I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 12

11. Frau Bertha Garlan
box 2/1
1 Cd h n en aen K K
Der
empfindung der beiden Geschlechter. Für das Weib ist die
unsicher. Immer wieder fluchten sie zur Novelle, für die
des
Liebe das eine Schicksal, der Lebensinhalt, und für den
ihr Athem reicht, bemühen sich um die peinliche Dar¬
und
Mann ein Erlebniß, ein Ereigniß neben vielen, nur zu
stellung eines Lebensausschnittes. Drei schöne Bücher, die
Zeiten und für kurze Abschnitte des Daseins zu starker
der Anfang dieses Jahres unserer heimischen Literatur
träg
Bedeutung emporgehoben. Frau Berta muß diese Tragik
geschenkt hat, erwecken aufs Neue diese Gedanken, diesen
schr
verspüren. Sie kehrt zurück in den Alltag, nachdem sie die
Wunsch nach einem österreichischen Roman. Jedes von ihnen
eine Stunde der Sinnlichkeit, des Frühlings in ihrem
ist vollendet in den selbstgezogenen Grenzen der Novelle.
Her
Leibe, verspeist hat. Ein leises Frösteln kommt ihre Seele
Von Frau Marie v. Ebner=Eschenbach's reifer Kunst
Dr.
an, dann auch etwas wie Zufriedenheit im Schmerz, da sie
Neues zu hören, wird Niemand verlangen dürfen. Das
Leit
noch die Rückkehr offen hat in das Leben der kleinen Stadt
Buch „Aus Spätherbsttagen“ hat jene zarte und milde
und der kleinen Menschen. Nur ist sie um eine Lehre reicher:
Art, die damit versöhnt, daß man den Dichter ins Alter
9.4
Sie weiß, daß jede dieser Frauen der kleinen Stadt, deren
vorgerückt fühlt. Jene klare Ruhe, die Fontane'sche Romane
u. L
einzige Sorgen in Kinderstube und Waschküche aufzugehen
verspüren ließen, am stärksten natürlich der wundervolle,
im Ton so weise „Stechlin“, beherrscht auch in diesen
scheinen, wohl auch die Schicksalsstunde gehabt hat, die
zeit¬
Novellen die Darstellung. Der große Zorn, die wilde Wuth,
Sünde begangen, den Kampf durchgemacht, die Ent¬
Wie
.. Als Frau Berta Garlan in ihre
die manches Jugendwerk erfüllt, sind besiegt worden eben
täuschung erlitten.
von all den Schicksalen, die über den Dichter gekommen,
Stadt zurückkehrt, wird eben ein Leben geendet: eine Frau,
gabe
oder doch, von ihm bemerkt und ihn belehrend, an ihm
der sie näher gestanden war, stirbt, weil in ihr ein neues
Berl
vorbeigezogen sind. Auch das große Staunen über die Viel¬
Leben erwacht ist und ihr Gatte nicht der Vater ist, der Ge¬
fältigkeit der Ereignisse, das, wie man sagt, die Quelle
liebte aber hat sie wohl verlassen ... Das ist die Folie, die
mon
aller Philosophie ist, kommt nun nicht mehr zu heftigem
Zukunft, in die Frau Garlan schauen darf, ein fremdes
und
Ausdruck. Frau Marie v. Ebner=Eschenbach sieht nun die
Leben geht zu Ende, das ähnlich angehoben hat, wie das
Leute harmonischer als je, wohl auch in besserem Lichte.
eigene. So ähnlich und so verschieden, wie zweier Frauen
die
Daraus resultirt eine stille Friedlichkeit für diese
Leben eben ist.
praxi
Geschichten, die alle leise Traurigkeit vermitteln, aber nicht
Diese Geschichte ist von schlichter Innigkeit erfüllt.
trostlos sind. Die Geschichten „Der Vorzugsschüler" und
Ein Bild der kleinen Stadt entsteht, wie sie die stille Frau
Fis
zu verbrennen" sind Meisterstücke. Man
„Uneröf
fnet
Berta sieht, dann wie sie ihr unter der Wandlung der
östert
förmlich Gewalt anthun, um diese
mß sich
Liebe erscheint, bewegter, wohl auch in häßlicherem Lichte.
