I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 376

23. Der Neg
ins Freie
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einsamung und der Entfremdung. Oben angelangt wird er von
den andern befreit sein.
Auch von sich selbst?
Gibt es einen Weg zur Selbstbefreiung?
Und ist nicht das die Frage, die der Dichter stellen wollte?
Auguste Hauschner“
lüdliche Typen im modernen deutschen
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Roman.
Na- , I
Im hamburgischen Verein für jüdische Geschichte und
Literatur sprach
die Schriftstellerin Leon Hildeck
(Leonie Meyerhoff) über obiges Thema. Bedeutender und
bedeutungsvoller von Jahr zu Jahr wird in der ernst zu
nehmenden deutschen Erzählungsliteratur das Thema vom
Juden, vom modernen Juden behandelt. Geht der christ¬
liche Dichter wie etwa Fontane in der Darstellung jüdischer
Typen mehr von einem äußerlich impressionistischen Stand¬
punkt aus, so muß der jüdische Darsteller, der seinen
Glaubensbruder um so viel besser kennt, ihn mehr pshcho¬
logisch auffassen. Und insbesondere sind es die Themata
vom Juden unter Christen, vom Christen unter Juden und
von Juden untereinander, die in den Werken dreier jün¬
gerer Romanciers in den letzten Jahren behandelt werden.
Es sind dies die Schriftsteller Arthur Schnitzler,
Georg Herrmann und Richard Huldschiner.
Wenden wir uns zunächst dem Jüngsten unter ihnen,
Richard Huldschiner, der als Arzt in Hamburg iebt, zu.
Geboren ist er 1872 in Gleiwitz als Sohn eines Schlesiers
und einer Vorarlbergerin, zu deren in Bozen lebendem
Vater die Familie bald nach des Dichters Geburt über¬
siedelte. Zum Schilderer des unter Christen lebenden
Juden war er prädestiniert, denn er wuchs in dem katho¬
lischen Bozen auf, wo er als einziger Jude die Volksschule
besuchte, schon als Kind wurde er auf die Ausnahmestellung
des Juden unter lauter Christen aufmerksam gemacht, so
angesehen die Familie auch dastand. Erst seit 1901 hat der
Arzt Huldschiner, der seit 10 Jahren mit seiner Mutter in
Hamburg lebt, seine dichterische Begabung erkannt und ihr
gelebt. Er ist von den drei Modernen, von denen hier die
Rede sein soll, die am lyrischsten angelegte Natur. Huld¬
schiner hat der Geschichte Simsons die stark poetischen
Momente abgewonnen.
In seinem Roman „Die stille
Stadt“ zeichnet der Dichter den jetzt lebenden modernen
Juden und behandelt zugleich das Problem des Juden unter
Christen. Elias Merian, sein Held, ist ein jüdischer
Träumer und Grühler. Die Vortragende schildert dann
eingehend die einzelnen Persönen des Romans. Eine der
schönsten Beschreibungen des Buches ist der Abend des Ver¬
söhnungsfestes im Hause Abarbanells. Von dem seigent¬
lichen Alltagskonflikt des Juden unter Christen ist in dem
Roman wenig die Rede. Es ist ein Buch der erhöhten Ge¬
fühle, ein feiertägliches Buch, ein Buch der Sehnsucht
Die Unbefangenheit des Juden finden wir auch in jenem
zweibändigen Roman, der während der letzten Jahre eines
der meistgelesenen deutschen Bücher gewesen ist. Jettchen
Gebert und die Fortsetzung Henry Jakoby. Hier
ist die Unbefangenheit eben dadurch gegeben, daß die Juden
unter sich sind. Der einzige Christ, der Dr. Fr. Kößling,
ist als Persönlichkeit in dem Roman nicht wichtig. Er ist
kaum mehr als ein Objekt, an dem Jettchen Gebert's
Wesen sich illustriert. Neben dem feinen intensiven Onkel
Jason, dem eigentlichen Helden des Romans, verschwindet
er als ein blasser Schemen. Georg Herrmann
Borchardt, der Verfa##er von Jettchen Gebert, ein ge¬
vorener Berliner, aus der Geborgenheit einer altkultivier¬
ten, vermögenden Judenfamilie früh durch das Unglück
seines Vaters hinausgejagt, das er ergreifend in seinem
Frühroman „Spielkinder“ zeichnet, kennt die verschiedenen
Milieuscbis in ihre feinsten Nuancen hinein.
Arthur Schnitzler hat in seinem neuesten Roman
„Der Weg ins Friie“ nebst einer Reihe anderer Probleme
das Problem der Wiener Juden in überaus vielseitiger
Weise behandelt. Er ist es, der den Christen unter fast
lauter Juden gestellt hat. Arthur Schnitzler, als Sohn
eines Arztes 1862 in Wien geboren, und dort selber als
Arzt lebend, gehört der altwiener Aristokratie an, wie
Herrmann der altberliner. Wer den „Weg ins Freie“ ge¬
lesen hat, muß zugeben, daß hier eine Menge spezifisch
wienerische nicht nur, sondern noch mehr allgemeiner Be¬
obachtung jüdischen Wesens steckt. Eine ganze Reihe von
jüdischen Familien werden in dem Roman gezeichnet, die
alle einen bestimmten Typus des modernen Juden dar¬
stellen.
Es sind noch nicht allzuviele Jahre her, daß der jüdische
Schriftsteller es sorgsam vermied, in seinen Romanen
jüdische Gestalten zu schaffen. Er fürchtete anzustoßen,
bei den Glaubensgenossen wie bei den Andersgläubigen.
Er fürchtete den Konflikt zu verschärfen, wenn er das Kind
beim rechten Namen nannte. Aber man ist anderer Mei¬
nung geworden. Jetzt haben sich bedeutende Dichter der
Schilderung der Juden angenommen, nicht um sie ein¬
seitig zu verherrlichen, das würde wohl den Spott heraus¬
fordern. Nein, um den Juden zu schildern, wie er ist,
alsl Mensch unter Menschen, gleichberechtigt neben Anders¬
gläubigen in der Gesellschaft, im Staat; so geworden als
Produkt seiner Rasse, seiner Religion, seiner Sitten und
seiner Leiden. Nach Ansicht der Vortragenden ist es zu¬
gleich auch eine kulturgeschichtliche Tat, den so unendlich
vielgestaltigen Typ des modernen Juden festzulegen für
künftige Zeiten. Für Zeiten vielleicht, in denen niemand
mehr begreifen kann, daß es einst Menschen gab, die anderen
um ihrer Abstammung und ihres Glaubens willen mensch¬
liche und gesellschaftliche Rechte versagten und auf diese
Zeiten hoffen wir. Die Ausführungen der Rednerin, die
durch Rezitationen aus den Werken der drei Dichter ergänzt
wurden, fanden bei dem zahlreichen Auditorium lebhaften
n.
Beifall.