I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 383

23. Der Nec ins Freie
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Seite 50
Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten
Nr. 5
Erzählung. So ist das Leben, scheint Seite für Seite
die aussi vieille que le monde: le sort d’une femme
zu sagen. Aber ist das Werk wirklich so ganz unpar¬
aimante, fidele, qui a tout donné, qui s’est donnée
teiisch? Ist es nicht einseitig vom Standpunkt des
elle-mème, et désormais délaissée froidement
jungen Mannes aus geschrieben? Gleitet es nicht zu
comme une fantaisie épuisée!
leicht über die Kümmernisse, Aengste und Nöte der
Freising.
Joseph Hofmiller.
jungen Mutter hinweg, über die Scham und Verzweif¬
lung ihrer einsamen Stunden, über die grenzenlose
Enttäuschung, da das Kind stirbt, über die böse und
wunde Bitterkeit, da sie den Mann sich von ihr lösen
Bücherbesprechungen.
sieht, als wäre nichts geschehen? Darin liegt eine Un¬
Neue Goethe= und Schiller=Literatur.
gerechtigkeit. Denn was ihm nur Episode, war ihr der
Goethes Briefe. Ausgewählt und in chrono¬
Inhalt ihres Lebensbechers, und mit Wonne und Qual
logischer Folge mit Anmerkungen herausgegeben von
gefüllt bis zum Rande. Dies Buch beschreibt mit sanf¬
Eduard von der Heblen.
Fünfter Band
ter Unerbittlichkeit den Verlauf einer Leidenschaft als
1807—1818). Stuttgart und Berlin. J. G. Cottasche
einer Kurve, wobei es auf der fallenden nicht minder
Buchhandlung Nachfolger. 312 S. 1 . — Der lange
verweilt als auf der ansteigenden. Es urteilt nicht oder
erwartete fünfte Band dieser auf sechs Bände angeleg¬
gibt sich zum mindesten den. Schein, als wolle es nicht
en Auswahl liegt vor, und der unermüdliche Heraus¬
urteilen. Aber wer schärfer hinhorcht, der hört bald
geber, der die Riesenarbeit der 40bändigen Jubiläums¬
ausgabe von Goethes Werken hinter sich hat, wird nun¬
einen leisen, warmen Unterton von Sympathie heraus,
mehr mit freier Hand diese wertvolle Ergänzung zu den
der Sympathie des Autors für seinen Helden, der
Werken zu Ende führen können. Er müßte sich denn ge¬
Sympathie des Mannes für den Mann; der glaubt zu
rade mit Absicht zurückhalten, um der vollständigen
fühlen, wie sehr Schnitzler die Partei Georgs gegen
Weimarer Ausgabe, die aus dem Goethe=Schiller¬
Anna nimmt, wie er gegen das Mädchen ungerecht ist,
Archiv noch manches Ungedruckte zutage fördert, weiteren
um seinem Helden Unbequemlichkeiten zu ersparen, wie
Vorsprung zu lassen. Denn auf diese Weise gewinnt er
einen Vorteil gegenüber der bereits abgeschlossenen
in Georg, ja in Schnitzler selbst immer noch Anatol
steckt.
Konkurrenzausgabe Ph. Steins, die für ihre letzten
Bände das vollständige Material noch nicht benützen
konnte. Trotzdem bilden auch bei von der Hellen die
Dies gedämpfte Buch ist frischer als manches
der
ängst bekannten Korrespondenzen mit Zelter, Knebel,
konstruierten erzählenden und dramatischen Werke sei¬
Reinhard die Hauptgrundlage, und der leitende Ge¬
nes Verfassers aus den letzten Jahren. Es hat die
danke, den Lebensgang Goethes in seinen Hauptmomen¬
Freiheit, Ruhe und Ründe der Gebärde, die, selbst bei
ten aus den brieflichen Bekenntnissen hervortreten zu
angeborener Begabung, nur durch nachdenkliche Uebung
lassen, ist durch keine Originalitätssucht der Auswahl
erworben werden. In manchen seiner Gesprächsstellen
verwirrt worden. Dieser Grundgedanke wird vortreff¬
ist er noch ganz von der süßen Schwermut des Dramas
lich unterstützt durch die gründliche Kommentierung, in
er von der Hellen der reichhaltigeren, aber kostspieli¬
durchtränkt, das dem Verfasser seinen ersten und
geren Auswahl Ph. Steins überlegen ist.
