicht etwas zu stark für einen ermüdeten und von
nämlich begründet war.
dem erlittenen Unfall noch angegriffenen Reisenden, der nicht
Der Erbprinz von*“ galt für einen Fürsten von Geist,
bloß Fürst, sondern auch Mensch war und zuletzt mit me¬
idealer Richtung und duftig zartem Gemüt. Die beiden
lancholischer Energie zu Bette verlangte, so daß das Geistes¬
letzteren Eigenschaften hatte er sicherlich bewiesen, als er
feuerwerk seines Wirtes, der ihn nicht länger aufzuhalten
einem Wirt, anstatt einer Erkenntlichkeit substantiellerer,
vermochte, noch vor Anwendung der zündendsten Effekte unter¬
zugleich aber auch gemeinerer Art, seinen Tubus zum Geschenk
brochen wurde. Die Verzweiflung desselben, dem hohen Gaste
gemacht hatte. Wie aber, wenn man auch die erstere der
ein schlechtes Nachtlager anweisen zu müssen, während
drei Eigenschaften mit in Rechnung nahm, war dann nicht
modernste Matratzen, gesteppte Decken, französische Teppiche,
noch eine weitere Deutung des Geschenks erlaubt, ja geboken?
um schweres Geld und die besten Worte aus einem be¬
War's nicht möglich, war's nicht wahrscheinlich, daß der hohe
rühmten Gasthofe der Umgegend gemietet, im Anzuge waren
Geber, der ja gegenwärtig selbst noch nicht freie Hand hatte,
ihn ungegessen zu Bett zu schicken, während ein #farr¬
dem Pfarrer durch diese Hieroglyphe ganz leise sagen wollte,
häuslicher Nahrungsstand für Monate zu einem einzigen
er solle in die Ferne blicken, er solle sich als auf die Zukunft
Souper homöopatisiert herangepflogen kam — mit Worten
angewiesen betrachten? Je länger er dem Gedanken nachhing,
ist diese Verzweislung nicht zu schildern.
desto mehr wurde ihm derselbe zur Gewißheit und durfte
Aber auch dem Prinzen, der ahnehin nicht auf Rosen
daher auf alle Fälle mit Recht ein glücklicher heißen, weil
gebettet war, folgte die Strafe für seine Ungeduld auf dem
er seinen Urheber glücklich machte, aber auch freilich nur, so
Fuße nach; denn kaum mochte Se. Hoheit eine Stunde zu
lang er dies tat.
ruhen geruht haben, so war es mit der Nachtruhe gänzlich
Leider jedoch wurde der Pfarrer schon nach wenigen
vorbei. Der erste Vortrab der Lieferungsemissäre erschien,
Tagen aus seinen Himmeln herabgestürzt. Die Zeitungen
von Viertelstunde zu Viertelstunde langten andre an, je nach
brachten aus jenem nördlichen Staate die Nachricht vom
den Eutsernüsigen unde den Gesetzen ihrer eigenen Bewegung,
Hintritt des regierenden Fürsten, vom Regierungsantritt des
und das Getrappel und Getrampel hörte die ganze Nacht
Erbprinzen und einem zugleich damit eingetretenen großen
nicht auf. Die Pfarrfamilie war aufgeblieben, um die be¬
Systemwechsel, wobei die neuen Ernennungen, sowohl in
stellten Gegenstände. man denke sich mit welchen Gefühlen!
geistlichen als weltlichen Amtern, dem Pfarrer sogleich klar
nach und nach in Empfang zu nehmen.
machten, daß jetzt oder nie die Anweisung auf die Zukunft,
Mit dem frühesten Morgen traf das fürstliche Gefolge
wenn er sie richtig verstanden habe, sich verwirklichen müsse.
un dem Schauplatz ein. Es hatte seinen Herrn die Nacht
Während er aber stündlich auf eine Vokation wartete, kam
hindurch nach allen Richtungen gesucht, mancherlei Abenteuer
ein Schreiben vom Privatsekretär des auf den Thron ge¬
bestanden, und erst im Dämmerungsgrauen, durch einen mit
langten Prinzen, das in verbindlichen, jedoch kahlen Aus¬
leeren Händen heimkehrenden Nachzügler zurechtgewiesen,
drücken noch einmal den nunmehr allerhöchsten Dank seines
die Fährte des edlen Wildes aufgespürt. Der Prinz, froh,
gnädigsten Herrn für die freundliche Beherbergung aussprach.
aus den Federn oder vielmehr aus der Spren und dem See¬
Der Blick in dieses Schreiben glich dem Blicke in ein
gras zu kommen, eilte zu den Seinigen hinab, die ihn mit
Fernrohr, dessen andres Ende mit einem Deckel versehen ist.
