I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 374

23. Der Ner ins Freie

hmen Spazier¬
doch meistenteils vorsichtig und taktvoll, indem etwa
mgebung.
ein Stockwerk aufgesetzt, oder statt des hölzernen
onnenwar¬
es
Stakets ein Eisengitter vorgelegt wird. Oder
mal wieder in
man rückt ein wenig weiter von der Straße ab
ohl mehr als
einige zehn bis zwanzig Meter hügelaufwärts, wo
ich nicht mehr
man sich dann hinter hoher steiler Mauer oder
als ich Wien
dem Teppich eines Rasens oder Blumenbeets ge¬
den inneren
wichtiger darbietei, auch wohl scheuer und ver¬
war ich pflicht¬
chlossener. Gegen derartige Ausdrucksformen
hich alles jetzt
unserer Zeit läßt sich nicht protestieren. Sie
en. Und daß
stellen sich mit Notwendigkeit ein, aus unserem
m Erinnerun¬
Gemütsstande und aus dem wachsenden Wohl¬
pelt empfäng¬
stande heraus. Und wo sie so feinfüblig dem Cha¬
rakter der Gegend und des Bestehenden sich ein¬
elände zu, das
fügen, wie oft in diesen Wiener Vorstädten, da
gund das seine
verderben sie ja auch nichts.
Fatal wirkt bloß
ften Hebungen
ein betontes Protzentum oder das Sicheinnisten
großstädtisch geschmackloser Zinshäuser, deren Wi¬
iner Rentiers,
derwärtigkeit auch dadurch nicht aufgehoben wird,
türlich gab es
daß sie mit Vorliebe auf „ländliche Geschmacks¬
ndaselbst, und
richtung“ posieren. Im Gegenteil, diese unechte
weit von der
Ländlichkeit, hinter der überall die ordinäre Spe¬
eute noch für
kulation hervorlugt, ist vielleicht das Allerärgste
dcharakter an.
Glücklicherweise begegnet man derlei seelenlosen
wie wohltuend
Auswüchsen in jener Gegend noch ziemlich selten.
ngliche niedere
Immerhin ein paar Visitkarten sind abgegeben.
e Dach gleich
Aber man sollte derlei unwillkommenen Besuch
allenfalls ließ
nöglichst energisch herauskomplimentieren.
durchbrechende
Bis Pötzleinsdorf hatte mich die Elektrische ge¬
aches Staket,
bracht. Ich wußte: wenn ich jetzt die ländliche
oft wohl auch
Villenstraße eine Weile verfolge, dann rechts ab¬
reizen, schließt
biege, durch eine ähnliche Straße und die bis zu
b. Steht ein
ihrem Ende verfolge, so komme ich auf den Som¬
schirmend
rlich
merhaideweg. Doch ich bin ein zu guter Regisseur
ch. Und vorn
um mir so schnell meinen Haupteffekt zu holen.
Sonnenblumen
Ich bog also auf der zweiten Straße nach einiger
hießen, so hoch
Zeit links ab und wanderte langsam dem Walde
per den Dach¬
zu. Ein entzückender Weg, der zwischen Weiß.
dann verstoh¬
dornhecken und Wiesen führte, nahm mich auf.
ieres, das aus
Seitlich senkte es sich leise talab, um jenseits wie¬
erblinzelt.
der högelig und waldig anzusteigen. Hinter mei¬
Pötzleinsdorf,
nem Rücken aber öffnete sich die Ebene, und blickte
und Sievering
ich zurück, so sah ich aus rosagrauem Dunst Wien
lütvolle bieder¬
sich erheben, wie ein fernes ahnungsvolles Pano¬
len entspricht
rama. Es war warm und still und einsam um
habe. Nur hie
nich her. Nur aus dem Tal herauf schallten
einzumischen,
Trompeten und Trommeln einer soldatenspielen¬
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den Schuljugend, die zuweilen in ein jauchzendes
Geschrei ausbrach. Dann geriet ich in den Wald.
Es ist das Liebenswürdige des Wiener Wal¬
des, daß er einen so milde und anheimelnd um¬
ängt. Er ist gerade so weit gepflegt, daß man
angenehm schreitet, und doch so unberührt gelassen,
daß er als Naturmacht auf uns wirkt.
