ins Freie
23. Der Ne
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a. a. — K — e ete uen ah. 1
Ta Py
Neue Erzählungsbücher
Neue Erzählungsbücher
Schnißler: Der Weg ins Freie. Noman. (Berlin, S. Fischer,
Ahnt
Nf 7.—, Je5= N 5.89.
Ich habe dieses Buch, trotzdem es zu den bestgemachten gehört, nur mit starker Über¬
windung zu Ende lesen können. Oder vielleicht, weil es so gut gemacht ist. Schnitzler ist
mir immer vorwiegend als Kunsthandwerker erschienen. Die Mache ist ihm die
Hauptsache. Die Form ist bei ihm keine Notwendigkeit, erzwungen durch den Gehalt; son¬
dern dieser muß Zwang erleiden, damit jene Schnitzlers Ansprüchen genügt. Und trotzdem
habe ich nicht auf einer Seite den Genuß des Birtuosentums, denn dieses wird immer erst
genußreich, wenn es dionysisch wird. Schnitzler aber ist kalt. Darum wirkt auch die Gelassen¬
heit, die Ruhe, mit der das Problem dieses Buches entwickelt wird, nicht als Ergebnis männlicher
Selbstbeherrschung, tiefen Ernstes, sondern als Mache, als eine Art von Stil, den man zur Ab¬
wechslung ebensogut einmal anwenden kann wie Aufgeregtheit oder lodernde Leidenschaft.
Noch ein anderes war es, was mir die Lektüre dieses Buches so schwer machte: die Art
der Behandlung des Erotischen. Gegen Ende des Buches steht von einem der Auftretenden
der Satz: „Menschen, die sich so viel, fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigen, verwinden
ja seelische Schmerzen überraschend schnell. Auf solchen Naturen lastet das geringfügigste
physische Unbehagen viel drückender, als jede Art von Herzenspein, selbst Untreue und Tod
geliebter Personen. Es rührt wohl daher, daß jeder Seelenschmerz irgendwie unserer Eitel¬
keit schmeichelt, was man von einem Typhus oder Magenkatarrh nicht behaupten kann.“
Schnitzler hat eigentlich lauter solche Menschen auf die Beine gestellt, und offenbar ist er solber
so einer. Denn man hat das Gefühl, daß das hier aufgegriffene größere Problem mit der Wol¬
lust und dem Hochmut eines zielbewußt arbeitenden Operateurs auseinandergelegt wird.
Es ist geradezu widerwärtig, mit welcher Wichtigkeit alle Phasen eines in der Liebe auch nicht
einmal aus der selbstsüchtigen Genießerei herauskommenden jungen Grafen entwickelt wer¬
den. Wo daraus ein Weg ins Freie führen soll, ist nicht einzusehen.
Doch vielleicht ist diese starke Betonung von allerlei Liebesproblemen nur das wohl¬
bedachte und im Hinblick auf den Leser peinlich abgewogene Gegengewicht gegen das tiefere
Problem des Buches. Man hat es um dieses Problems willen als das Buch des Juden¬
tums bezeichnet. Auch nach meinem Empfinden ist es die beste Behandlung, die die Juden¬
frage wenigstens für Österreich bis heute gefunden hat. Freilich für mein Gefühl zum großen
Teil wider den Willen des Verfassers. Das, worin diese Untersuchungen versagen, ist
mir besonders lehrreich gewesen. Im übrigen aber trifft die oben zitierte, an sich selber wieder
echt jüdische Behauptung, daß der Seelenschmerz der Eitelkeit schmeichelt, auch für die Art zu,
wie hier die Judenfrage behandelt wird. So viele verschiedene Typen uns vorgeführt werden,
so grundverschieden sich diese zu dem Problem stellen: die Selbstgefälligkeit, pro¬
blematisch zu sein, fehlt bei keinem. Und das scheint mir denn doch auf einem Mangel
der Beobachtung zu beruhen. Es gibt unbedingt auch in Österreich eine Unmasse Juden, die
an der Judenfrage nicht mehr schwer tragen. Selbstverständlich wird auch an vielen Stellen
Judentum und Deutschtum gegeneinander gestellt. Deutschtum dann natürlich als Antisemi¬
tismus. Man wird sich nicht weiter verwundern, daß der Verfasser vom deutschen Fühlen
so gar nichts versteht, daß er uns auf dieser Seite eigentlich lauter Karikaturen (zum Teil ohne
Absicht) vorführt. Es gibt eben nicht bloß die Eitelkeit des Seelenschmerzes; außerdem ist
nichts schlimmer, als eine gekränkte weibische Eigenliebe. Und weibisch ist die Art dieses Buches
Menschen. In Wien nennen das dann die hierher
die Art eigentlich aller darin auftretenden
gehörigen Kreise „Geschmackskultur“.
