I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 382

23. Der Nei
ins Freie
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Nr. 5
Nr. 5
Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten
Seite 49
st am besten
Dr. Stauber, Hausarzt bei Rosners.
lich? Wenn Georg Wergenthins und Annas Liebe nicht
nie mit dem
Dr. Berthold Stauber, Abgeordneter und Bak¬
ohne Folgen bleibt, so ist der Fall nicht mehr glatt und
teriologe.
sind die Konsequenzen nicht mehr klar. Denn Anna ist
loch
Eißler sen., Walzerkomponist.
ein anständiges, gebildetes und liebes Mädel. Ferner:
Willy Eißler, sein Sohn.
wenn es einer Schauspielerin im allgemeinen in ihrem
Hofrat Wilt.
Berufe nicht schadet, daß sie ein Verhältnis hat, so ist
Edmund Nürnberger, Schriftsteller.
ein Mädchen bürgerlicher Kreise, das ein Kind be¬
Heinrich Bermann, Schriftsteller.
kommt, geliefert; sie ist unmöglich, deklassiert. Aber
Anna Rosner, Klavierlehrerin.
wenn das Kind stirbt? Gegenfrage: hat sich dadurch
Joseph, ihr Bruder.
die Pflicht für Georg irgendwie geändert? nicht nur
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Der alte Rosner.
die Pflicht gegenüber Anna, sondern die gegenüber sich
Seine Frau.
selbst? Aber, so scheint Georg einzuwenden, gerade
Der alte Golowski.
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meine Pflicht mir selbst gegenüber fordert, daß ich,
Leo Golowski, Student,
sein Sohn.
über dies Verhältnis hinweg, meinen Weg finde, den
Therese, seine Tochter,
Agitatorin.
„Weg ins Freie“, Adeliger Dilettant, belüge Dich
Sissy Wyner.
nicht! ruft ihm sein Gewissen zu: ob Du je ein rich¬
Ihre Mutter.
tiger Komponist werden wirst, ist fraglich; daß Du das
Ihr Bruder James.
Annerl unglücklich gemacht hast, ist nicht fraglich. Aber
Frau Oberberger.
ist denn das Annerl so unglücklich? Ist sie nicht
Demeier Stanzides.
sehenden Auges den Weg ihres Schicksals gegangen, mit
dem deutlichen Unterbewußtsein: heiraten wird er mich
Was hat nun Schnitzler daraus gemacht? Eigent¬
nie? Und wiegt nicht dies Jahr des Glückes alle spä¬
liche Handlung: die Geschichte einer Liebe zwischen
tere Enttäuschung auf, alle Bitternis und allen Kum¬
einem jungen Baron und einem Wiener Bürgermäd¬
mer? Fünf Möglichkeiten gibt es: 1. beide töten sich;
chen: wie das Verhältnis entsteht, wie es nicht ohne
2. er tötet sich; 3. sie tötet sich; 4., sie heiraten; 5. sie
Folgen bleibt, wie das Kind gleich bei der Geburt
geben auseinander. Lassen wir die ersten drei aus dem
stirbt, wie die Geschichte klanglos auseinandergeht.
piel: sie sind weniger glaubhaft und weniger sinn¬
Zweitens: da der Held Komponist, die Heldin Klavier¬
reich als die zwei letzten. Es ist wahr, so geht es aus
ehrerin und Sängerin ist, da sie beide in demselben
wie das Hornberger Schießen. Aber es ist das Geschick
Kreise verkehren, da dieser Kreis literarisch und künst¬
der wichtigsten Ereignisse des menschlichen Lebens, daß
lerisch lebhaft interessiert ist, bildet das geistige Leben
sie fast alle mehr oder minder ausgehen wie das Horn¬
des heutigen Wien, zu einem Teil wenigstens, den
berger Schießen. Das Leben selbst hat eine fatale
Hintergrund des Verhältnisses. Drittens: da die
Aehnlichkeit mit diesem vielberufenen Feste. Aber das
Ehrenberg, Stauber, Golowski, Eißler, Nürnberger
Moralische kommt zu kurz! Es ist wahr, aber dem
Wyner, Oberberger und Bermann Juden sind, zum
Dichter boten sich drei Möglichkeiten: das Verhältnis
Teil unter ihrem Judentum leiden, fast alle es als ein
moralisch zusammenzulöten; seinen Bruch zürnend zu
Problem empfinden, so wird die Judenfrage von vielen
strafen; ihn als Psychologe zu erklären. Das erste
Seiten beleuchtet. Aus all dem ergibt sich, daß ein
hätte der geschickte Familienblattautor getan; das
individuelles Geschick offenbar sorgsam vor die be¬
zweite hätte der gute Volksschriftsteller getan; Schnitz¬
wegenden Fragen der Zeit gestellt worden ist, aber
er konnte, seiner ganzen Art nach, nur das dritte tun.
nicht organisch verbunden, denn weder Georg noch
Anna sind Juden, sondern malerisch: als Kontrast¬
Vielleicht allerdings ist diese Abwesenheit des Ethi¬
wirkung. Die Umwelt ist ohne Einfluß auf die Ent¬
schen, dieser Mangel an moralischer Resonanz ein wirk¬
wicklung des Verhältnisses; es würde mit einem ande¬
licher Fehler. Aber dann ist es ein Fehler nicht nur
ren Hintergrunde wenig anders verlaufen. Das indi¬
des Werkes und nicht nur des Autors, sondern unserer
viduelle Problem und das gesellschaftliche Problem be¬
janzen Zeit, die ihre alten ethischen Normen über
rühren sich an keiner Stelle; sie schneiden sich nicht, sie
Bord geworfen hat, ehe sie sich neue innerlich erarbei¬
haben kein gemeinsames Segment. Damit soll nicht
ete. Als Geschöpf dieser Zei zählt Schnitzlers Buch
etwa ein Fehler vorgeworfen, sondern nur die Ab¬
nicht zu jenen gleichsam zeitlosen Werken, die sich an
wesenheit eines Vorzugs, der Verzicht auf ein starkes
eine Leserschaft überhaupt nicht zu wenden scheinen.
Motiv konstatiert werden.
Es erwartet sich gebildete Frauen und Männer als
Leser. Es wendet sich noch mehr an Frauen als an
Das Problem ist das des Liebesverhältnisses. Wenn
Männer; denn die Darstellung einer Leidenschaft mit
Oskar Ehrenberg der Reiter Amy einen Tritt gibt, so
hren alltäglichen und doch den beiden Beteiligten so
richtet er ihr zugleich einen Handschuhladen ein. Der
ewig dünkenden Begebnissen wird Frauen mehr als
Fall ist glatt; denn daß man sein Matschakerl nicht hei¬
Männer, mehr sogar als Mädchen ansprechen. Die
ratet, ist klar. Wenn Heinrich Bermann seinem Ver¬
Männer mögen sich durch die Betrachtungen, die der
hältnis einen Tritt gibt, so ist der Fall nicht minder
Dichter seine Personen über die Judenfrage anstellen
klar: sie betrügt ihn; außerdem, daß man eine Schau¬
läßt, schadlos halten, Jünglinge die zitternde Erwar¬
spielerin, mit der man ein Verhältnis hat, nicht hei¬
tung des Anfanges, ältere das sanfte Verwehen und
ratet, ist die Regel. Aber diese rothaarige Schmieren
Verklingen des Schlusses mit zärtlicher Schwermut ges
komödiantin geht ins Wasser! Jetzt steht sofort das
nießen. Kaum etwas ist anders als alltäglich in dieset
Problem da: ist Bermann für diesen Tod verantwort¬