22. Der Tod eines Jungvesellen
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gesenkt, das er beweint, und nach dessen Tod er sich erlöst gefühlt hatte. Es war
ihm, als müßte er aus all den Bildern sich eines wählen, um zu einen sicherem
Gefühl zu gelangen; denn nun flatterten Beschämung und Zorn suchend ins Leere.
Unentschlossen stand er da und betrachtete die Häuser drüben in den Gärten, die
gelblich und rötlich im Mondschein schwammen und nur blaßgemalte Wände
schienen, hinter denen Luft war.
„Gute Nacht,“ sagte der Arzt und erhob sich. Der Kaufmann wandte sich um.
„Ich habe hier auch nichts mehr zu tun.“ Der Dichter hatte den Brief an sich
genommen, ihn unbemerkt in seine Rocktasche gesteckt und öffnete nun die Tür ins
Nebenzimmer. Langsam trat er an das Totenbett und die anderen sahen ihn, wie
er stumm auf den Leichnam niederblickte, die Hände auf dem Rücken. Dann ent¬
fernten sie sich.
Im Dorzimmer sagte der Kaufmann zum Diener. „Was das Begräbnis an¬
belangt, so wär' es ja doch möglich, daß das Testament beim Notar nähere Be¬
stimmungen enthielte.“ „Und vergessen Sie nicht,“ fügte der Arzt hinzu, „an die
Schwester des gnädigen Herrn nach London zu telegraphieren.“ „Gewiß nicht,“
erwiderte der Diener, indem er den Herren die Türe öffnete.
Auf der Treppe noch holte sie der Dichter ein. „Ich kann Sie beide mit¬
nehmen,“ sagte der Arzt, den sein Wagen erwartete. „Danke,“ sagte der Kauf¬
mann, „ich gehe zu Fuß.“ Er drückte den beiden die Hände, spazierte die Straße
hinab, der Stadt zu und ließ die Milde der Nacht um sich sein.
Der Dichter stieg mit dem Arzt in den Wagen. In den Gärten begannen die
Dögel zu singen. Der Wagen fuhr an dem Kaufmann vorbei, die drei Herren
lüfteten jeder den Hut, höflich und ironisch, alle mit den gleichen Gesichtern. „Wird
man bald wieder etwas von Ihnen auf dem Cheater zu sehen bekommen?“ fragte
der Arzt den Dichter mit seiner alten Stimme. Dieser erzählte von den außerordent¬
lichen Schwierigkeiten, die sich der Aufführung seines neuesten Dramas entgegen¬
stellten, das freilich, wie er gestehen müsse, kaum erhörte Angriffe auf alles mögliche
enthielte, was den Menschen angeblich heilig sei. Der Arzt nickte und hörte nicht
zu. Auch der Dichter tat es nicht, denn die oft gefügten Sätze kamen längst wie
auswendig gelernt von seinen Lippen.
Dor dem Hause des Arztes stiegen beide Herren aus und der Wagen fuhr
davon.
Der Arzt klingelte. Beide standen und schwiegen. Als die Schritte des Haus¬
meisters nahten, sagte der Dichter: „Gute Nacht, lieber Doktor“ und dann mit einem
Zucken der Nasenflügel, langsam: „ich werd' es übrigens der meinen auch nicht
sagen.“ Der Arzt sah an ihm vorbei und lächelte süß. Das Tor wurde geöffnet,
sie drückten einander die Hand, der Arzt verschwand im Flur, das Tor fiel zu. Der
Dichter ging.
Er griff in seine Brusttasche. Ja, das Blatt war da. Wohlverwahrt und ver¬
siegelt sollte es die Gattin in seinem Nachlaß finden. Und mit der seltenen Ein¬
bildungskraft, die ihm nun einmal eigen war, hörte er sie schon an seinem Grabe
flüstern: Du Edler . . . Großer.
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gesenkt, das er beweint, und nach dessen Tod er sich erlöst gefühlt hatte. Es war
ihm, als müßte er aus all den Bildern sich eines wählen, um zu einen sicherem
Gefühl zu gelangen; denn nun flatterten Beschämung und Zorn suchend ins Leere.
Unentschlossen stand er da und betrachtete die Häuser drüben in den Gärten, die
gelblich und rötlich im Mondschein schwammen und nur blaßgemalte Wände
schienen, hinter denen Luft war.
„Gute Nacht,“ sagte der Arzt und erhob sich. Der Kaufmann wandte sich um.
„Ich habe hier auch nichts mehr zu tun.“ Der Dichter hatte den Brief an sich
genommen, ihn unbemerkt in seine Rocktasche gesteckt und öffnete nun die Tür ins
Nebenzimmer. Langsam trat er an das Totenbett und die anderen sahen ihn, wie
er stumm auf den Leichnam niederblickte, die Hände auf dem Rücken. Dann ent¬
fernten sie sich.
Im Dorzimmer sagte der Kaufmann zum Diener. „Was das Begräbnis an¬
belangt, so wär' es ja doch möglich, daß das Testament beim Notar nähere Be¬
stimmungen enthielte.“ „Und vergessen Sie nicht,“ fügte der Arzt hinzu, „an die
Schwester des gnädigen Herrn nach London zu telegraphieren.“ „Gewiß nicht,“
erwiderte der Diener, indem er den Herren die Türe öffnete.
Auf der Treppe noch holte sie der Dichter ein. „Ich kann Sie beide mit¬
nehmen,“ sagte der Arzt, den sein Wagen erwartete. „Danke,“ sagte der Kauf¬
mann, „ich gehe zu Fuß.“ Er drückte den beiden die Hände, spazierte die Straße
hinab, der Stadt zu und ließ die Milde der Nacht um sich sein.
Der Dichter stieg mit dem Arzt in den Wagen. In den Gärten begannen die
Dögel zu singen. Der Wagen fuhr an dem Kaufmann vorbei, die drei Herren
lüfteten jeder den Hut, höflich und ironisch, alle mit den gleichen Gesichtern. „Wird
man bald wieder etwas von Ihnen auf dem Cheater zu sehen bekommen?“ fragte
der Arzt den Dichter mit seiner alten Stimme. Dieser erzählte von den außerordent¬
lichen Schwierigkeiten, die sich der Aufführung seines neuesten Dramas entgegen¬
stellten, das freilich, wie er gestehen müsse, kaum erhörte Angriffe auf alles mögliche
enthielte, was den Menschen angeblich heilig sei. Der Arzt nickte und hörte nicht
zu. Auch der Dichter tat es nicht, denn die oft gefügten Sätze kamen längst wie
auswendig gelernt von seinen Lippen.
Dor dem Hause des Arztes stiegen beide Herren aus und der Wagen fuhr
davon.
Der Arzt klingelte. Beide standen und schwiegen. Als die Schritte des Haus¬
meisters nahten, sagte der Dichter: „Gute Nacht, lieber Doktor“ und dann mit einem
Zucken der Nasenflügel, langsam: „ich werd' es übrigens der meinen auch nicht
sagen.“ Der Arzt sah an ihm vorbei und lächelte süß. Das Tor wurde geöffnet,
sie drückten einander die Hand, der Arzt verschwand im Flur, das Tor fiel zu. Der
Dichter ging.
Er griff in seine Brusttasche. Ja, das Blatt war da. Wohlverwahrt und ver¬
siegelt sollte es die Gattin in seinem Nachlaß finden. Und mit der seltenen Ein¬
bildungskraft, die ihm nun einmal eigen war, hörte er sie schon an seinem Grabe
flüstern: Du Edler . . . Großer.