ins Freie
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Deutsche Rundschau.
winkel gewisser Kreise, und für diese gewiß triftig, als ödes, gleichgültiges Geschwätz
abgetan wird, oder eine junge Sozialistin sich von ihrer Mission auf der Luftreise
mit einem windigen Lebemann erholt. Das Judentum, empfindlich und überklug,
selbstbewußt und selbstverachtend, unsicher in dem zu intimen oder zu fremden, zu
pathetischen oder zu witzelnden Ton, ohne unbefangene Haltung unter sich und gegen¬
über andern Schichten wird von Schnitzler mit unerschöpflicher Wahrnehmung des
einzelnen und einer gleich dem Strom, der ewig fließt, ergossenen, nie langweiligen,
doch allgemach die Nerven irritierenden Beredsamkeit dargestellt. Und wie charak¬
teristisch für ihn ist auf S. 446 ein Bekenntnis über die Ungerechtigkeit, zu der der
Dramatiker verpflichtet sei! Hier will er nirgend richten, sondern Umschau halten,
ergründen. Statt der scharfen, stählenden Höhenluft des Venn umhaucht uns die
laue, weiche Atmosphäre des Wiener Waldes, Italiens, Luganos. Das Wort von
der „Wärme dieses schmeichlerischen Spätoktobertags, durch den doch immer eine ge¬
fährliche Kühle geweht kam“, mag Georgs Verhältnis zu Anna bezeichnen, die eine
mysteriöse Grace ablöst. Kein süßes Mädel und kein Anatole stehen einander gegen¬
über, sondern ein auf bequemen Lebens= und Liebesgenuß und auf feine, doch lässige
Kunstübung gerichteter Aristokrat und ein reifes Mädchen, stärker und treuer als er,
auch sie Musikerin, vom Wert ausdauernder Arbeit durchdrungen, ohne heißes Tem¬
perament sich hingebend keine Mahnerin zur Ehe doch mit einer verschwiegenen,
unerfüllbaren Hoffnung darauf, aller mütterlicher Anlagen teilhaft, aber des Kindes
in der von Schritt zu Schritt herangeführten Geburtsstunde beraubt. Wie sehr
unser Dichter jeder entschiedenen Tragik ausweicht, zeigt nicht bloß die im denkbarsten
Gegensatz zum „bürgerlichen Trauerspiel“ gefaßte Unterredung zwischen Papa Rosner
und dem Herrn Baron oder das von minder nahe beteiligten Personen ernster Ge¬
sprochene, sondern Annas Resignation und die schwache Haltung Georgs der nach
dem „Malheur“ mitten im Affekt doch das tiefe Gefühl, frei sein zu wollen hegt
und endlich ein mildes Abschiednehmen von mancherlei Glück und Leid herbeiführt.
Was der Räsonneur Nürnberger über Bermann sagt, gilt nicht allein diesem:
„Menschen, die sich so viel, fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigen, überwinden
ja seelische Schmerzen überraschend schnell;“ das geringfügigste physische Unbehagen
lastet drückender auf ihnen als alle Herzenspein, „es rührt wohl daher, daß jeder
Seelenschmerz irgendwie unsrer Eitelkeit schmeichelt".
Einen inneren und äußeren Kontrast zu dem Wiener Semitentum des Schnitzler¬
schen Werkes bildet Georg Hermanns zweiter Roman von der jüdischen Familie
Berlins, „Henriette Jacoby“ als unmittelbare Fortsetzung seines „Jettchen Gebert“.
Wer vielleicht im Hinblick auf den etwas veränderten Buchschluß dieses zu wohl¬
verdientem Erfolg gekommenen Erstlings eine literarische Fruktifikation argwöhnte,
mag es dem Verfasser nun abbitten, denn er ist durchaus der innerlichen Vertiefung
nachgegangen. Er versagt es sich, etwa Onkel Naphtali als komische Figur vor¬
zuschieben oder die geschäftlichen und erotischen Abwege des sauberen Strohwitwers
Joel=Julius zu verfolgen, sondern entläßt bald die Benschener Sippen samt Pinchen
und Rosalie, hält sich im alten Hause Gebert zwar etwas zu ausgiebig an die
rührende Linie des greisen Eli und seines Minchen, wendet aber alle zarte Seelen¬
kunde und Gestaltung an Jettchen und Jason, den vornehmsten der Familie, bei
dem die vom Hochzeitsmahl Entflohene Zuflucht gefunden hat. Auch hier fesseln
uns Schilderungen, die mit den Charlottenburger Aquarellen des vorigen Bandes
bescheidener wetteifern: Berliner Weihnacht, Potsdamer Rokoko; auch hier wird das
Leben von 1839 und 1840 ohne Überladung durch viele kleine Züge aus der Ge¬
sellschaft, Politik und Literatur illustriert. Das Hauptinteresse jedoch bleibt bei der
jungfräulichen Frau, wie sie sich trotz der von Jason begünstigten Liebesstunden
immer mehr dem Geliebten Kößling entfremdet, nicht wegen der Heimkehr zur
Familie, sondern weil sie die aus feiner Ironie und zarter Resignation gemischte Neigung
des alternden Oheims ebenso leise erwidert. Dieser ganze stockende Verlauf
samt
Kößlings unsicherem Literatenwesen ist andächtig und überzeugend dargetan, bis
G
weiß
mußt
Na¬