frischesten Lorbeer um die Stirne wand, in vielen an¬
Goethes „Faust“. Mit einer Einleitung und An¬
deren kündigt sich ein Gesellschaftsanatom an, der uns
merkungen herausgegeben von Prof Dr. Otto Har¬
vielleicht einmal den Wiener Roman schenken wird,
nack. Kritisch durchgesehene Ausgabe. In Liebhaber¬
zu dem der „Weg ins Freie“ sich dann wie eine Sil¬
Leinenband 2 K. Verlag des Bibliographischen Insti¬
berstiftstudie verhalten mag zu einem bewegten Ge¬
tuts in Leipzig und Wien. — Der fünfte Band der
mälde. Kein falscher Ton stört, keine Spur von Rou¬
Heinemannschen Goethe=Ausgabe erscheint hier als
tine; das Ganze ist die Frucht einer langen, nie mit
Sonderdruck, um Paralipomena und die eingehenden
Anmerkungen am Schlusse verkürzt; bereichert dagegen
dem gemeisterten Können zufriedenen Uebung und
um eine neue Einleitung, die nicht mehr wie die bis¬
eines ungewöhnlichen Kunstverstandes. Die Reinheit
erige bei der Entstehungsgeschichte des Werkes ver¬
der Mittel ist ebenso bemerkenswert wie ihr Maß.
weilt, sondern die Analyse des Aufbaues und den Ge¬
Das Werk wird seinen Platz in der Literatur einneh¬
dankengang des Gesamtwerkes in den Vordergrund
men wie in der Entwicklung seines Verfassers. Ein
tellt. Damit ist natürlich noch nicht alles für die Er¬
Werk von fast fünfhundert Seiten, so gleichmäßig und
klärung der Dichtung getan (als reichhaltigere und er¬
künstlerisch im Ton, so vornehm und sorgsam in der
staunlich wohlfeile Kombination von Text und ausführ¬
lichem Kommentar sei die sehr brauchbare Ausgabe
Mache, so von Anfang bis zu Ende festhaltend, so gänz¬
Witkowskis in den Hesseschen Meisterwerken der deut¬
lich auf das Herausarbeiten brillanter Einzelheiten
chen Bühne genannt), aber das Innehalten bei allem
verzichtend, so durchaus als Ganzes angelegt und als
Erklärenswerten ist nicht jedermanns Sache, und zu
Ganzes wirkend, will immerhin etwas besagen. Es hat
unmittelbarem Genuß ist hier ein bequemes Taschenbuch
Stil. Was ihm fehlt, ist Entwicklung. War wirklich
geschaffen, das mit gutem Druck des Textes die notwen¬
dies mit so feinen Mitteln erreichte Ziel erstrebens¬
digsten Fingerzeige zum Verständnis vereint.
wert? Scheint die Kunst des reifen Schnitzler nicht
Schiller. Von Eugen Kühnemann. 3. Auflage
fast vergeudet gegenüber einem Stoff, dessen Stoff¬
(6. bis 9. Tausend). München 1908. C. H. Beck.
liches der Dreißigjährige schon unvergleichlich bewal¬
612 S. Geb. 6,50 K. — Drei Jahre nach seinem
ersten Erscheinen tritt eine Neuauflage dieses im
tigte? Aber er wird niemals erschöpft, dieser alte,
Jubiläumsjahre einstimmig begrüßten
Schillerbuches
schwermütige „Stoff“: Eternelle et tragique ren¬
hervor, das nur in der Berichtigung kleiner von der
contre d’un sexe qui a sa fin en lui-même, et de
Kritik bemerkter Unrichtigkeiten und in stilistischer
celui qui n’est crééque vour l’autre! Cette tragé¬
Beziehung belanglose Aenderungen erfahren hat, das