23. Der Nee
ins Freie
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. en eite enesten e ee e
Wien? 7 4.n
Dem Wiener geht es mit seiner Vaterstadt
wie einem nörgelnd eifersüchtigen Gatten mit
seiner Frau. Er kann nicht mit ihr und kann
nicht ohne sie leben. So lange man in Wien ist,
schimpft man. Mehr der Gewohnheit folgend, als
aus innerer Ueberzeugung. Man schimpft über
die althergebrachte „Wiener Schlamperei“ und
auch über jede Neuerung. Als müßte es so sein.
Aber kaum ist der Wiener im Ausland, bekommt
er schreckliches Heimweh. Mitten in der fifth
Avenue von New=York oder dem Boulevard des
Italiens in Paris packt es ihn plötzlich und un¬
vermittelt: Nach Hause gehen. .. Ach, manche
kehren gleich wieder um, wenn sie die Hügelkette
des Wiener Waldes gerade noch in der Ferne
chimmern sehen. Wenn ein kurzatmiger Leier¬
kasten am Wegesrande Wiener Lieder spielt. Aber
wie sie daheim angelangt sind, geht das Schimp¬
fer von neuem los. Damit man sie nur ja nicht
für Fremde halte. Denn der Fremde macht in
der zänkischen Hauswirtschaft, als kinger Dritter,
der Hausfrau galant und siegessicher den Hof.
Solch ein Fremder hat nun ein Buch über
Wien geschrieben. Ueber Wien als Kulturstätte.
Ein Fremder, der die Wienerstadi so durchaus
kennt, daß er all ihre errötenden Tugenden, all
hre bestrickenden Schö#heiten sieht und doch nicht
lange genug, um sie zu überschen. Ein Wiener
Schriftsteller, der mit einer artigen Verbeugung
die Hand seiner Dame küßt. „Wa. im sieht man
eigentlich im Reich vielfach auf Wien so herab?“
schreibt er. „Soll ich es Ihnen sagen? Wirklich
aus keinem anderen Grunde, als weil man Wien
*) Wien, Briefe an eine Freundin in Berlin
von Franz Servacs, Verlag von Klinkhardt
& Biermann in Leipzig.
so wenig kennt und versteht!...
Mit Wien macht
Leich“ wie eine bunte Maske
man's leicht, weil man Wien selber für leicht an¬
überjauchzt in den ganzen As
sieht. Daß das in sehr vielen Fällen die Leichtig¬
Und Servaes führt seine
keit erreichter Lebensgrazie ist, will man sich nicht
„Ring“, der den rundlichen
gerne eingestehen; noch weniger, daß hinter dieser
Stadt umschließt wie ein reich
cheinbaren Leichtigkeit ein sehr kompliziertes,
setzter Gürtel, in die hastig
schwer ergründliches, trotzdem aus historischer
straße (soweit man in Wien ü
Notwendigkeit organisch erwachsenes Eigenwesen
kann), die aussieht wie ein liel
teht.“ Franz Servaes hat sein Buch in die Form
bol, in dem sich die luxuriöse
von Briefen an eine Berliner Freundin gekleidet.
naiver Selbsterkenntnis spieg
Es sind warme, zärtliche, poetische Briefe. Es
halt.“ Und dann mit einem
sind Liebesbriefe. Mit der anmutigen Pikan¬
den Spaziergängern auf eine
terie, daß die Liebesworte einer ganz anderen
igen Platze der alte brave Tu
Freundin gelten, nämlich der Wienerstadt.
