eines
22. Der 7
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sagte der Kaufmann. „Weiter,“ befahl der Dichter. Der Kaufmann las: „Es waren
natürlich sehr verschiedene Arten von Beziehungen. Mit der einen lebte ich beinahe wie in
einer Ehe, durch viele Monate. Mit der anderen war es ungefähr das, was man ein
tolles Abenteuer zu nennen pflegt. Mit der dritten kam es gar so weit, daß ich
mit ihr gemeinsam in den Tod gehen wollte. Die vierte habe ich die Treppe
hinunter geworfen, weil sie mich mit einem anderen betrog. Und eine war meine
Geliebte nur ein einziges Mal. Atmet Ihr alle zugleich auf, meine Teuern? Tut
es nicht. Es war vielleicht die schönste Stunde meines . . . und ihres Lebens. So
meine Freunde. Mehr habe ich Euch nicht zu sagen. Nun falte ich dieses Dapier
zusammen, lege es in meinen Schreibtisch, und hier mag es warten, bis ich's in einer
anderen Laune vernichte, oder bis es Euch übergeben wird in der Stunde, da ich
auf meinem Totenbette liege. Lebt wohl.“
Der Arzt nahm dem Kaufmann den Brief aus der Hand, las ihn anscheinend
aufmerksam vom Anfang bis zum Ende. Dann sah er zum Kaufmann auf, der
mit verschränkten Armen dastand und wie höhnisch zu ihm heruntersah. „Wenn
Ihre Frau auch im vorigen Jahre gestorben ist,“ sagte der Arzt ruhig, „deswegen
bleibt es doch wahr.“ Der Dichter ging im Zimmer auf und ab, warf einige Male
den Kopf hin und her, wie in einem Krampf, plötzlich zischte er zwischen den Zähnen
hervor „Kanaille“ und blickte dem Worte nach, wie einem Ding, das in der Luft
zerfloß. Er versuchte sich das Bild des jungen Wesens zurückzurufen, das er einst
als Gattin in den Armen gehalten. Andere Frauenbilder tauchten auf, oft erinnerte
und vergessen geglaubte, gerade das erwünschte zwang er nicht hervor. Denn
seiner Gattin Leib war welk und ohne Duft für ihn, und allzu lange war es her,
daß sie aufgehört hatte ihm die Geliebte zu bedeuten. Doch anderes war sie ihm
geworden, mehr und edleres: eine Freundin, eine wahre Gefährtin; voll Stolz
auf seine Erfolge, voll Mitgefühl für seine Enttäuschungen, voll Einsicht in sein tiefstes
Wesen. Es erschien ihm gar nicht unmöglich, daß der alte Junggeselle in seiner Bosheit
nichts anderes versucht hatte, als ihm, dem insgeheim beneideten Freunde die Kameradin
zu nehmen. Denn all jene anderen Dinge, — was hatten sie im Grunde zu bedeuten?
Er gedachte gewisser Abenteuer aus vergangener und naher Zeit, die ihm in seinem
reichen Künstlerleben nicht erspart geblieben waren, und über die seine Gattin
hinweg=gelächelt oder geweint hatte. Wo war dies heute alles hin? So ver¬
blaßt, wie jene ferne Stunde, da seine Gattin sich in die Arme eines nichtigen
Menschen geworfen, ohne Überlegung, ohne Besinnung vielleicht; so ausgelöscht
beinahe, wie die Erinnerung dieser selben Stunde in dem toten Haupt, das da
drinnen auf qualvoll zerknülltem Polster ruhte. Ob es nicht sogar Lüge war, was
in dem Testament geschrieben stand? Die letzte Rache des armseligen Alltags¬
menschen, der sich zu ewigem Dergessen bestimmt wußte, an dem erlesenen Mann,
über dessen Werke dem Tode keine Macht gegeben war? Das hatte manche
Wahrscheinlichkeit für sich. Aber wenn es selbst Wahrheit war, — kleinliche Rache
blieb es doch und eine mißglückte in jedem Fall.
