I, Erzählende Schriften 22, Der Tod des Junggesellen. Novelle, Seite 8

Der Tod eines
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und reizvoll war, daß ein berühmter Künstler neulich erst auf einem Balle gebeten
hatte, sie malen zu dürfen. Er dachte an sein behagliches Heim, und alles das,
was ihm aus dem Brief des Toten entgegenströmte, schien ihm nicht so sehr un¬
wahr, als vielmehr von einer rätselhaften, ja erhabenen Unwichtigkeit. Er hatte
kaum die Empfindung, daß er in diesem Augenblick eiwas Neues erfahren hatte.
Eine seltsame Epoche seines Daseins kam ihm ins Gedächtnis, die vierzehn oder
fünfzehn Jahre weit zurücklag, da ihn gewisse Unannehmlichkeiten in seiner
ärztlichen Laufbahn betroffen und er, verdrossen und endlich bis zur Verwirrung
aufgebracht, den Plan gefaßt hatte, die Stadt, seine Frau, seine Familie zu ver¬
lassen. Zugleich hatte er damals begonnen eine Art von wüster, leichtfertiger Exi¬
stenz zu führen, in die ein sonderbares, hrsterisches Frauenzimmer hineingespielt hatte,
das sich später wegen eines anderen Liebhabers umbrachte. Wie sein Leben nachher
allmählich wieder in die frühere Bahn eingelaufen war, daran vermochte er sich
überhaupt nicht mehr zu erinnern. Aber in jener bösen Epoche, die wieder ver¬
gangen war, wie sie gekommen, einer Krankheit ähnlich, damals mußte es geschehen sein,
daß seine Frau ihn betrogen hatte. Ja, gewiß verhielt es sich so, und es war ihm
ganz klar, daß er es eigentlich immer gewußt hatte. War sie nicht einmal nahe daran
gewesen, ihm die Sache zu gestehen? Hatte sie nicht Andeutungen gemacht? Vor
dreizehn oder vierzehn Jahren. .. Bei welcher Gelegenheit nur ...? War es
nicht einmal im Sommer gewesen, auf einer Ferienreise — spät abends auf einer
Hotelterrasse? . .. Dergebens sann er den verhallten Worten nach.
Der Kaufmann stand am Fenster und sah in die milde, weiße Nacht. Er
hatte den festen Willen, sich seiner toten Gattin zu erinnern. Aber so sehr er seine
innern Sinne bemühte, anfangs sah er immer nur sich selbst im Lichte eines grauen
Morgens zioischen den Ofosten einer ausgehängten Türe stehen, in schwarzem An¬
zug, teilnahmsvolle Händedrücke empfangen und erwidern, und hatte einen faden
Geruch von Karbol und Blumen in der Nase. Erst allmählich gelang es ihm, sich
das Bild seiner Gattin ins Gedächtnis zurückzurufen. Doch war es zuerst nichts
als das Bild eines Bildes. Denn er sah nur das große, goldgerahmte Porträt,
das daheim im Salon über dem Klavier hing und eine stolze Dame von dreißig Jahren
in Balltoilette vorstellte. Dann erst erschien ihm sie selbst als junges Mädchen, das
vor beinahe 25 Jahren, blaß und schüchtern, seine Werbung entgegengenommen
hatte. Dann tauchte die Erscheinung einer blühenden Frau vor ihm auf, die neben
ihm in der Loge gethront hatte, den Blick auf die Bühne gerichtet und innerlich
fern. Dann erinnerte er sich eines sehnsüchtigen Weibes, das ihn mit unerwarteter
Glut empfangen hatte, wenn er von einer langen Reise zurückgekehrt war. Gleich
darauf gedachte er einer nervösen, weinerlichen Person, mit grünlich matten Augen,
die ihm seine Tage durch allerlei schlimme Launen vergällt hatte. Dann wieder
zeigte sich in hellem Morgenkleid eine geängstigte, zärtliche Mutter, die an eines
kranken Kindes Bette wachte, das auch hatte sterben müssen. Endlich sah er ein
bleiches Wesen daliegen mit schmerzlich heruntergezogenen Mundwinkeln, kühlen
Schweißtropfen auf der Stirn, in einem von Athergeruch erfüllten Raum, das seine
Seele mit quälendem Mitleid erfüllt hatte. Er wußte, daß alle diese Bilder und
noch hundert andere, die nun unbegreiflich rasch an seinem iinern Auge vorüber¬
flogen, ein und dasselbe Geschöpf vorstellten, das man vor zwei Jahren ins Grab