I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 9

Frau Bertha Garlan
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11.
# Gna Geizel
mehr als behaglich die aus Mitleid die Geliebte des todkranken jungen Barons
wird und ihm die letzten Lebenstage versüßt, mit etwas
wäre es unschön, mit
affectirter Sprödigkeit vorgetragen, wiederum einwandfrei
s in seinem Roman
in der Zeichnung, aber reizlos bei aller Kunst. Und darin
Künsteleien der Sprache, die ein David schon den Mätzchen¬
Croika“ von J. J.
machern überlassen dürfte, wie gleich folgende Stelle: „Erst
em anspruchsvolleren
war der Mond hinter den Bäumen gestanden. Ganz tief
ist kein leichtblütiger
und schwach. Denn es wollte nicht völlig erdunkeln. Und
durch Zeichnung und
in der Welt war eine große Abendhelle voller Ahnungen.
rnstesten Kritik stellt.
Die stritten mit seinem Licht und umhingen die Himmels¬
serreichischen Literatur¬
räume mit einem geisternden Nachglanz.“ Fehlen nur die
haupten. Daß er mit
Gedankenstriche und der Froschlaich am Buchrand, und das
n erobert hätte, wird
moderne „Gedicht“ ist fertig. Böse Zeitgenossen verderben gute
sind drei Geschichten,
Sitten. David wird uns gewiß bald entschädigen für diese schwache
tät, die der Künstler
mit seinem Maßstabe gemensse — schwache Mittel=Ernte.
seine Vorzüge in die
Es sei wiederholt: es möge sich Niemand durch diese
seiner Individualität
Kritik abhalten lassen, diese Bücher zu kaufen und zu lesen.
reitet. Und das sollte
Der Standpunkt des Lesers ist ein anderer, als der des
rgend etwas soll seine
vergleichenden Zeitgeschichtsforschers, der die literarischen
aubt haben; an irgend
Erscheinungen auf ihre Motive, ihre Technik und ihren
m stocken vor Betroffen¬
bleibenden Werth prüft. Es ist eine Ehrenpflicht des
n gearbeiteten, so rund
kaufenden Publicums, die Werke der ernstzunehmenden
durchsetzten Geschichten
Schriftsteller zu erwerben und diesen damit die Möglichkeit
einem Schaffenden zu
zu neuer, besserer Production zu verschaffen. Der Leser
des gehabt habe, aber
kommt dabei noch immer auf seine Kosten, denn werthlos
Werth ist Schonung
sind auch die weniger brillanten Schöpfungen tüchtiger
je sterben“ war origi¬
Meister nicht, und was sie bieten, soll man stets mit Dank
reicher in der Beob¬
empfangen. Ansonsten würde die Kritik der Production
eschichte. Die „Troika“
schaden, statt sie zu fördern, wie es ihre Aufgabe ist. Auf
nichts. Da eine inter¬
Rosen gebettet ist ja der deutsche Schriftsteller ohnehin nicht.
eistige Auflösung eines
Ganz frei von Schuld sind aber die Autoren doch
makellos in Guß und
nicht, wenn der Boden anfängt, etwas weniger ergiebig zu
bei äller Correctheit,
werden. Speciell in Wien hat man sich auf ein zu enges
dächtniß, statt mit der
Feld des Anbaues beschränkt. Weite jungfräuliche Strecken
in die freundlich senti¬
liegen noch brach und harren der Hand, die sie erschließt.
ehrer, der sich bis zum
Der eigentliche Wiener Roman ist noch gar nicht ge¬
und dann an der
schrieben. Oder glaubt man wirklich, das süße Mädel, die
und sein Kind aber
unverstandene oder unbefriedigte F.au, der Dandy und der
bei der er mit so
endlich als dritte im fesche Lieutenant, der Aesthet und Frauenerlöser seien
reschen Müllerstochter, Wiener Specialitäten? Das süße Mädel stammt direct
von Egmont's Klärchen, die unverstandene Frau aus darauf
allen Literaturen der Welt, ihre Urmütter sind Balzac's auf
„Frau von dreißig Jahren“ und Flaubert's „Madame aber
Bovary“, Dandies in allen Nuancen hat England und Ruß= Gesich
re
land hervorgebracht, der Lieutenant wird in Preußen
cultivirt, wenn auch weniger unerbittlich als von Schnitzler,
Aesthet und Frauenerlöser sind nur Caricaturen der Goethe= Oder
schen Erotomanen vom Weislingen bis zum Zouard der
Spiell
Wahlverwandtschaften — das Unglück der Wiener Pro¬
duction ist, daß die Erotik einen zu breiten Raum darin
einnimmt und allen anderen künstlerisch gleichwerthigen Motiven
Luft und Licht raubt. Gewiß, die Erotik war zu allen Zeiten
Würze des Lebens wie der Kunst, und wer nicht zu
spüren vermag, wie das Weib auf den Mann, der Mann
auf das Weib wirken kann, der soll Leim sieden oder in W
Baumwolle speculiren, aber nicht Künstler werden, und wirtk
ein Kunstwerk, das vom Allsieger Eros nichts weiß, mag
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in Klosterzellen zur Erbauung dienen, die Welt wird es Kam
nicht erobern. Aber eine Kunst, die ganz in der Erotik
aufgeht, wird schließlich zum Boudoir=Requisit, zum aus¬
bischer
schließlich weiblichen Gebrauchsgegenstand und hört auf,
Männer von ernstem Beruf zu interessiren. Man soll das
Eine thun und das Andere nicht lassen. Könnte Jemand
aus der Wiener Literaten=Literatur beispielsweise ent¬
Vollbi
nehmen, daß dies Wien, diese alte Metropole des alten
seid
Europa, heute wieder nichts weniger ist als ein politisches
Erdbeben=Centrum, und daß hier jahraus jahrein viel sollt
hundert schwarzer Maulwürfe thätig sind, die festen auch
Säulen des Weltfriedens zu unterwühlen? Hat es
bemes
noch nie einen Wiener Autor gejuckt, der
Welt hält;
zu.
erzählen, „wie man Präsident wird“ auch den
in Wien und Oesterreich? Weiß Niemand
ein sie
Lied von den Conventikeln zu singen, in denen man Welt¬ Seit
geschichte macht, von den Polizeispitzeln, denen als Schein¬ mehr
radicalen die Aufgabe übertragen wird, die radicalste
Denker
Kritik zu übertrumpfen und zu — discreditiren? Von den
gewese
Mitteln und Mittelchen, mit denen man es erreicht, eine
lende
freiheitsdürstige und freiheitstrunkene Bevölkerung wieder
höher,
polizei= und kirchenfromm zu machen und gegen ihre wieder
zigenen Befreier aufzuhetzen? Ah, die Literaten sind stolz.] führer