Nr.
innigen Novellen nicht nachzuerzählen.
feinen und
Der langsame Einzug des Schicksals in dieses Frauenleben
Der Frau v. Ebner=Eschenbach ist J. J. David eng
wird eindringlich zum Gefühle des Lesers gebracht und
samn
verwandt. Ich glaube, ich wäre auf diese Beziehung sehr
eine schöne Ergriffenheit und Rührung als Wirkung des
Perle
stolz. Wie sie hat David eher den Ton der österreichischen
Buches wird bei Niemandem ausbleiben. Still ist auch
e.
Provinz, als den der Stadt Wien. Seine Natur sowie
dieses Buch; es wird Keinem und Keiner das Lebensgefühl
1
der besien seiner Figuren sind robuster,
erhöhen. Muth und Lebensfreude vermag es kaum zu
die Naturen
Erbei
geben, allein es hat die Kraft, eine ruhigere Anschauung
schwerer, mit dickerem Blut in den Adern, als die Gro߬
städter. Wenn sie auch in der Stadt leben, so sind hoch
des Lebens, harmonisches Leben zu lehren. Während nun
Andere sich als Kraftnaturen fühlen und der Welt als
die Wurzeln ihrer Existenz auf dem Lande irgendwo öffnet
G. H
Eroberer gegenüberstehen wollen, wird diese stillere 25
sich gewiß eine Perspective auf Felder Wiesen und einen
In dem neuen Bande
bescheidenere Art der Betrachtung dennoch für Den und
dunklen, schwermüthigen Wald:
W. Fr
scheinen mir die Gedichte vom „Talisman“ und die „Mühle
Jenen werthvoll sein.
Umge
von Wranowitz“ am stimmungsreichsten. J. J. David
schöpft die Stimmungen aus seinem Siyl, nicht aus dem
Einlauf.
Stoff. Natürlich ist diese Unterscheidung eine fließende
kanise
Es sind uns nachstehende Bücher, Broschüren und
Grenze; denn selbsiverständlich sind die Menschen, die ihn
K. 2.
Zeitschriften zugesendet worden, deren Besprechung wir
interessiren, und die Begebnisse, die ihm einfallen, seinem
uns nach Maßgabe ihrer Bedeutung und unseres Raumes
beicht
schweren, dumpfen. complicirten und versunkenen Styl
rüh,
vorbehalten:
Durc
adäquat. „Der Talisman“ führt in ein kleines, verquältes
Bücher.
Jent
Leben, das nur eine Hoffnung auf die Güte fremder
W
Otto v. Leitgeb: Sidera cordis. Ein Roman
Menschen erhellt. „Die Mühle von Wranowitz“ ist die
Nove
aus Fri lul. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags¬
Darstellung eines Lebensendes; einer letzten im Angesicht
anstalt.
des Todes sich ereignenden Liebe zwischen dem Gutsherrn,
Zeftg
15
Jubiläumsjahrbuch des Scheffel¬
einem letzten Sprößling eines alten Geschlechtes, und
K.
Bundes für 1900. Geleitet von Oscar Pach.
einem Bauernkind. Das ist mit einem großen Reichthum
Soci
Schwetzingen=Heidelberg und Wien, Verlag des Scheffel¬
For
an Kunst und einem starken Gefühl für die Harmonie von
Bundes.
Stun
Natur und Mensch dargestellt. Erfreulich ist an diesen
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe.sein?
Erzählungen auch die künstlerische Oekonomie in der Aus¬
Verliebte, launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und
in vi
gestaltung des Stoffes durch Details.
Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1900. Erstes bis fünftes
gebur
Das dritte Buch, von dem ich nun zu berichten mich
Tausend. Berlin und Lejpzig, Schuster u. Loeffler.
anschicke, läßt die stärksten Hoffnungen auf einen Wiener
Isabelle Kaiser: Wenn die Sonne untergeht.
Roman erstehen. Hier sind kräftige Spuren, vielleicht
auch schon bewußte Ansätze des Dichters nicht zu verkennen, Novellen. Stuttgart, I. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachf.
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