Begeisterung umringten, so daß er die Wohnstube, in der
„Durlach!“ sagte der Pfarrer von Y . .. burg und leerte
eine ganze Christbescherung ihm erzählt haben würde, wie
mit einem trotzigen Zuge sein letztes Glas Bordeaux. Der
hoch man ihn zu ehren bestrebt gewesen sei, gar nicht mehr
Name der vormaligen markgräflichen Haupt= und Residenz¬
zu sehen bekam. Er bedeutete dem nachstürzenden Pferrer,
stadt, den er bei diesem Anlaß und seitdem häufig im Munde
daß er jetzt doppelte Eile nötig habe, um die versäumte Zeit
führte, trug für ihn eine sprichwörtliche Bedeutung. Er hatte
einzubringen, und da er zugleich in der Weise der Großen,
in seinen Universitätsjahren einen alten blödsinnigen Spitaliten
die das Wort sehr geschickt von der Tat abzuschälen wissen,
gekannt, der sich auf den Gassen herumtrieb und besonders
den größten Eifer bezeigte, die Dame des Hauses aufzu¬
den Studenten zur Belustigung diente. Diesem hatte vor
uchen, ohne jedoch einen Fuß zu rühren, so blieb dem
unzählig vielen Jahren einmal ein Student versprochen, ihn
Pfarrer nichts übrig, als seine Frau herabzurufen.
in den Ferien auf eine Reise nach der genannten Stadt mit¬
Der Abschied wurde am Fuße der uns schon bekannten
zunehmen, eine Aussicht, die fortan die Wonne seines Lebens
Freitreppe genommen. Der Prinz ging zu seinem Wagen
blieb. Was dem liebenden Herzen die Erfüllung des schönsten
und winkte seinen Reisemarschall heran, der nach kurzer Unter¬
Traumes, dem ringenden Forscher die Entdeckung der höchsten
redung zu dem Pfarrer kam und ihm einige Goldstücke „für
transzendenten Wahrheit ist, alles, was das Leben schmückt,
die Dienerschaft“ einhändigen wollte. Der Pfarrer verbeugte
was wert ist, ein Ziel des Wünschens und Hoffens zu sein,
sich ablehnend, indem er mit anständiger Freimütigkeit er¬
stellte sich diesem kindlichen Gemüte in dem einen Worte
klärte, daß er weder Knecht noch Magd habe, und daß die
„Durlach“ dar. Er rief es jedem Begegnenden zu, wobei
Bedienung in seinem Hause rein patriarchalisch sei. Exzellenz
er den Mund bis zu den Ohren verzog. Daß der Traum
zog sich mit Apprehension zurück und erstattete dem Gebieter
nie zur Wirklichkeit wurde, kümmerte ihn nicht; ihm genügte,
Rapport, worauf der Pfarrer an den fürstlichen Wagen
ihn beseligte der bloße Gedanke, und er lebte und webte
gerufen wurde. Der Prinz drückte ihm wiederholt seinen
darin sein ganzes, an die achtzig Jahre füllendes Leben
Dank in den gnädigsten Worten aus und reichte ihm sodann
lang, bis er zur ewigen Ruhe und, wie ein frommer
nach einem verlegenen Zaudern von ein paar Sekunden aus
Student in der Leichenrede hinzufügte, in das himmlische
einer Nische des Wagens sein kostbares Reisefernrohr mit der
Durlach einging.
Bitte, es zum Andenken zu behalten, dar. Eine graziöse Hand¬
Die Erinnerung an diesen glücklichen Idioten war es,
bewegung, die Pferde zogen an, die andern Wagen folgten,
bei welcher der Pfarrer den Ausdruck borgte, um in bitterster
und der Pfarrer sah, den Tubus in der Hand, jedoch mit