23.
Der Neg ins Freie
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befehlshaberisch und liebenswürdig zugleich durch die Luft. Er erzählte
von den Vorbereitungen zu einer Aristokratenvorstellung, der er, wie
schon im vorigen Jahr, als Berater, Regisseur und Mitwirkender bei¬
gezogen war, schilderte eine Sitzung der jungen Herren, in der es, wenn
man ihm glauben durfte, zugegangen war wie in einer Versammlung von
Schwachsinnigen, und gab ein komisches Gespräch zwischen zwei Kom¬
tessen zum besten, deren Redeweise er köstlich zu imitieren wußte. Ehren¬
berg war durch Willy Eißler immer sehr amüsiert. Die dunkle Empfin¬
dung, daß dieser ungarische Jude die ganze, ihm persönlich so verhaßte,
Feudalbande in irgendeiner Weise überlistete und zum Narren hielt, er¬
füllte ihn mit Hochachtung für den jungen Mann.
Else saß am kleinen Tisch in der Ecke mit Demeter und ließ sich über
die Isle of Wight berichten.
„Sie waren mit Ihrem Freund dort?“ fragte sie, „nicht wahr, mit
dem Prinzen Karl Friedrich.“
„Mein Freund der Prinz? . .. das stimmt nicht ganz, Fräulein Else.
Der Prinz hat keinen Freund und ich hab keinen. Wir sind beide nicht
von der Art.“
„Er muß ein interessanter Mensch sein, nach allem was man hört.“
„Interessant, weiß ich nicht einmal. Jedenfalls hat er über mancherlei
nachgedacht, worüber seinesgleichen sich sonst nicht viel Gedanken zu
machen pflegen. Vielleicht hätte er auch allerlei leisten können, wenn
man ihn hätte gewähren lassen. Na, wer weiß, es ist vielleicht besser für
ihn, daß sie ihn kurz gehalten haben, — für ihn und am End auch fürs
Land. Einer allein kann ja doch nichts machen. Airgends und nie.
Da ist's schon am besten, man laßt's gehen und zieht sich zurück, wie er's
getan hat.“
Else sah ihn etwas befremdet an. „Sie sind ja heute so philosophisch,
was ist denn das? Mir scheint, der Willy Eißler hat Sie verdorben.“
„Der Willy mich?“
„Ja wissen Sie, Sie sollten nicht mit so gescheiten Leuten verkehren.“
„Warum denn nicht?“
„Sie sollten einfach jung sein, leuchten, leben und dann, wenn's halt
nicht weiter geht — tun was Ihnen beliebt ... aber ohne über sich und
die Welt nachzudenken.“
„Das hätten Sie mir früher sagen müssen, Fräulein Else. Wenn man
einmal angefangen hat, gescheit zu werden ....“
Else schüttelte den Kopf. „Aber bei Ihnen wäre es vielleicht zu ver¬
meiden gewesen“, sagte sie ganz ernsthaft. Und dann mußten beide lachen.
Die Flammen des Lüsters glühten auf. Georg von Wergenthin und
Heinrich Bermann waren eingetreten. Durch ein Lächeln Elses einge¬
laden, nahm Georg an ihrer Seite Platz.
„Ich hab's gewußt, daß Sie kommen werden“, sagte sie unaufrichtig
aber herzlich und drückte seine Hand. Daß er ihr wieder gegenübersaß
nach so langer Zeit, daß sie sein anmutig stolzes Gesicht wiedersehen, seine
etwas leise, aber warme Stimme hören durfte, freute sie mehr, als sie
geahnt hatte.
Frau Wyner erschien; klein, hochrot, lustig und verlegen. Ihre Tochter
Sissy mit ihr. Im Hin und Her der Begrüßung lösten sich die Gruppen.
„Nun, haben Sie mir schon das Lied komponiert?“ fragte Sissy Georg
2. Juliheft 1909
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Der Neg ins Freie
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befehlshaberisch und liebenswürdig zugleich durch die Luft. Er erzählte
von den Vorbereitungen zu einer Aristokratenvorstellung, der er, wie
schon im vorigen Jahr, als Berater, Regisseur und Mitwirkender bei¬
gezogen war, schilderte eine Sitzung der jungen Herren, in der es, wenn
man ihm glauben durfte, zugegangen war wie in einer Versammlung von
Schwachsinnigen, und gab ein komisches Gespräch zwischen zwei Kom¬
tessen zum besten, deren Redeweise er köstlich zu imitieren wußte. Ehren¬
berg war durch Willy Eißler immer sehr amüsiert. Die dunkle Empfin¬
dung, daß dieser ungarische Jude die ganze, ihm persönlich so verhaßte,
Feudalbande in irgendeiner Weise überlistete und zum Narren hielt, er¬
füllte ihn mit Hochachtung für den jungen Mann.
Else saß am kleinen Tisch in der Ecke mit Demeter und ließ sich über
die Isle of Wight berichten.
„Sie waren mit Ihrem Freund dort?“ fragte sie, „nicht wahr, mit
dem Prinzen Karl Friedrich.“
„Mein Freund der Prinz? . .. das stimmt nicht ganz, Fräulein Else.
Der Prinz hat keinen Freund und ich hab keinen. Wir sind beide nicht
von der Art.“
„Er muß ein interessanter Mensch sein, nach allem was man hört.“
„Interessant, weiß ich nicht einmal. Jedenfalls hat er über mancherlei
nachgedacht, worüber seinesgleichen sich sonst nicht viel Gedanken zu
machen pflegen. Vielleicht hätte er auch allerlei leisten können, wenn
man ihn hätte gewähren lassen. Na, wer weiß, es ist vielleicht besser für
ihn, daß sie ihn kurz gehalten haben, — für ihn und am End auch fürs
Land. Einer allein kann ja doch nichts machen. Airgends und nie.
Da ist's schon am besten, man laßt's gehen und zieht sich zurück, wie er's
getan hat.“
Else sah ihn etwas befremdet an. „Sie sind ja heute so philosophisch,
was ist denn das? Mir scheint, der Willy Eißler hat Sie verdorben.“
„Der Willy mich?“
„Ja wissen Sie, Sie sollten nicht mit so gescheiten Leuten verkehren.“
„Warum denn nicht?“
„Sie sollten einfach jung sein, leuchten, leben und dann, wenn's halt
nicht weiter geht — tun was Ihnen beliebt ... aber ohne über sich und
die Welt nachzudenken.“
„Das hätten Sie mir früher sagen müssen, Fräulein Else. Wenn man
einmal angefangen hat, gescheit zu werden ....“
Else schüttelte den Kopf. „Aber bei Ihnen wäre es vielleicht zu ver¬
meiden gewesen“, sagte sie ganz ernsthaft. Und dann mußten beide lachen.
Die Flammen des Lüsters glühten auf. Georg von Wergenthin und
Heinrich Bermann waren eingetreten. Durch ein Lächeln Elses einge¬
laden, nahm Georg an ihrer Seite Platz.
„Ich hab's gewußt, daß Sie kommen werden“, sagte sie unaufrichtig
aber herzlich und drückte seine Hand. Daß er ihr wieder gegenübersaß
nach so langer Zeit, daß sie sein anmutig stolzes Gesicht wiedersehen, seine
etwas leise, aber warme Stimme hören durfte, freute sie mehr, als sie
geahnt hatte.
Frau Wyner erschien; klein, hochrot, lustig und verlegen. Ihre Tochter
Sissy mit ihr. Im Hin und Her der Begrüßung lösten sich die Gruppen.
„Nun, haben Sie mir schon das Lied komponiert?“ fragte Sissy Georg
2. Juliheft 1909
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