Der Ne
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„Gräßliches Volk“, meinte Leo beiläufig, ohne den Platz zu verändern.
Heinrich wies mit einer unbestimmten Kopfbewegung nach unten.
„Und solche Kerle“, sagte er mit zugepreßten Zähnen, „bilden sich dann
noch ein, daß sie da eher zu Hause sind als unsereiner.“
„Nun ja,“ entgegnete Leo ruhig, „da werden sie wohl nicht so unrecht
haben, diese Kerle.“
Heinrich wandte sich höhnisch zu ihm: „Verzeihen Sie Leo, ich vergaß
einen Augenblick, daß Sie selbst den Wunsch hegen, nur als geduldet zu
gelten.“
„Das wünsche ich keineswegs“ erwiderte Leo lächelnd, „und Sie brau¬
chen mich nicht gleich so boshaft mißzuverstehen. Aber daß diese Leute
sich als die Einheimischen ansehen und Sie und mich als die Fremden,
das kann man ihnen doch nicht übelnehmen. Das ist doch schließlich nur
der Ausdruck ihres gesunden Instinkts für eine anthropologisch und
geschichtlich feststehende Tatsache. Dagegen und daher auch gegen alles,
was daraus folgt, ist weder mit jüdischen noch mit christlichen Sentimen¬
talitäten etwas auszurichten.“ Und sich zu Georg wendend, fragte er in
allzu verbindlichem Ton: „Finden Sie nicht aua,?“
Georg errötete, räusperte, kam aber nicht dazu zu erwidern, da Heinrich,
auf dessen Stirn zwei tiefe Falten erschienen, sofort erbittert das Wort
nahm: „Mein Instinkt ist mir mindestens ebenso maßgebend wie der
der Herren Jalaudek junior und senior, und dieser Instinkt sagt mir
untrüglich, daß hier, gerade hier meine Heimat ist und nicht in irgend¬
einem Land, das ich nicht kenne, das mir nach den Schilderungen nicht
im geringsten zusagt und das mir gewisse Leute jetzt als Vaterland ein¬
reden wollen, mit der Begründung, daß meine Urahnen vor einigen
tausend Jahren gerade von dort aus in die Welt verstreut worden sind.
Wozu noch zu bemerken wäre, daß die Urahnen des Herrn Jalaudek, und
selbst die unseres Freundes des Freiherrn von Wergenthin, gerade so
wenig hier zu Hause gewesen sind, als die meinen und die Ihrigen.“
„Sie dürfen mir nicht böse sein,“ erwiderte Leo, „aber Ihr Blick in
diesen Dingen ist doch ein wenig beschränkt. Sie denken immer an sich
und an den nebensächlichen Umstand . . . pardon für diese Frage neben¬
sächlichen Umstand, daß Sie ein Dichter sind, der zufällig, weil er in
einem deutschen Land geboren, in deutscher Sprache und, weil er in
Österreich lebt, über österreichische Menschen und Verhältnisse schreibt.
Es handelt sich aber in erster Linie gar nicht um Sie und auch nicht
um mich, auch nicht um die paar jüdischen Beamten, die nicht avancieren,
die paar jüdischen Freiwilligen, die nicht Offiziere werden, die jüdischen
Dozenten, die man nicht oder verspätet zu Professoren macht, — das sind
lauter Unannehmlichkeiten zweiten Ranges sozusagen; es handelt sich
hier um ganz andre Menschen, die Sie nicht genau oder gar nicht kennen,
und um Schicksale, über die Sie, ich versichre Sie lieber Heinrich, über
die Sie gewiß, trotz der Verpflichtung, die Sie eigentlich dazu hätten, noch
nicht gründlich genug nachgedacht haben. Gewiß nicht ... sonst könnten
Sie über all diese Dinge nicht in so oberflächlicher und in so ..
egoistischer Weise reden wie Sie es tun.“ Er erzählte dann von seinen
Erlebnissen auf dem Basler Zionistenkongreß, an dem er im vorigen
Jahre teilgenommen hatte und wo ihm ein tieferer Einblick in das Wesen
und den Gemütszustand des jüdischen Volkes gewährt worden wäre als
2. Juliheft 1909
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„Gräßliches Volk“, meinte Leo beiläufig, ohne den Platz zu verändern.
