I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 309

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wenn wir größer wären, als die, auf deren Schultern wir stehn, weil
wir über sie wegsehn. Gerade sie selber sehen wir dann oft in einer
Verkleinerung, die trügt. Auch bei den alten vielverhöhnten „Historien¬
malern“ „waren Götter“. Wer heute gar nichts mehr von der Begeiste¬
rung spüren kann, die sie manchem ihrer Priester einflößten
ich weiß nicht, warum wir den deshalb beglückwünschen sollten. Er
lebt nicht im Wetteren, wie er glaubt, sondern im Engern.
A
Lose Blätter
Aus Artur Schnitzlers Buch „Der Weg ins Freie“
(Wienerisches Leben der Gegentwart füllt Artur Schnitzlers ersten
Roman; kein brausender Strom, sondern langsam in abgemessener
Bahn dahinziehendes Gewässer mit manchen Untiefen und zuweilen unter¬
brochen von Stellen, wo sein Lauf anzuhalten scheint. Schon daraus
erhellt, daß wir nicht „den“ Roman Wiens vor uns haben — es wäre
ja wohl auch etwas viel verlangt, daß sich das Gesamtleben einer in
ferner Vergangenheit gegründeten, in tausend Formen sich entwickelnden
Großstadt in einem Kunstwerk auch nur in allen charakteristischen Zügen
spiegeln solle. „Der Weg ins Freie“ enthält ein Bild jenes Aus¬
schnittes aus dem Leben der Kaiserstadt, der gerade Schnitzlers Tempera¬
ment von jeher gefesselt hat. Temperament — im prägnanten Sinn
verstanden, wäre das Wort hier fehlgegriffen; haben wir doch keinen
zweiten Dichter vom Range Schnitzlers, der mit einem solchen Mindest¬
maß von Leidenschaftlichkeit auskommt, wie er. Selbst Stifter und Saar,
in gewissem Sinn seine Vorgänger, wirken wenigstens an den Höhe¬
punkten ihrer Werke im Vergleich zu ihm wie volles Orchester zu ge¬
dämpftem Streichquartett. Kein elementares Gefühl, so kann man sagen,
leuchtet ursprünglich hell in der Schnitzlerschen Dichtung, alles Licht
ist durch Reflexion oder durch Nonchalance sei es gedämpft, sei es in
einzelne Strahlen zerlegt. Doch gehört Schnitzler nicht zu den Auancen¬
fischern oder den kalten Ekstatikern, — um im Bilde zu bleiben: er
mischt die Farben nicht auf möglichst ungewöhnliche Weise, seine Wiesen
sind auch nicht rot und sein Inkarnat ist nicht grün, nur alles Grelle
ist ihm fremd, in matten Tinten nur malt ihm der Pinsel. Man
könnte meinen, dem Dichter sei nachgerade die „Liebelei“ zur Liebe, die
„Dämmerseele“ zur höchsten Form des Seelenlebens überhaupt ge¬
worden, spräche nicht mittelbar und unmittelbar (als „ziemlich leicht¬
fertig und ein bißchen gewissenlos“ wird der Held gelegentlich von einem
Freund charakterisiert) eine überlegene Klugheit aus dem Buche, die mit
solchem psychischen Marasmus nicht zusammenklingt. Die „Gerechtig¬
keitt, welche Schnitzler für das Drama verwirft (vergleiche die vierte
abgedruckte Stelle), ist der eigentliche Urgrund dieser allseitigen Toleranz,
da sie ebensosehr aus der Beobachtungstreue wie aus der Veranlagung
des Dichters entspringt. Der Stil dieses völlig gereiften und durch¬
gestalteten Werkes des Dichters verlangt, daß alles überhaupt Auf¬
genommene mit dem ihm innewohnenden Widerspruch behaftet auftritt.
Der „Weg ins Freie“ würde über diese „dialektische Gerechtigkeit“ hinaus
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