I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 311

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23. Der Nec ins Freie
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fragen der heutigen Judenschicksale berührt werden. Vielleicht hat —
stofflich genommen — Schnitzler darin das Tiefste und Wahrste und
zugleich auch das Eigenartigste zu geben, was seine Natur erlaubt.
Und das ernste Eindringen in die letzten Motive und Folgen dieser
Schicksale ist vielleicht geeignet, manches eilfertige Urteil zu mildern und
zu klären.
Der Roman ist bei S. Fischer in Berlin erschienen (geb. 6 Mark).
Imm. Ernst Anders]
m erhöhten Erker auf dem grünsamtenen Sofa saß Frau Ehrenberg
mit ihrer Stickerei; Else, ihr gegenüber, las in einem Buch. Aus
O dem tiefern und dunklern Teil des Zimwers, hinter dem Klavier
hervor, leuchtele das weiße Haupt der marmornen Isis, und durch die
offene Tür floß aus dem benachbarten Zimmer ein heller Streif über
den grauen Teppich. Else sah von ihrem Buche auf, durchs Fenster
zu den hohen Wipfeln des Schwarzenbergparkes, die sich im Herbstwind
regten, und sagte beiläufig: „Man könnt vielleicht dem Georg Wergen¬
thin telephonieren, ob er heut abend kommt.“
Frau Ehrenberg ließ ihre Stickerei in den Schoß sinken. „Ich weiß
nicht", sagte sie. „Du erinnerst dich, was für einen wirklich scharmanten
Kondolenzbrief ich ihm geschrieben und wie dringend ich ihn in den
Auhof eingeladen hab. Er ist nicht gekommen, und seine Antwort war
auffallend kühl. Ich würde ihm nicht telephonieren.“
„Man kann ihn nicht behandeln wie die andern", erwiderte Else.
„Er gehört zu den Leuten, die man gelegentlich daran erinnern muß, daß
man auf der Welt ist. Wenn man ihn erinnert hat, dann freut er sich
schon darüber.“
Frau Ehrenberg stickte weiter. „Es wird ja doch nichts werden“, sagte
sie ruhig.
„Es soll auch nichts werden,“ entgegnete Else, „weißt du denn das
noch immer nicht, Mama? Er ist mein guter Freund, nichts weiter -
und auch das nur mit Unterbrechungen. Oder glaubst du wirklich, daß
ich in ihn verliebt bin, Mama? Ja als kleines Mädel war ich's, in
Nizza, wie wir miteinander Tennis gespielt haben, aber das ist lang
vorbei.“
„Na, — und in Florenz?“
„In Florenz — war ich's eher in Felician.“
„Und jetzt?“ fragte Frau Ehrenberg langsam.
„Jetzt ...? Du denkst wahrscheinlich an Heinrich Bermann ... Also
du irrst dich, Mama.“
„Es wäre mir lieb, wenn ich mich irrte. Aber heuer im Sommer
hatte ich wirklich ganz den Eindruck, als ob ....“
„Ich sag dir ja schon“, unterbrach Else sie ein wenig ungeduldig.
„Es ist nichts und es war nichts. Ein einziges Mal, an dem schwülen
Nachmittag, wie wir Kahn gefahren sind — du hast uns ja vom Balkon
aus gesehen, sogar mit dem Operngucker — da ist es ein bißchen gefährlich
geworden. Aber wenn wir uns auch einmal um den Hals gefallen wären,
was übrigens nie vorgekommen ist, es hätte doch nichts zu bedeuten gehabt.
Es war halt so eine Sommersache.“
2. Julbhest vod