Heinrich wies mit einer unbestimmten Kopfbewegung nach unten.
„Und solche Kerle“, sagte er mit zugepreßten Zähnen, „bilden sich dann
noch ein, daß sie da eher zu Hause sind als unsereiner.“
„Nun ja,“ entgegnete Leo ruhig, „da werden sie wohl nicht so unrecht
haben, diese Kerle.“
Heinrich wandte sich höhnisch zu ihm: „Verzeihen Sie Leo, ich vergaß
einen Augenblick, daß Sie selbst den Wunsch hegen, nur als geduldet zu
gelten.“
„Das wünsche ich keineswegs“ erwiderte Leo lächelnd, „und Sie brau¬
chen mich nicht gleich so boshaft mißzuverstehen. Aber daß diese Leute
sich als die Einheimischen ansehen und Sie und mich als die Fremden,
das kann man ihnen doch nicht übelnehmen. Das ist doch schließlich nur
der Ausdruck ihres gesunden Instinkts für eine anthropologisch und
geschichtlich feststehende Tatsache. Dagegen und daher auch gegen alles,
was daraus folgt, ist weder mit jüdischen noch mit christlichen Sentimen¬
talitäten etwas auszurichten.“ Und sich zu Georg wendend, fragte er in
allzu verbindlichem Ton: „Finden Sie nicht aua,?“
Georg errötete, räusperte, kam aber nicht dazu zu erwidern, da Heinrich,
auf dessen Stirn zwei tiefe Falten erschienen, sofort erbittert das Wort
nahm: „Mein Instinkt ist mir mindestens ebenso maßgebend wie der
der Herren Jalaudek junior und senior, und dieser Instinkt sagt mir
untrüglich, daß hier, gerade hier meine Heimat ist und nicht in irgend¬
einem Land, das ich nicht kenne, das mir nach den Schilderungen nicht
im geringsten zusagt und das mir gewisse Leute jetzt als Vaterland ein¬
reden wollen, mit der Begründung, daß meine Urahnen vor einigen
tausend Jahren gerade von dort aus in die Welt verstreut worden sind.
Wozu noch zu bemerken wäre, daß die Urahnen des Herrn Jalaudek, und
selbst die unseres Freundes des Freiherrn von Wergenthin, gerade so
wenig hier zu Hause gewesen sind, als die meinen und die Ihrigen.“
„Sie dürfen mir nicht böse sein,“ erwiderte Leo, „aber Ihr Blick in
diesen Dingen ist doch ein wenig beschränkt. Sie denken immer an sich
und an den nebensächlichen Umstand . . . pardon für diese Frage neben¬
sächlichen Umstand, daß Sie ein Dichter sind, der zufällig, weil er in
einem deutschen Land geboren, in deutscher Sprache und, weil er in
Österreich lebt, über österreichische Menschen und Verhältnisse schreibt.
Es handelt sich aber in erster Linie gar nicht um Sie und auch nicht
um mich, auch nicht um die paar jüdischen Beamten, die nicht avancieren,
die paar jüdischen Freiwilligen, die nicht Offiziere werden, die jüdischen
Dozenten, die man nicht oder verspätet zu Professoren macht, — das sind
lauter Unannehmlichkeiten zweiten Ranges sozusagen; es handelt sich
hier um ganz andre Menschen, die Sie nicht genau oder gar nicht kennen,
und um Schicksale, über die Sie, ich versichre Sie lieber Heinrich, über
die Sie gewiß, trotz der Verpflichtung, die Sie eigentlich dazu hätten, noch
nicht gründlich genug nachgedacht haben. Gewiß nicht ... sonst könnten
Sie über all diese Dinge nicht in so oberflächlicher und in so ..
egoistischer Weise reden wie Sie es tun.“ Er erzählte dann von seinen
Erlebnissen auf dem Basler Zionistenkongreß, an dem er im vorigen
Jahre teilgenommen hatte und wo ihm ein tieferer Einblick in das Wesen
und den Gemütszustand des jüdischen Volkes gewährt worden wäre als
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