23. Der Neg ins Freie
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enentene ereneterenen ir enentenenetenenenenenenenenerene
mit lachenden Augen und lachenden Lippen, spielte mit einem ihrer
Handschuhe und bewegte sich in ihrem dunkelgrünen schillernden Kleid
wie eine Schlange.
„Ein Lied?“ fragte Georg. Er erinnerte sich wirklich nicht.
„Oder auch einen Walzer oder so was. Aber daß Sie mir etwas widmen
werden, haben Sie mir versprochen.“ Während sie sprach, wanderten
ihre Blicke umher. Sie glühten in die Augen Willys, schmeichelten sich
an Demeter vorbei, stellten an Heinrich Bermann eine rätselhafte Frage.
Es war wie wenn Irrlichter durch den Salon tanzten.
Frau Wyner stand plötzlich neben ihrer Tochter, tief errötend: „Sissy
ist ja so dumm . . . was glaubst du denn, Sissy, der Baron Georg hat
heuer Wichtigeres zu tun gehabt, als für dich zu komponieren.“
„O gewiß nicht“, sagte Georg höflich.
„Sie haben Ihren Vater begraben, das ist keine Kleinigkeit.“
Georg sah vor sich hin. Frau Wyner aber sprach unbeirrt weiter:
„Ihr Vater war noch nicht alt, nicht wahr? Und ein so schöner Mann
.. ist es wahr, daß er Chemiker gewesen ist?“
„Nein,“ erwiderte Georg gefaßt, „er war Präsident der botanischen
Gesellschaft.“
Heinrich, einen Arm auf dem geschlossenen Klavierdeckel, sprach mit Else.
„Sie waren also doch in Deutschland?“ fragte sie.
„Ja,“ erwiderte Heinrich, „es ist schon ziemlich lange her, vier, fünf
Wochen.“
„Und wann fahren Sie wieder hin?“
„Das weiß ich nicht. Vielleicht nie.“
„Ach, das glauben Sie selbst nicht.
— Was arbeiten Sie?“ setzte sie
rasch hinzu.
„Allerlei“, entgegnete er. „Ich bin in einer ziemlich unruhigen Zeit.
Ich entwerfe viel, aber ich mache nichts fertig. Das Vollenden interessiert
mich überhaupt selten. Offenbar bin ich innerlich zu rasch fertig mit den
Dingen.“
„Und den Menschen“, fügte Else bei.
„Mag sein. Es ist nur das Unglück, daß das Gefühl zuweilen an
Menschen weiter hängenbleibt, während der Verstand schon längst nichts
mehr mit ihnen zu tun hat. Ein Dichter — wenn Sie mir das Wort
gestatten — müßte sich von jedem zurückziehen, der für ihn keine Rätsel
mehr hat ... also besonders von jedem, den er liebt.“
„Es heißt doch,“ wandte Else ein, „daß wir gerade diejenigen am
wenigsten kennen, die wir lieben.“
„Das behauptet Nürnberger, aber es stimmt nicht ganz. Wäre es
wirklich so, liebe Else, dann wäre das Leben wahrscheinlich schöner als
es ist. Nein, diejenigen, die wir lieben, kennen wir sogar besser als wir
andere kennen, — nur kennen wir sie mit Scham, mit Erbitterung und
mit der Furcht, daß auch andre sie ebensogut kennen als wir. Lieben
heißt: Angst davor haben, daß andern die Fehler offenbar werden, die
wir an dem geliebten Wesen entdeckt haben. Lieben heißt: in die Zu¬
kunft schauen können und diese Gabe verfluchen ... lieben heißt: je¬
manden so kennen, daß man daran zugrunde geht.“
Else lehnte am Klavier, in ihrer damenhaft=kindlichen Art, neugierig
gelassen, und hörte ihm zu. Wie gut gefiel er ihr in solchen Augenblicken.
Kunstwart NXII, 20
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enentene ereneterenen ir enentenenetenenenenenenenenerene
mit lachenden Augen und lachenden Lippen, spielte mit einem ihrer
Handschuhe und bewegte sich in ihrem dunkelgrünen schillernden Kleid
wie eine Schlange.
„Ein Lied?“ fragte Georg. Er erinnerte sich wirklich nicht.
„Oder auch einen Walzer oder so was. Aber daß Sie mir etwas widmen
werden, haben Sie mir versprochen.“ Während sie sprach, wanderten
ihre Blicke umher. Sie glühten in die Augen Willys, schmeichelten sich
an Demeter vorbei, stellten an Heinrich Bermann eine rätselhafte Frage.
Es war wie wenn Irrlichter durch den Salon tanzten.
Frau Wyner stand plötzlich neben ihrer Tochter, tief errötend: „Sissy
ist ja so dumm . . . was glaubst du denn, Sissy, der Baron Georg hat
heuer Wichtigeres zu tun gehabt, als für dich zu komponieren.“
„O gewiß nicht“, sagte Georg höflich.
„Sie haben Ihren Vater begraben, das ist keine Kleinigkeit.“
Georg sah vor sich hin. Frau Wyner aber sprach unbeirrt weiter:
„Ihr Vater war noch nicht alt, nicht wahr? Und ein so schöner Mann
.. ist es wahr, daß er Chemiker gewesen ist?“
„Nein,“ erwiderte Georg gefaßt, „er war Präsident der botanischen
Gesellschaft.“
Heinrich, einen Arm auf dem geschlossenen Klavierdeckel, sprach mit Else.
„Sie waren also doch in Deutschland?“ fragte sie.
„Ja,“ erwiderte Heinrich, „es ist schon ziemlich lange her, vier, fünf
Wochen.“
„Und wann fahren Sie wieder hin?“
„Das weiß ich nicht. Vielleicht nie.“
„Ach, das glauben Sie selbst nicht.
— Was arbeiten Sie?“ setzte sie
rasch hinzu.
„Allerlei“, entgegnete er. „Ich bin in einer ziemlich unruhigen Zeit.
Ich entwerfe viel, aber ich mache nichts fertig. Das Vollenden interessiert
mich überhaupt selten. Offenbar bin ich innerlich zu rasch fertig mit den
Dingen.“
„Und den Menschen“, fügte Else bei.
„Mag sein. Es ist nur das Unglück, daß das Gefühl zuweilen an
Menschen weiter hängenbleibt, während der Verstand schon längst nichts
mehr mit ihnen zu tun hat. Ein Dichter — wenn Sie mir das Wort
gestatten — müßte sich von jedem zurückziehen, der für ihn keine Rätsel
mehr hat ... also besonders von jedem, den er liebt.“
„Es heißt doch,“ wandte Else ein, „daß wir gerade diejenigen am
wenigsten kennen, die wir lieben.“
„Das behauptet Nürnberger, aber es stimmt nicht ganz. Wäre es
wirklich so, liebe Else, dann wäre das Leben wahrscheinlich schöner als
es ist. Nein, diejenigen, die wir lieben, kennen wir sogar besser als wir
andere kennen, — nur kennen wir sie mit Scham, mit Erbitterung und
mit der Furcht, daß auch andre sie ebensogut kennen als wir. Lieben
heißt: Angst davor haben, daß andern die Fehler offenbar werden, die
wir an dem geliebten Wesen entdeckt haben. Lieben heißt: in die Zu¬
kunft schauen können und diese Gabe verfluchen ... lieben heißt: je¬
manden so kennen, daß man daran zugrunde geht.“
Else lehnte am Klavier, in ihrer damenhaft=kindlichen Art, neugierig
gelassen, und hörte ihm zu. Wie gut gefiel er ihr in solchen Augenblicken.
Kunstwart NXII, 20