I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 268

23. Der Nei
ins Freie
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— Ausguck.
Birschborn, seine beiden Frauen und
seinen tollkühnen Sohn Bans. Eine
innerlich geschlossene Dersönlichkeit ist
der Ritter indes nicht, sonst hätte er
sich ruhiger und glücklicher gefühlt
vor bösen Ahnungen und vermeintlich
unabwendbarer Schicksalsrache we¬
niger Scheu gehabt. Scht deutsch mag
das damals wobl alles gewesen sein.
Am böchsten stellen wir den bistorischen
5intergrund in diesem Buche: die
anschauliche Schilderung des bäus¬
lichen Lebens des Adels in jener Seit,
der prunkvollen Bofbaltung Sriedrichs V.
von der Dfals, des „Winterkönigs“ im
berrlichen Beidelberger Schlosse, und
die Charakterisierung der Soldateska
des dreißigjäbrigen Krieges.
Auf
diesem Gebiete könnte sich mancher
Schriftsteller Schmittbenner zum Vor¬
bild nehmen, aber die von ihm ein¬
geschlagenen neuromantischen Dfade
ollte man mit Vorsicht betreten. Eine
Gestalt wie „die Beußerin von Ingel¬
beim“, dieser alte Schicksalsdrache, ist
mir schließlich sehr unangenehm auf
die Terven gefallen. Schmittbenner
erzählt im allgemeinen schlicht und
achlich und doch kann auch er
seltsame Eitelkeit! — ab und an eine
(Danieriertheit nicht unterdrücken.
Es ist nicht leicht, Artbur Schnitz
ers Roman „Der Wegins Freie“
zu besprechen, zumal an dieser Stelle.
edes einzelne Lob würde dann wohl
wieder von moralischen Heißspornen
als Empfeblung des Ganzen ausgeleg
und ein Resseltreiben gegen die Seit¬
schrift und den Herausgeber unter¬
nommen werden. Wenn diese Seit¬
schrift mehr als ein literarischer Seelen¬
wegweiser für Jungfrauenkongrega¬
tionen sein will, muß man aber auch
die Romane eines Artbur Schnitzler
hier besprechen. (Dich hat dieser
jüdische Roman geradezu angewidert
und doch habe ich ihn gegen meine
Absicht vom ersten bis zum letzien
Worte mit stets gleichem Interesse
gelesen. (Dan hat Schnitzler zu den
dekadenten Geistèrn gerechnet. Ich
kann nicht finden, daß er selbst zu
ibnen gehört. Aber vortrefflich weiß
er die Dekadenz bei (Dännern und
Frauen seiner Breise zu schildern. (Dit
*) Berlin, S, Fischer.
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schonungsloser Wahrhaftigkeit.
darin liegt die Ursache seiner An¬
ziebungskraft. (Dag das Geschilderte
weder schön noch moralisch sein

fühlt man, daß der Schilderer wahr
ist, so wird man gefesselt, weil man
viel von ihm lernen kann. Leute, die
nfolge der ihnen eigentümlichen (Doral
sich oder andere belügen, urteilen
natürlich anders. Und sie schnüffeln
auch stets nach einer Cendenz.
„In
der Dovelle „Leutnant Gustl“ hatte
Schnitzler das österreichische Offizier¬
korps geradezu abscheulich tendenziös
geschmäbt. Und in den Rreisen des
österreichischen Offizierstandes und Be¬
amtentums konnte er wohl nicht mehr
anders angeseben werden, als bei uns
etwa sozialdemokratische Schmäbschrei¬
ber oder die Herrschaften der (Dontags¬
blätter oder (Daximilian Barden in
nationalen Rreisen empfunden werden.“
Dieses tendenziöse Geschwafel las ich
n der „Deutschen Tageszeitung“
Schnitzler wird in österreichischen Of¬
izierkreisen ebenso gern gelesen wie
n deutschen, und die 30000 Leser der
„Sukunft“ rekrutieren sich zum größten
Ceile aus konservativen Großgrund¬
besitzern, höberen Beamten und Offi¬
zieren. Weshalb? Weil Barden der
einzige Dublizist ist, der seit zwanzig
Jahren unerschrocken die Wahrheit ge¬
agt hat, wenn auch vielleicht wie eben
er sie sah.
In diesem Schnitzlerischen Roman
werden die teutonischen Biedermeier
wohl nach keiner Tendenz suchen
wollen, denn wenn sie ehrlich wären,
müßten sie sagen, sie richte sich gegen
die Wiener Judenschaft. Vernünftigere
Leute werden sagen, das beste Seichen
für Schnitzler ist, daß er als Jude den
jüdischen Schwächen und Vorurteilen
vorurteilsfrei gegenüberstebt. Auch auf
die Frage, ob das semitische Wesen
für uns ein Übel sei, gibt das Buch
ede nur wünschenswerte Antwort.
Das Judenproblem als solches wird
aber weder berausgeschält noch gar
gelöst. So bedeutet der Roman auch
nicht einen Weg ins Freie für die
juden. Für den jungen Freiberrn Georg
von Wergenthin, der sich in ihren
Breisen zum gewissen Überphilosophen
und Genüßling entwickelt, gleichfalls
nicht, denn dadurch daß man seinen