I, Erzählende Schriften 21, Der tote Gabriel, Seite 6

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#ertrhenSun geyorigen Persönlichkeiten, die
in Pjelowesh anwesend find, der Kommandeur
und die Offiziere des Charkower Regiments ge¬
laden, die in Bjelowesh den Schutzdienst versehen.
Während des Frühstücks erhob Seine Ma¬
jestät der Kaiser sein Glas auf das
Wohl der genannten Truppenteile.
(pta.)
Der Minister des Aeußern, Hofmeister
Ssasonow
ist gestern im Nordexpreß in Begleitung des
Kanzleidirektors des Ministeriums, Baron
Schilling, nach Großbritannien abgereist.
(pta.)
geliebt war. Er zweifelte in biesen.
auch stärker als je, daß Gabriel jemals Talent
gehabt hätte. Freilich konnte er sich des Stückes
nur dunkel entfinnen, in dem Wilhelmine voriges
Jahr die Hauptrolle gespielt hatte und nach
dessen Mißerfolg sie, wie zur Entschädigung,
Gabriels Geliebte geworden war. Sehr leise
sagte Irene jetzt, mit abgewandtem Blick: „Sie
haben also in den letzten Jahren nicht mit ihm
verkehrt?“
„Wenig,“ erwiderte Ferdinand. „Erst im letzten
Herbst sind wir wieder einige Male zusammen¬
gekommen. Ich bin ihm zufällig einmal auf dem
Ring begegnet. Er war gerade in Gesellschaft
der Bischof, und wir haben dann alle drei im
Volksgarten miteinander soupiert. Es war ein sehr
gemütlicher Abend. Man konnte noch im Freien
sitzen, obwohl es schon Ende Oktober war. Dann
sind wir noch ein paarmal zusammengewesen nach
diesem Abend — ein= oder zweimal sogar oben bei
Fräulein Bischof. Ja, es hatte gewissermaßen
den Anschein, als wenn man einander wieder¬
gefunden hätte, nach langer Zeit. Aber es wurde
nichts daraus.“ Ferdinand sah an Irene vorbei
und lächelte.
„Nun will ich Ihnen was erzählen,“ sagte
Irene. „Ich hatte die Absicht, Fräulein Bischof
zu besuchen.“
„Wie?“ rief Ferdinand und betrachtete Irenens
Stirn, die sehr weiß war und höher, als Mädchen¬
stirnen zu sein pflegen.
Die Quadrille war zu Ende und die Musik
schwieg. Lärmend von unten drang das Gewirr
der Stimmen. Einige gleichgiltige Worte, als
hätten sie die Kraft, sich von den andern loszu¬
lösen, klangen deutlicher.“
„Ich war sogar fest entschlossen,“ sagte Irene,
während sie den elfenbeinernen Fächer auf= und
zuklappte. „Aber — denken Sie, wie kindisch, im
letzten Moment versagte mir immer der Mut.“
„Warum wollten Sie sie denn besuchen?“ fragte
Ferdinand.
„Warum? Das ist doch sehr einfach. Ich wollte
sie eben von Angesicht zu Angesicht sehen, ihre
Stimme hören, wollte wissen, wie sie im gewöhn¬
lichen Leben spricht und sich bewegt, sie um
allerlei alltägliche Dinge fragen. Begreifen Sie
denn das nicht?“ fügte sie plötzlich heftig hinzu,
achte kurz, trank einen Schluck aus ihrem Glase
nd redete weiter. „Es interessiert einen doch,
wie diese Frauen eigentlich sind, diese geheimnis¬
vollen, die man mit anderem Maße messen muß,
wie Sie behaupten, die, für die gute Menschen
sich umbringen und die drei Tage später wieder
auf der Bühne stehen, so herrlich und so groß,
als hätte sich nichts auf der Welt verändert.“