Der Arzt starrte auf das Blatt Dapier, das vor ihm lag, und er dachte an
die alternde, milde, ja gütige Frau, die jetzt zu Hause schlief. Auch an seine drei
Kinder dachte er; den Altesten, der heuer sein Freiwilligenjahr abdiente, die große
Tochter, die mit einem Advokaten verlobt war und die Jüngste, die so anmutig
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sagte der Kaufmann. „Weiter,“ befahl der Dichter. Der Kaufmann las: „Es waren
natürlich sehr verschiedene Arten von Beziehungen. Mit der einen lebte ich beinahe wie in
einer Ehe, durch viele Monate. Mit der anderen war es ungefähr das, was man ein
tolles Abenteuer zu nennen pflegt. Mit der dritten kam es gar so weit, daß ich
mit ihr gemeinsam in den Tod gehen wollte. Die vierte habe ich die Treppe
hinunter geworfen, weil sie mich mit einem anderen betrog. Und eine war meine
Geliebte nur ein einziges Mal. Atmet Ihr alle zugleich auf, meine Teuern? Tut
es nicht. Es war vielleicht die schönste Stunde meines . . . und ihres Lebens. So
meine Freunde. Mehr habe ich Euch nicht zu sagen. Nun falte ich dieses Dapier
zusammen, lege es in meinen Schreibtisch, und hier mag es warten, bis ich's in einer
anderen Laune vernichte, oder bis es Euch übergeben wird in der Stunde, da ich
auf meinem Totenbette liege. Lebt wohl.“
Der Arzt nahm dem Kaufmann den Brief aus der Hand, las ihn anscheinend
aufmerksam vom Anfang bis zum Ende. Dann sah er zum Kaufmann auf, der
mit verschränkten Armen dastand und wie höhnisch zu ihm heruntersah. „Wenn
Ihre Frau auch im vorigen Jahre gestorben ist,“ sagte der Arzt ruhig, „deswegen
bleibt es doch wahr.“ Der Dichter ging im Zimmer auf und ab, warf einige Male
den Kopf hin und her, wie in einem Krampf, plötzlich zischte er zwischen den Zähnen
hervor „Kanaille“ und blickte dem Worte nach, wie einem Ding, das in der Luft
zerfloß. Er versuchte sich das Bild des jungen Wesens zurückzurufen, das er einst
als Gattin in den Armen gehalten. Andere Frauenbilder tauchten auf, oft erinnerte
und vergessen geglaubte, gerade das erwünschte zwang er nicht hervor. Denn
seiner Gattin Leib war welk und ohne Duft für ihn, und allzu lange war es her,
daß sie aufgehört hatte ihm die Geliebte zu bedeuten. Doch anderes war sie ihm
geworden, mehr und edleres: eine Freundin, eine wahre Gefährtin; voll Stolz
auf seine Erfolge, voll Mitgefühl für seine Enttäuschungen, voll Einsicht in sein tiefstes
Wesen. Es erschien ihm gar nicht unmöglich, daß der alte Junggeselle in seiner Bosheit
nichts anderes versucht hatte, als ihm, dem insgeheim beneideten Freunde die Kameradin
zu nehmen. Denn all jene anderen Dinge, — was hatten sie im Grunde zu bedeuten?
Er gedachte gewisser Abenteuer aus vergangener und naher Zeit, die ihm in seinem
reichen Künstlerleben nicht erspart geblieben waren, und über die seine Gattin
hinweg=gelächelt oder geweint hatte. Wo war dies heute alles hin? So ver¬
blaßt, wie jene ferne Stunde, da seine Gattin sich in die Arme eines nichtigen
Menschen geworfen, ohne Überlegung, ohne Besinnung vielleicht; so ausgelöscht
beinahe, wie die Erinnerung dieser selben Stunde in dem toten Haupt, das da
drinnen auf qualvoll zerknülltem Polster ruhte. Ob es nicht sogar Lüge war, was
in dem Testament geschrieben stand? Die letzte Rache des armseligen Alltags¬
menschen, der sich zu ewigem Dergessen bestimmt wußte, an dem erlesenen Mann,
über dessen Werke dem Tode keine Macht gegeben war? Das hatte manche
Wahrscheinlichkeit für sich. Aber wenn es selbst Wahrheit war, — kleinliche Rache
blieb es doch und eine mißglückte in jedem Fall.
Der Arzt starrte auf das Blatt Dapier, das vor ihm lag, und er dachte an
die alternde, milde, ja gütige Frau, die jetzt zu Hause schlief. Auch an seine drei
Kinder dachte er; den Altesten, der heuer sein Freiwilligenjahr abdiente, die große
Tochter, die mit einem Advokaten verlobt war und die Jüngste, die so anmutig