I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 385

23. Der Nes
ins Fre.
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n deutschen
tur sprach die be¬
Neyerhoff) über die
tschen Roman.
zu Jahr wird in
ratur das Thema
dgerade der jüdi¬
dieses Themas be¬
iterarischen Inter¬
sehen. Ihr greift
Ebenso unbefangen steht er den beiden Freunden gegenüber, die er
find und warum wir
in der stillen Stadt findet, dem alten Overbeck, der ihn mit seinem
Geht der christliche
Geigenspiel entzückt, und dem buckligen Sebenhofer, der ihn durch
idischer Typen mehr
seine schmerzliche Ironie anzieht, ein Verzweifelter, der unter den
ikt aus, so muß der
Fäusten der fanatisierten Menge von Prozessionsteilnehmern stirbt.
umso viel besser
Die stille Stadt täuscht nur vor, Heimat zu sein. Ihre Juden sind
nsbesondere sind es
alle fremd in ihr. Viele sehnen sich fort, nach Osten, nach dem Land
hristen unter Juden
der Väter. Und der Versöhnungstag versammelt sie alle im Hause
ken dreier jüngerer
Abraham Abarbanels, des Geachtetsten unter ihnen. Es ist eine
andelt werden. Es
der schönsten Beschreibungen des schönen Buches, der Abend des
eorg Herrmann und
Versöhnungstages in Abarbanels Haus. Von dem eigentlichen All¬
tagskonflikt des Juden unter Christen ist, wie wir sehen, in diesem
er ihnen, Richard
Buch wenig die Rede. Es ist ein Buch der erhöhten Gefühle, ein
Geboren ist er 1872
feiertägliches Buch, ein Buch der Sehnsucht.
ner Vorarlbergerin,
Die Unbefangenheit des Juden finden wir auch in jenem zwei¬
bald nach des Dich¬
bändigen Roman, der während der letzten Jahre eines der meist¬
nter Christen leben¬
ist: „Jettchen Gebert“
gelesenen deutschen Bücher gewesen
in dem katholischen
und die Fortsetzung: „Henry Jakoby“ Hier aber ist die Un¬
mit lauter christ¬
befangenheit eben dadurch gegeben, daß die Juden unter sich sind.
gefeindet, aber samt
Der einzige Christ dazwischen, der Dr. Fr. Kößling, ist als Versön¬
nder betrachtet, und
lichkeit in dem Roman nicht wichtig. Er ist kaum mehr als ein Ob¬
es Juden unter lau¬
jekt, an dem Jettchen Geberts Wesen sich illustriert. Neben dem
die Familie auch da¬
seinen, intensiven Onkel Jason, dem eigentlichen Helden des Ro¬
knasium zu Gleimitz,
mans, und der von Jettchen eigentlich stets geliebten Gestalt, ver¬
ünchen absolvierten
schwindet er als ein blasser Schemen. In Jettchen Gebert ist der
, und seit zehn Jah¬
Konflikt ein ganz anderer. Wir sehen hier die fein organisierte und
rst seit 1901 hat der
traditionell gebildete jüdische Familie von angeborener und aner¬
hr gelebt. Die üb¬
zogener echter Kultur in ihrem vor einem Jahrhundert unvermeid¬
n, aber sonderbar
lichen Zusammenstoß mit wertloseren und roheren jüdischen Elemen¬
nhier die Rede sein
ten. Dazumal hatte dieser Zusammenstoß im geselligen Leben durch
sein Empfinden die
die schwierigen Verkehrsmittel seinen besonderen Charakter; man
Funken und schla¬
kam nicht so leicht zusammen und trennte sich nicht so leicht. Inner¬
te Simsons die star¬
halb des Familienlebens jedoch ist das Wesen dieses Zusammenstoßes
ka den Helden durch
das gleiche geblieben. Freilich vollzieht sich heute der Zuzug von
n Geheimnis preis¬
Osten, der mit dem Eindringen der Familie Jakoby aus Benchen
rwunden hat und er
in die alteingesessene Berliner Judenfamilie Gebert mit ihrer ver¬
ache, in der seine alte
feinerten Kultur charakterisiert wird, durchaus nicht immer mehr in
nter dem Schutt des
völlig gleicher Weise, wie zu der im Roman geschilderten Zeit. Auch
der jüdische Osten hat sich den zunehmenden Bedürfnissen an Bil¬
siber jede Versuchung
dung angepaßt und tritt heutzutage sogar oft in Gestalt besonders
zeichnet er uns, wir
tüchtiger Elemente ergänzend und erneuernd in die manchmal bis
ver=Jabes und den
der
820
zur Schwächung differenzierten, alteingesessenen Judenkreise
eit der Nacht heraus
westlichen Großstädte ein. Freilich stoßen wir auch heute noch oft
Stadt“ zeichnet der
auf Jakobysche Typen. Georg Hermann Borchardt, der
nd behandelt zugleich
Verfasser von Jettchen Gebert, ein geborener Berliner, aus der Ge¬
8 Merian, sein Held,
borgenheit einer altkultivierten, vermögenden Judensamilie früh
r, daß er garnicht in
durch das geschäftliche Unglück seines Vaters hinausgejagt, das er
noch, daß er gar sich
ergreifend in seinem Frühroman „Spielkinder“ zeichnet, kennt die
bender Mensch nimmt
verschiedenen jüdischen Milieus bis in ihre feinsten Nüancen hin¬
sich sogleich in einem
ein. Und er blickt mit einer Art liebevoll=schmerzlicher Ironie auf
Die stille Stadt ist