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Neue Erzählungsbücher
Neue Erzählungsbücher
Schnißler: Der Weg ins Freie. Noman. (Berlin, S. Fischer,
Ahnt
Nf 7.—, Je5= N 5.89.
Ich habe dieses Buch, trotzdem es zu den bestgemachten gehört, nur mit starker Über¬
windung zu Ende lesen können. Oder vielleicht, weil es so gut gemacht ist. Schnitzler ist
mir immer vorwiegend als Kunsthandwerker erschienen. Die Mache ist ihm die
Hauptsache. Die Form ist bei ihm keine Notwendigkeit, erzwungen durch den Gehalt; son¬
dern dieser muß Zwang erleiden, damit jene Schnitzlers Ansprüchen genügt. Und trotzdem
habe ich nicht auf einer Seite den Genuß des Birtuosentums, denn dieses wird immer erst
genußreich, wenn es dionysisch wird. Schnitzler aber ist kalt. Darum wirkt auch die Gelassen¬
heit, die Ruhe, mit der das Problem dieses Buches entwickelt wird, nicht als Ergebnis männlicher
Selbstbeherrschung, tiefen Ernstes, sondern als Mache, als eine Art von Stil, den man zur Ab¬
wechslung ebensogut einmal anwenden kann wie Aufgeregtheit oder lodernde Leidenschaft.
Noch ein anderes war es, was mir die Lektüre dieses Buches so schwer machte: die Art
der Behandlung des Erotischen. Gegen Ende des Buches steht von einem der Auftretenden
der Satz: „Menschen, die sich so viel, fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigen, verwinden
ja seelische Schmerzen überraschend schnell. Auf solchen Naturen lastet das geringfügigste
physische Unbehagen viel drückender, als jede Art von Herzenspein, selbst Untreue und Tod
geliebter Personen. Es rührt wohl daher, daß jeder Seelenschmerz irgendwie unserer Eitel¬
keit schmeichelt, was man von einem Typhus oder Magenkatarrh nicht behaupten kann.“
Schnitzler hat eigentlich lauter solche Menschen auf die Beine gestellt, und offenbar ist er solber
so einer. Denn man hat das Gefühl, daß das hier aufgegriffene größere Problem mit der Wol¬
lust und dem Hochmut eines zielbewußt arbeitenden Operateurs auseinandergelegt wird.
Es ist geradezu widerwärtig, mit welcher Wichtigkeit alle Phasen eines in der Liebe auch nicht
einmal aus der selbstsüchtigen Genießerei herauskommenden jungen Grafen entwickelt wer¬
den. Wo daraus ein Weg ins Freie führen soll, ist nicht einzusehen.
Doch vielleicht ist diese starke Betonung von allerlei Liebesproblemen nur das wohl¬
bedachte und im Hinblick auf den Leser peinlich abgewogene Gegengewicht gegen das tiefere
Problem des Buches. Man hat es um dieses Problems willen als das Buch des Juden¬
tums bezeichnet. Auch nach meinem Empfinden ist es die beste Behandlung, die die Juden¬
frage wenigstens für Österreich bis heute gefunden hat. Freilich für mein Gefühl zum großen
Teil wider den Willen des Verfassers. Das, worin diese Untersuchungen versagen, ist
mir besonders lehrreich gewesen. Im übrigen aber trifft die oben zitierte, an sich selber wieder
echt jüdische Behauptung, daß der Seelenschmerz der Eitelkeit schmeichelt, auch für die Art zu,
wie hier die Judenfrage behandelt wird. So viele verschiedene Typen uns vorgeführt werden,
so grundverschieden sich diese zu dem Problem stellen: die Selbstgefälligkeit, pro¬
blematisch zu sein, fehlt bei keinem. Und das scheint mir denn doch auf einem Mangel
der Beobachtung zu beruhen. Es gibt unbedingt auch in Österreich eine Unmasse Juden, die
an der Judenfrage nicht mehr schwer tragen. Selbstverständlich wird auch an vielen Stellen
Judentum und Deutschtum gegeneinander gestellt. Deutschtum dann natürlich als Antisemi¬
tismus. Man wird sich nicht weiter verwundern, daß der Verfasser vom deutschen Fühlen
so gar nichts versteht, daß er uns auf dieser Seite eigentlich lauter Karikaturen (zum Teil ohne
Absicht) vorführt. Es gibt eben nicht bloß die Eitelkeit des Seelenschmerzes; außerdem ist
nichts schlimmer, als eine gekränkte weibische Eigenliebe. Und weibisch ist die Art dieses Buches
Menschen. In Wien nennen das dann die hierher
die Art eigentlich aller darin auftretenden
gehörigen Kreise „Geschmackskultur“.
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