ner in sein Herz geschlossen hi
Also zuerst bekommt die kluge Berlinerin ein
lachende lebende Person ist alse
wenig Geschichte versetzt. Gar nicht viel. Nur
werk, den ringsum jeder Dienst
gerade in appetitlichen Dosen genug, um zu ver¬
ßenecke, jeder Fiakerkutscher auf
stehen, wie sich die „Wiener Rasse“ aus germani¬
wie einen guten Kollegen
schen, keltischen, slavischen und magyarischen Ele¬
Steffel!“ „Und viele durchz
menten bildete und allmählich zu einer „unauf¬
heimlich, während sie verstört
lösbaren Einheit von vorbestimmtem, unerschütter¬
vorüberhasten . . . und vielle
lichem Grundcharakter“ geworden ist: „ein weiche¬
eine einsame Stunde, wo die
res, graziöseres, verschwärmteres Süddeutsch.“
Innern plötzlich an zu klingen
Nur gerade genug, um zu erfahren, wie die Wiene¬
der Allgegenwart dieses stadtbeh
rin es lernte, sich so frei und leicht zu bewegen,
ich unter wunderlich erwac
so geschmackvoll und zierlich sich zu kleiden, so gut
chauern und doch mit geistig fr
dabei zu kochen und vor allem in jeder Beziehung
chauungen erschüttert und bewu
„über ihre erhältnisse zu leben: Oder ist es
Dem Wiener ergeht es in
nicht wichtig, zu hören, was für Eindrücke die
ähnlich wie einem Bürger der
beiden venetianischen Schwestern, die berühmte
o wenig wie dieser sich als
Malerin Carriera Rosalba und die geistreiche
empfindet jener sein Oesterreich
kleine Giovanna bekamen, als sie im 18. Jahr¬
allein ist sein Vaterland. M
hundert Wien besuchten? Wie ihnen die Wiener
agen, daß Wien in einem gen
Fiaker imponierten und wie sie am liebsten den
Oesterreich steht. Der Staat
ganzen Tag mit „carozzaro“ verbracht hätten
Haßerfülkte Nationen bekämpfel
Wie sie diese kleinen Deutschen bewunderten, diese
erfährt nur durch das Parla
„Tedeschette“ die in ihrem Luxus noch die Parise¬
Hader. Es hat seine eigenen
rinnen überboten (pin Parigine delle Parigine).
ein eigenes Leid. Aber es hat
Und ist es nicht belustigend, zu erfahren, daß
entwickelt aus seiner Vergange
auch schon damals die Wiener Handwerker so
ist Wien geblieben. Und dam
wenig bemüht waren, sich ihre Kundschaft
zu
vielleicht gerade die Wienersta
ichern, „als lebten sie samt und sonders von ihren
des alten Oesterreich. Es
gie
Renten“? Die Prunksucht und Schaulust, der
schen Dichter, keine österreichisch
aristokratische Leichtsinn und liebenswürdige Ka¬
Es gibt nur Wiener Künstlei
valierston sind tief im Wiener Wesen verankert.
viele! Täuschen wir uns nich
Das Leben ist „a Hetz“. Wird durchgetanzt, „ver¬
Besten einer, sagt in seinem
draht“. Und zum Schluß kommt die „schöne ins Freie": „Bei uns ist die E
ins Freie
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Wien? 7 4.n
Dem Wiener geht es mit seiner Vaterstadt
wie einem nörgelnd eifersüchtigen Gatten mit
seiner Frau. Er kann nicht mit ihr und kann
nicht ohne sie leben. So lange man in Wien ist,
schimpft man. Mehr der Gewohnheit folgend, als
aus innerer Ueberzeugung. Man schimpft über
die althergebrachte „Wiener Schlamperei“ und
auch über jede Neuerung. Als müßte es so sein.
Aber kaum ist der Wiener im Ausland, bekommt
er schreckliches Heimweh. Mitten in der fifth
Avenue von New=York oder dem Boulevard des
Italiens in Paris packt es ihn plötzlich und un¬
vermittelt: Nach Hause gehen. .. Ach, manche
kehren gleich wieder um, wenn sie die Hügelkette
des Wiener Waldes gerade noch in der Ferne
chimmern sehen. Wenn ein kurzatmiger Leier¬
kasten am Wegesrande Wiener Lieder spielt. Aber
wie sie daheim angelangt sind, geht das Schimp¬
fer von neuem los. Damit man sie nur ja nicht
für Fremde halte. Denn der Fremde macht in
der zänkischen Hauswirtschaft, als kinger Dritter,
der Hausfrau galant und siegessicher den Hof.
Solch ein Fremder hat nun ein Buch über
Wien geschrieben. Ueber Wien als Kulturstätte.
Ein Fremder, der die Wienerstadi so durchaus
kennt, daß er all ihre errötenden Tugenden, all
hre bestrickenden Schö#heiten sieht und doch nicht
lange genug, um sie zu überschen. Ein Wiener
Schriftsteller, der mit einer artigen Verbeugung
die Hand seiner Dame küßt. „Wa. im sieht man
eigentlich im Reich vielfach auf Wien so herab?“
schreibt er. „Soll ich es Ihnen sagen? Wirklich
aus keinem anderen Grunde, als weil man Wien
*) Wien, Briefe an eine Freundin in Berlin
von Franz Servacs, Verlag von Klinkhardt
& Biermann in Leipzig.
so wenig kennt und versteht!...
