I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 314

23. Der Neg ins Freie
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Frau Ehrenberg zuckte die Achseln.
„Das sind Sachen,“ sagte Ehrenberg, „die meine Frau nicht versteht,
und meine Kinder noch weniger. Was hast du davon Else, du auch
nicht. Aber wenn man so liest, was in der Welt vorgeht, man möcht
selber manchmal glauben, es gibt für uns keinen andern Ausweg.“
„Für uns?“ wiederholte Nürnberger. „Ich habe bisher nicht die Be¬
obachtung gemacht, daß Ihnen der Antisemitismus auffallend geschadet
hätte.“
„Sie meinen, weil ich ein reicher Mann geworden bin? Wenn ich
Ihnen sagen möcht, ich mach mir nichts aus dem Geld, würden Sie mir
natürlich nicht glauben, und Sie hätten recht. Aber wie Sie mich da
sehen, ich schwör Ihnen, die Hälfte von meinem Vermögen gäb ich her,
wenn ich die ärgsten von unsern Feinden am Galgen säh.“
„Ich fürchte nur,“ bemerkte Nürnberger, „Sie würden die Unrichtigen
hängen lassen.“
„Die Gefahr ist nicht groß,“ erwiderte Ehrenberg, „greifen Sie da¬
neben, erwischen Sie auch einen.“
„Ich bemerke nicht zum erstenmal, lieber Herr Ehrenberg, daß Sie dieser
Frage nicht mit der wünschenswerten Objektivität gegenüberstehen.“
Ehrenberg zerbiß plötzlich seine Zigarre und legte sie mit wutzitternden
Fingern auf die Aschenschale. „Wenn mir einer damit kommt und
gar ... entschuldigen Sie.. oder sind Sie vielleicht getauft ...?
Man kann ja heutzutag nicht wissen.“
„Ich bin nicht getauft“, erwiderte Nürnberger ruhig. „Aber allerdings
bin ich auch nicht Jude. Ich bin längst konfessionslos geworden; aus
dem einfachen Grunde, weil ich mich nie als Jude gefühlt habe.“
„Wenn man Ihnen einmal den Zylinder einschlagt auf der Ring¬
straße, weil Sie, mit Verlaub, eine etwas jüdische Nase haben, werden
Sie sich schon als Jude getroffen fühlen, verlassen Sie sich drauf.“
„Aber Papa, was regst du dich denn so auf“, sagte Else und strich
ihm über den kahlen, rötlich glänzenden Schädel.
Der alte Ehrenberg nahm ihre Hand, streichelte sie und fragte scheinbar
ganz unvermittelt: „Werd ich übrigens noch das Vergnügen haben,
meinen Herr Sohn zu sehen bevor ich abreise?“
Frau Ehrenberg antwortete: „Oskar kommt jedenfalls bald nach Hause.“
„Es wird Sie sicher freuen zu erfahren,“ wandte sich Ehrenberg an
Nürnberger, „daß auch mein Sohn Oskar ein Antisemit ist.“
Frau Ehrenberg seufzte leise. „Es ist eine fixe Idee von ihm“, sagte
sie zu Nürnberger. „Überall sieht er Antisemiten, selbst in der eigenen
Familie.“
„Das ist die neueste Nationalkrankheit der Juden“, sagte Nürnberger.
„Mir selbst ist es bisher erst gelungen, einen einzigen echten Antisemiten
kennen zu lernen. Ich kann Ihnen leider nicht verhehlen, lieber Herr
Ehrenberg, daß es ein bekannter Zionistenführer war.“
Ehrenberg hatte nur eine vielsagende Handbewegung.
Demeter Stanzides und Willy Eißler traten ein und verbreiteten
sofort lebhaften Glanz um sich. Leicht und prächtig, eher wie ein Kostüm,
als wie ein militärisches Kleid trug Demeter seine Uniform; Willy, in
Smoking, stand lang, blaß und übernächtig da, hatte sofort die Führung
des Gesprächs in der Hand und seine Stimme, angenehm heiser, schwirrte
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