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Die Finnländer hoffen dem Rapport des General¬
gouverneurs zufolge, daß die Regierung sich nicht
für Massenprozesse gegen die finnländischen
Beamten entschließen könne, um nicht eine Stag¬
nation in der Tätigkeit der Behörden zu ver¬
anlassen.
Der Magistrat in Tawastehus hat am letzten
Montag zwei von Russen eingereichte Gesuche um
Gewerbescheine unberücksichtigt gelassen.
In der altfinnischen Partei scheint
eine Spaltung einzutreten, indem ein Teil
die Ansicht versicht, die Beamten haben sich den
neuen Gesetzen notgedrungener Weise zu fügen,
während ein anderer Teil für den passiven
Widerstand ist.
In letzter Zeit sind dem Wiborger Gou¬
dallerte, aufgaseehen J.b.erten zur
Rede zu stellen. Und er sah sich schon Karten
wechseln, Zeugen empfangen, im Morgengrauen
durch den Prater fahren, durch die Brust getroffen
auf die feuchte Erde sinken und endlich Wilhel¬
minen mit irgend einem Komödianten an seinem
Grabe stehen. Aber noch vor Ablauf der Sekunde,
die er den Herren Frist gegönnt hatte, starrten
sie nicht mehr und spazierten weiter. Und Fer¬
dinand hörte wieder Irenens Stimme: „Jetzt
hätte ich Mut,“ sagte sie mit einem seltsamen,
wie verzweifelten Lächeln.
„Wozu Mut?“ fragte Ferdinand.
„Mut, das Fräulein Bischof zu besuchen.“
„Das Fräulein Bischof zu besuchen...
jetzt —
„Ja, gerade jetzt. Was denken Sie dazu?“
Und sie wiegte die Schultern im Takte der Musik.
„Oder sollen wir Walzer tanzen?“
„Immerhin liegt es näher,“ meinte Ferdinand.
„Ist es nicht sonderbar,“ sagte Irene mit
lustigen Augen. „Was hat sich denn geändert,
seitdem wir hier in der Loge sitzen und
Champagner trinken? Nichts. Nicht das
geringste.
Und plötzlich kommt einem
vor, daß der Tod gar nichts so Schreck¬
liches ist, als man sich gewöhnlich vorstellt. Sehen
Sie; ohne weiteres könnte ich mich hier hinunter¬
stürzen — oder auch von einem Turm. Wie
nichts erscheint mir das. Ein Spaß. Und wie
gut bekannt wir zwei miteinander geworden sind!
Aber das verdanken Sie nur Gabriel.“
„Ich habe mir nie eingebildet,. ..“ sagte Fer¬
dinand verbindlich lächelnd und merkte, daß er
ein wenig Herzklopfen hatte.
300
Irenens Augen waren nicht mehr lustig, sie
waren groß, schwarz und ernst.
„Und
wissen Sie, wie ich mir das dachte,“ sagte
ohne auf
sie,
ihn zu hören.
„Ich
wollte mich als angehende Künstlerin vor¬
stellen oder einfach als glühende Verehrerin.
Schon lange sehne ich mich... schon lange
schmachte ich danach... in der Art wollte ich
beginnen. Sie sind doch alle sehr eitel, diese
Frauen, nicht?
„Das gehört zum Beruf,“ erwiderte Ferdinand.
„Ach, ich hätte ihr so geschmeichelt, daß sie
ganz entzückt gewesen wäre und mich gewiß auf¬
gefordet hätte, wiederzukommen... Und ich wär'
auch wiedergekommen, öfters sogar, ganz intim
wären wir geworden, Freundinnen geradezu; bis
ich ihr eines Tages...
ja — bis ich ihr's ins
Gesicht geschrieen hätte, in irgendeiner Stunde:
„Wissen Sie auch, was Sie getan haben..
Wissen Sie, was Sie find? Eine Mörderin!
Ja, das sind Sie, Fräulein Bischof.“

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