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winkel gewisser Kreise, und für diese gewiß triftig, als ödes, gleichgültiges Geschwätz
abgetan wird, oder eine junge Sozialistin sich von ihrer Mission auf der Luftreise
mit einem windigen Lebemann erholt. Das Judentum, empfindlich und überklug,
selbstbewußt und selbstverachtend, unsicher in dem zu intimen oder zu fremden, zu
pathetischen oder zu witzelnden Ton, ohne unbefangene Haltung unter sich und gegen¬
über andern Schichten wird von Schnitzler mit unerschöpflicher Wahrnehmung des
einzelnen und einer gleich dem Strom, der ewig fließt, ergossenen, nie langweiligen,
doch allgemach die Nerven irritierenden Beredsamkeit dargestellt. Und wie charak¬
teristisch für ihn ist auf S. 446 ein Bekenntnis über die Ungerechtigkeit, zu der der
Dramatiker verpflichtet sei! Hier will er nirgend richten, sondern Umschau halten,
ergründen. Statt der scharfen, stählenden Höhenluft des Venn umhaucht uns die
laue, weiche Atmosphäre des Wiener Waldes, Italiens, Luganos. Das Wort von
der „Wärme dieses schmeichlerischen Spätoktobertags, durch den doch immer eine ge¬
fährliche Kühle geweht kam“, mag Georgs Verhältnis zu Anna bezeichnen, die eine
mysteriöse Grace ablöst. Kein süßes Mädel und kein Anatole stehen einander gegen¬
über, sondern ein auf bequemen Lebens= und Liebesgenuß und auf feine, doch lässige
Kunstübung gerichteter Aristokrat und ein reifes Mädchen, stärker und treuer als er,
auch sie Musikerin, vom Wert ausdauernder Arbeit durchdrungen, ohne heißes Tem¬
perament sich hingebend keine Mahnerin zur Ehe doch mit einer verschwiegenen,
unerfüllbaren Hoffnung darauf, aller mütterlicher Anlagen teilhaft, aber des Kindes
in der von Schritt zu Schritt herangeführten Geburtsstunde beraubt. Wie sehr
unser Dichter jeder entschiedenen Tragik ausweicht, zeigt nicht bloß die im denkbarsten
Gegensatz zum „bürgerlichen Trauerspiel“ gefaßte Unterredung zwischen Papa Rosner
und dem Herrn Baron oder das von minder nahe beteiligten Personen ernster Ge¬
sprochene, sondern Annas Resignation und die schwache Haltung Georgs der nach
dem „Malheur“ mitten im Affekt doch das tiefe Gefühl, frei sein zu wollen hegt
und endlich ein mildes Abschiednehmen von mancherlei Glück und Leid herbeiführt.
Was der Räsonneur Nürnberger über Bermann sagt, gilt nicht allein diesem:
„Menschen, die sich so viel, fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigen, überwinden
ja seelische Schmerzen überraschend schnell;“ das geringfügigste physische Unbehagen
lastet drückender auf ihnen als alle Herzenspein, „es rührt wohl daher, daß jeder
Seelenschmerz irgendwie unsrer Eitelkeit schmeichelt".
Einen inneren und äußeren Kontrast zu dem Wiener Semitentum des Schnitzler¬
schen Werkes bildet Georg Hermanns zweiter Roman von der jüdischen Familie
Berlins, „Henriette Jacoby“ als unmittelbare Fortsetzung seines „Jettchen Gebert“.
Wer vielleicht im Hinblick auf den etwas veränderten Buchschluß dieses zu wohl¬
verdientem Erfolg gekommenen Erstlings eine literarische Fruktifikation argwöhnte,
mag es dem Verfasser nun abbitten, denn er ist durchaus der innerlichen Vertiefung
nachgegangen. Er versagt es sich, etwa Onkel Naphtali als komische Figur vor¬
zuschieben oder die geschäftlichen und erotischen Abwege des sauberen Strohwitwers
Joel=Julius zu verfolgen, sondern entläßt bald die Benschener Sippen samt Pinchen
und Rosalie, hält sich im alten Hause Gebert zwar etwas zu ausgiebig an die
rührende Linie des greisen Eli und seines Minchen, wendet aber alle zarte Seelen¬
kunde und Gestaltung an Jettchen und Jason, den vornehmsten der Familie, bei
dem die vom Hochzeitsmahl Entflohene Zuflucht gefunden hat. Auch hier fesseln
uns Schilderungen, die mit den Charlottenburger Aquarellen des vorigen Bandes
bescheidener wetteifern: Berliner Weihnacht, Potsdamer Rokoko; auch hier wird das
Leben von 1839 und 1840 ohne Überladung durch viele kleine Züge aus der Ge¬
sellschaft, Politik und Literatur illustriert. Das Hauptinteresse jedoch bleibt bei der
jungfräulichen Frau, wie sie sich trotz der von Jason begünstigten Liebesstunden
immer mehr dem Geliebten Kößling entfremdet, nicht wegen der Heimkehr zur
Familie, sondern weil sie die aus feiner Ironie und zarter Resignation gemischte Neigung
des alternden Oheims ebenso leise erwidert. Dieser ganze stockende Verlauf
samt
Kößlings unsicherem Literatenwesen ist andächtig und überzeugend dargetan, bis
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