I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 265

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8
Strussburger Post
02
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S
„Der Weg ins Freie“, Roman von Arthur Schnitzler.
(Berlin 1908, S. Fischer.) Es kann nicht verhehtewerden d
erste Roman des gefeierten Dramatikers und Novelisten allgemein ent¬
täuscht hat; enttäuscht durch eine schier endlose Breite der Darstellung,
durch eine nur wenig spannende Handlung und durch eine recht ein¬
förmige Auswahl der Umwelt. Das Wiener Jndentum mit all seinen
Schattierungen und Abstufungen bildet den Hintergrund für die harm¬
lose Liebesgeschichte eines jungen Künstlers mit einer kleinen Spie߬
bürgerin. Das Paar lebt ein Jahr zusammen, ohne an eine bindende
Form zu denken. Als dann das Weib sich Mutter fühlt, ist der Mann
bereit, dem Kinde auch seinen Namen zu geben, aber er fürchtet sich vor
einer Ehe mit seiner Gellebten, denn er weiß, daß ihn Nüchternheit und
Philisterium darin erwartet. Und so erscheint ihm die Tatsache, daß das
Kind tot geboren wird, als ein Weg ins Freie, den er auch nicht
zandert, sobald als möglich einzuschlagen. Aber diese Handlung ist
nicht das Wesentliche des Buches; das ist vielmehr die Schilderung
jüdischen Lebens und jüdischer Menschen in Wien, in Oesterreich; und
n dieser Schilderung zeigt sich Schnitzlers ganze Meisterschaft;
seine
wundervolle Charakterisierungskunst, seine lebendige Gestaltungskraft.
Diese Einzelheiten sind von einer Treue und Glaubsürdigkeit, die er¬
greifend und spannend wirken, sie sind — den Rahmen eines Romans
weit überragend
— ein reizvolles Stück moderner Kulturgeschichte
Und wie gelungene Einzelheiten der Figuren mit dem Verfehlten des
Ganzen versöhnen, so sind es Einzelheiten des Stils, die mit der allzie
großen Breite versöhnen: kleine Bemerkungen, tiefempfundene Gedanken¬
gänge, scharfgefaßte Worte, in denen Welt und Leben oft in ganz über¬
raschend klarer und schöner Weise zum Ausdruck kommen. So hat
auch diesmal der Novellist in reichstem Maße gespendet, wo der Roman¬
schreiber nichts zu geben vermochte, und um der Fülle des Vollendeten
willen lohnt es, das Unvollendete geduldig und nachsichtig in den Kauf
zu nehmen. Dann wird sich mit der Erinnerung an diese Werte auch
nicht der Gedanke der Enttänschung verbinden, sondern die Empfindung
einer warmen Dankbarkeit für einen großen Dichter.
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Der Weg ins Freie.
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Der Weg ins Freie.
„Bis Du erkennst, wie eitel all Dein Thun,
Und zagend Dich dem irren Walten neigst:
Die Stunde kommt, da Du in greisem Ruhn
Verwelkend schweigst.“
n Deutschland herrscht, seit Wilhelm der Zweit den Thron bestiegen hat,
6 der Superlativ. Nur eine Minderheit wehrt sich schon seit Jahren gegen
die großen Worte und will sie für wahrhaft große Gegenstände aufgespart wissen.
Die Unsitte aber, stilistisch übers Ziel hinauszuschießen, ist auch in die Kritik
(besonders in die Kritik epischer Werke) eingedrungen. Die Kritiker der drama¬
tischen Literatur hüten sich, seit Hauptmanns débäcle, etwas sorglicher davor,
enthusiastisch zu sein. Qui trop embrasse, mal étreint: Wer zu viel sagen will,
sagt zu wenig. Ich möchte also von einem Buch, das in die Kategorie der „stillen
Bücher“ gehört, ohne marktschreierisches Pathos sprechen. Nichts wäre stilwidriger,
als gerade dieses Buch mit Charlatangeberden anzupreisen.
„Der Weg ins Freie“ von Arthur Schnitzler (S. Fischers Verlag). Der
Roman könnte eben so gut „Das Leben ein Träum heißen; und mit diesem Titel
wäre Das ausgesprochen, was für mich den feinsten Reiz des Buches ausmacht.
Die Menschen, die Häuser, die Landschaften sind mit einem duftigen Schleier über¬
sponnen, Nebel liegt um sie und über ihnen, aber kein nordisch feuchter, sondern
südlich strahlender: Sonnennebel, Märchennebel. Alle „Figuren“ die auftreten
doch nein, Das klingt zu mechanisch, also: alle „Menschen“, die auftreten,

sind doch nur Schatten, nur Silhouetten. Dem Buch fehlt jede Plastik. Und nun
ist es sonderbar, wie dieser Mangel allmählich, ganz allmählich zu einem hohen
Vorzug wird. Eine wundervolle Einheitlichkeit ist die Folge dieser lediglich zeich¬
nerischen Darstellungweise. Das Buch athmet nur; leise hebt und senkt es sich in
ihm. Und die Menschen wandeln umher, bewußt und doch traumhaft und wieder
ihres Traumes bewußt. Gipfel erklimmen wir nicht; starke, leidenschaftliche Theil¬
nahme löst der Dichter nicht aus, aber er beschwichtigt uns mit holder Innigkeit
und zieht uns mit leiser Lockung, mit unwiderstehlich stiller Kraft so hinein in
dies wirklich=unwirkliche Spiel, daß wir uns vor dem Augenblick fürchten, in dem
wir diese Welt verlassen und wieder den Weg ins Freie finden müssen.
Erstaunlich ists, daß dabei dies Buch ein ganz „aktuelles" Thema behan¬
delt: die Judenfrage. Ich kann über diese Frage nichts Erlebtes sagen, da ich
nicht Jude bin. Es hat mich nur befremdet und betrübt, daß ein Mann wie
Arthur Schnitzler an seiner jüdischen Abstammung so schwer leidet, daß er einer
poetischen Befreiung überhaupt bedarf. Die „Frage“ ist mit sehr viel Geist, mit
Gerechtigkeitsinn und psychologischem Flair behandelt; mir aber scheint besonders
verdienstlich, daß diese „Aktualitäten“ und diese Aphorismen die vornehme Tö¬
nung des Buches nicht grell befleckt, seine noble Haltung nicht zerstört haben.
Nicht selten wird geplauscht, wienerisch geplauscht, aber auch dies Getändel
zerreißt nicht mit „Geistesblitzen“ die Atmosphäre. Eine sanfte, liebenswürdige,
fatalistische Schwermuth umhüllt uns ganz. Und Das ist an dieser literarischen
Leistung das Bedeutende, daß sie in so eminentem Grade Stil und Stimmung