Und im
Nu träumt man sie) zwanzig Meilen von jeglicher
Großstadt hinweg. Auch von diesem Wald hatte
ich bei Schnitzler gelesen und ich wußte, daß ich
beim Verlassen desselben irgendwo auf eine Bank
toßen mußte, von der aus der Tal= und Hügel¬
inblick nach einer neuen Seite sich mir öffnete.
Und richtig, als der Wald sich lichtete, da stand
auch die Bank. Und nicht minder richtig konnte
ch es finden, daß eine junge Dame darauf saß
und, halb bei einem Buch, halb im Anblick der
Natur, poctisch sich ergotzte. Sollte die junge
Dame etwa nicht dort sitzen? Es hatte mir leid
getan um die schöne Bank — so gern ich wohl
elber darauf gesessen hätte. Ich fand übrigens,
als ich um die Ecke bog, ganz nahe eine zweite, auf
der ich mich niederließ, und nun hatte ich just das
Stückchen Tal vor mir, in dem irgendwo das
Häuschen stehen mußte, wo Georg von Wergen¬
thins Knäblein geboren wurde, um dann sofort
gleichsam in den empfangenden Armen des Va¬
ters zu sterben.
Aber ich vergesse ganz zu vermelden, daß der
Weg, an dessem Rand meine Bank stand, eben
der Sommerhaideweg war und daß ich hiemit ge¬
wissermaßen das Ziel meiner Wanderung er¬
eicht hatte. Doch nein, in diesem Falle gab es
kein Ziel, und der Sommerhaideweg ist lange nicht
o schön wie sein Name. Zwar läuft er recht an¬
mutend auf halber Höhe eines Wiesenanstieges
dahin, aber er ist doch kein heimlicher ländlicher
Pfad, sondern eine wohlangelegte fahrbare Straße,
auf der es ziemlich lebhaft zuging. Er sank
alsofort in meiner Gunst. Ich widmete ihm nur
eine kurze Anstandspromenade und kehrte sehr
rasch wieder um, um in das zu meinen Füßen lie¬
gende Tal herniederzusteigen, in dem sich wie eine
ange bewohnte Zeile, aus lauter buschigen Gärten
und ganz kleinen Häusern bestehend, das gemüt¬
liche Neustift am Walde hinstreckt. Da gab es
nun gleich ein Dutzend Wohnhäuserchen, von
enen jedes ganz gut dasjenige sein konnte, von
em Schnitzler uns erzählt. Und eben daß man
die Auswahl hatte und bald hier, bald dort seinen
Traum anspinnen konnte, war das Reizvolle an
der Situation. Natürlich fand ich auch einen
Schild, auf dem eine Hebamme sich kundtat, und
das mußte gewiß dieselbe sein, die damals die
arme Anna Rosner entbunden hat. Sie lag just
im Fenster und schaute mich an, eine dicke behäbige
Frau mit ländlich robusten Zügen. Und die er¬
jählte mir dann ... Aber nein, ich will nicht
ügen. Ich habe die würdige Dame gar nicht ge¬
prochen. Uebrigens lag sie auch nicht einmal im
Fenster, und das Fenster war sogar geschlossen ...
Ich sehe, ich muß bald schließen, sonst kann ich
der einmal erwachten Fabulierlust nicht wider¬
stehen. Doch will ich noch vorher wahrheitsgetreu
erichten, daß ich doch später wieder auf den Som¬
merhaideweg zurückgekehrt bin, sogar hinterlisti¬
gerwheise über verbotene Wiesengründe kletternd,
und daß ich oben auf der Grenze gegen Pötzleins¬
dorf zu auch den lauschig gelegenen kleinen Fried¬
hof fand, den Schnitzler des öfteren erwähnt und
wo Georgs und Annas Kind begraben liegen soll.
Es dunkelte bereits, als ich das vor Sauberkeis
blitzende Kirchgärtlein betrat und sehr bald kam der
Totengräber mit seinem rasselnden Schlüsselbund
und sperrte das eiserne Friedhoftor zu. Ich aber
saß noch eine Weile draußen an der Mauer,
träumte in den lauen Abend hinaus und blickte
zwischen dunklen Baumstämmen hindurch auf wel¬
ig gelagerte grüne Wiesen, auf denen ein helles
armloses Leben sich tammelte und daseinsfroh zu
mir hinaufkicherte.