das Spiel der Welt, die ihm noch immer, wie einst, mit Spielkin¬
altehrwürdige Enge
dern bevölkert erscheint. Er blickt auf dieses Spiel mit der wehmüti¬
u finden und mit sich
gen Skepsis des Großstädters, der so viele Ideale hat zerschellen
ihn auch hier hin, er
sehen, so viel Pathos großer Gefühle und Vorsätze hat verstummen
pieder liebt, aber von
hören, und doch mit der Liebe eines verstehenden Herzens. In die¬
zum äußersten erschüt¬
er Hinsicht hat er vielleicht etwas, das an die feine Kultur und Zer¬
daß sie ihn um seines
mürbtheit des Oesterreichers Schnitzler erinnert; aber er is
lhn fragt, ob er oft in
dennoch positiver als jener, vielleicht nicht als Mensch, aber jeder
ein, ich bin ja Jude.“
falls als Dichter. Wien zermürbt die Menschen. Die Wiener füh¬
len das selber und können doch nicht von Wien lassen; und ganz be¬
sonders müssen dies die Wiener Juden verspüren, diese mehr als
alle anderen Juden differenzierten, überaus anpassungsfähigen Men¬
chen. Fortgesetzt auf der Hut vor antisemitischen Angriffen und Zu¬
rücksetzungen, sehen sie sich durch solche Behutsamkeit immer wieder
ige ins
auf sich selbs, zurückverwiesen, leicht verletzlich;
eindliche Lager hinüberflüchtend, oder doch wenihst# #müverschie¬
lend. Arthur Schnitzler hat in seinem neuesten Roman „Der Weg
ins Freie“ nebst einer Reihe anderer Probleme, das Problem
der Wiener Juden in überaus vielseitiger Weise behandelt. Er ist
es, der den Christen unter fast lauter Juden gestellt hat, einen Adli¬
gen, begabt und liebenswürdig und dabei charakterschwach, eben wie
ein Wiener Adliger es vielleicht leichter ist als andersländische
Standesgenossen. Arthur Schnitzler, als Sohn eines Arztes 1862.
in Wien geboren und dort selber als Arzt lebend, gehört der alt¬
wiener Aristokratie an, wie Herrmann, der Altberliner. Wer den
„Weg ins Freie“ gelesen hat, muß zugeben, daß hier nicht nur eine
Menge spezifisch wienerische, sondern noch mehr allgemeine Beobach¬
tung jüdischen Wesens steckt. Von dem adligen Helden wird ziem¬
lich im Anfang des Romans gesagt: „Wo Georg auch hinkam, er
begegnete nur Juden, die sich schämten, daß sie Juden waren, oder
olchen, die darauf stolz waren und Angst hatten, man könnte glau¬
ben, sie schämten sich.“ In dem Roman sind diejenigen, die sich schä¬
men, in der Minoerheit. Gleich zu Anfang begegnet uns ein junger
Jude ungarischer Abstammung, Willy Eißler, Dandy und Athlet, der
die glückliche Unbefangenheit der harmonischen Natur besitzt und
seine Abstammung nie verleugnet, jedoch für jedes zweideutige Lächeln
Genugtuung verlangt, dabei sich über Vorurteile und Eitelkeiten, die
aus seiner Stellung entspringen,gelegentlich selber lustig macht. Dann
ist da der Abgeordnete Dr. Berthold Stauber und sein gütiger und
weisheitsvoller Vater, ein alter Arzt, der manchmal ein klein wenig
indiskret wird, teils aus Wohlwollen und teils auch aus den fre¬
lich überlegenen Altersgefühl heraus, das man hin und miwver bei
ist
alten jüdischen Herren findet. Seinem Sohn, dem Abgeordneten,
der Antisemitismus in die Karriere hineingefahren und er gibt
deshalb auf. Und noch eine ganze Reihe von jüdischen Familien
werden in dem Roman gezeichnet, die alle einen bestimmten Typus
des modernen Juden darstellen. Es sind noch nicht allzu viele Jahre
her, daß der jüdische Schriftsteller es sorgsam vermied, in seinen Ro¬
manen jüdische Gestalten zu schaffen. Er fürchtete anzustoßen bei den
Glaubensgenossen wie bei den Andersgläubigen. Er fürchtete, den
Konflikt zu verschärfen, wenn er das Kind beim rechten Namen
nannte. Aber man ist anderer Meinung geworden. Jetzt haben sich
bedeutende Künstler der Schilderung von Juden angenommen, nicht,
um sie einseitig zu verherrlichen, das würde wohl nur den Spott her¬
ausfordern. Nein, um den Juden zu schildern wie er ist, als Mensch
unter Menschen, gleichberechtigt neben Andersgläubigen in der Ge¬
sellschaft, im Staat; so geworden als Produkt seiner Rasse, seiner
Religion, seiner Sitten und seiner Leiden. Wenn der Jude den Ju¬
den ehrlich und überzeugend schildert, so wird der Christ ihn aus
olchen echten, wertvollen Büchern kennen und besser verstehen ler¬
nen. Und zugleich ist es eine kulturgeschichtliche Tat, den so unend¬
lich vielgestaltigen Typ des modernen Juden festzulegen für künftige
Zeiten. Für Zeiten vielleicht, in denen niemand mehr begreifen
kann, daß es einst Menschen gab, die anderen um ihrer Abstam¬
mung und ihres Glaubens willen menschliche und gesellschaftliche
mn
Rechte versagten und auf diese Zeiten hoffen wir.