Mit Wien macht
Leich“ wie eine bunte Maske
man's leicht, weil man Wien selber für leicht an¬
überjauchzt in den ganzen As
sieht. Daß das in sehr vielen Fällen die Leichtig¬
Und Servaes führt seine
keit erreichter Lebensgrazie ist, will man sich nicht
„Ring“, der den rundlichen
gerne eingestehen; noch weniger, daß hinter dieser
Stadt umschließt wie ein reich
cheinbaren Leichtigkeit ein sehr kompliziertes,
setzter Gürtel, in die hastig
schwer ergründliches, trotzdem aus historischer
straße (soweit man in Wien ü
Notwendigkeit organisch erwachsenes Eigenwesen
kann), die aussieht wie ein liel
teht.“ Franz Servaes hat sein Buch in die Form
bol, in dem sich die luxuriöse
von Briefen an eine Berliner Freundin gekleidet.
naiver Selbsterkenntnis spieg
Es sind warme, zärtliche, poetische Briefe. Es
halt.“ Und dann mit einem
sind Liebesbriefe. Mit der anmutigen Pikan¬
den Spaziergängern auf eine
terie, daß die Liebesworte einer ganz anderen
igen Platze der alte brave Tu
Freundin gelten, nämlich der Wienerstadt.
ner in sein Herz geschlossen hi
Also zuerst bekommt die kluge Berlinerin ein
lachende lebende Person ist alse
wenig Geschichte versetzt. Gar nicht viel. Nur
werk, den ringsum jeder Dienst
gerade in appetitlichen Dosen genug, um zu ver¬
ßenecke, jeder Fiakerkutscher auf
stehen, wie sich die „Wiener Rasse“ aus germani¬
wie einen guten Kollegen
schen, keltischen, slavischen und magyarischen Ele¬
Steffel!“ „Und viele durchz
menten bildete und allmählich zu einer „unauf¬
heimlich, während sie verstört
lösbaren Einheit von vorbestimmtem, unerschütter¬
vorüberhasten . . . und vielle
lichem Grundcharakter“ geworden ist: „ein weiche¬
eine einsame Stunde, wo die
res, graziöseres, verschwärmteres Süddeutsch.“
Innern plötzlich an zu klingen
Nur gerade genug, um zu erfahren, wie die Wiene¬
der Allgegenwart dieses stadtbeh
rin es lernte, sich so frei und leicht zu bewegen,
ich unter wunderlich erwac
so geschmackvoll und zierlich sich zu kleiden, so gut
chauern und doch mit geistig fr
dabei zu kochen und vor allem in jeder Beziehung
chauungen erschüttert und bewu
„über ihre erhältnisse zu leben: Oder ist es
Dem Wiener ergeht es in
nicht wichtig, zu hören, was für Eindrücke die
ähnlich wie einem Bürger der
beiden venetianischen Schwestern, die berühmte
o wenig wie dieser sich als
Malerin Carriera Rosalba und die geistreiche
empfindet jener sein Oesterreich
kleine Giovanna bekamen, als sie im 18. Jahr¬
allein ist sein Vaterland. M
hundert Wien besuchten? Wie ihnen die Wiener
agen, daß Wien in einem gen
Fiaker imponierten und wie sie am liebsten den
Oesterreich steht. Der Staat
ganzen Tag mit „carozzaro“ verbracht hätten
Haßerfülkte Nationen bekämpfel
Wie sie diese kleinen Deutschen bewunderten, diese
erfährt nur durch das Parla
„Tedeschette“ die in ihrem Luxus noch die Parise¬
Hader. Es hat seine eigenen
rinnen überboten (pin Parigine delle Parigine).
ein eigenes Leid. Aber es hat
Und ist es nicht belustigend, zu erfahren, daß
entwickelt aus seiner Vergange
auch schon damals die Wiener Handwerker so
ist Wien geblieben. Und dam
wenig bemüht waren, sich ihre Kundschaft
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vielleicht gerade die Wienersta
ichern, „als lebten sie samt und sonders von ihren
des alten Oesterreich. Es
gie
Renten“? Die Prunksucht und Schaulust, der
schen Dichter, keine österreichisch
aristokratische Leichtsinn und liebenswürdige Ka¬
Es gibt nur Wiener Künstlei
valierston sind tief im Wiener Wesen verankert.
viele! Täuschen wir uns nich
Das Leben ist „a Hetz“. Wird durchgetanzt, „ver¬
Besten einer, sagt in seinem
draht“. Und zum Schluß kommt die „schöne ins Freie": „Bei uns ist die E