I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 17

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In diesem Sinne hat auch eine Reihe von Dichtungen,
die in diesem Jahre zutage getreten sind, die Frau ge¬
schaut, die Ellen Key noch immer als eine „neue Materie
für die Forschung“ von der wir nicht wissen, wozu sie
sich entwickeln wird, bezeichnet. Am schönsten durch Ruhe,
einfachen Vortrag und tiefes Erfassen des stillen Innen¬
lebens, das sich selbst genügen muß, ohne nach der Welt
zu fragen, erweisk sich die schlichte, echt österreichische
Frauengestalt, die in Arthur Schnitzlers Dichtung
den=Ramen „Frau Bertha Garlan“?) tragt. Echt öster¬
reichisch ist schon das Milieu, in das er sie stellte: ein
kleines Donaustädtchen, in dem sie als Wittwe mit ihrem
Knaben still dahinlebt, umgeben von Provinzmenschen,
unter denen es nicht an Originalen fehlt, fern von allem
Großstadtgetriebe, wenn man es nicht sucht, aber dann
leicht erreichbar. So ist der Ort ein Bild ihres Selbst,
das sich nicht bewußt wurde, welche Lebenssehnsucht in
ihrem Inneren schlummere, bis, geweckt durch die Er¬
innerung an einen Jugendfreund, plötzlich in ihr Herz
das wilde Verlangen nach einem Liebesglücke einzieht,
das sie nie genossen und einmal wenigstens kennen lernen
will. Und so wandert sie zu ihm, der ihr freundlich
liebend wie einst entgegenkommt, mit voller Sicherheit
des Gefühls gibt sie sich ihm hin ohne Reue
und Gewissensbisse, ja geradezu stolz auf ihren Muth.
In dieser Unbeirrbarkeit ihrer Empfindung ist sie ge¬
radezu eine Wiener Figur, und, wie bei dem Drama
„Liebelei“ desselben Dichters, darf man hier auf Grill¬
parzers Hero verweisen, die ihre innige Verwandt¬
schaft mit der Gestalt des modernen Dichters besonders in
ihrer souveränen Sinnlichkeit, die sich aus mädchenhafter
Sinnigkeit rasch entwickelt hat, und in ihrer überlegenen
Ruhe der Welt gegenüber bekundet. Mit diesem einen
Erlebnisse kehrt sie nach Hause zurück, kalte Phrasen, die
der Mann auf ihre feurigen Briefe erwidert und unver¬
schämte Anträge erfüllen sie mit Ekel vor ihm, und an
der Leiche einer Freundin, die nur zügellose Lust gesucht
hat, ahnt sie „das ungeheure Unrecht in der Welt, daß
die Sehnsucht nach Wonne ebenso in die Frau gelegt
ward als in den Mann: daß es bei den Frauen Sünde
wird, Sühne fordert, wenn die Sehnsucht nach Wonne
nicht Sehnsucht nach dem Kinde ist“ Mit unendlicher
Sorgfalt werden die feinsten psychischen Regungen in der
Seele der Heldin klar gelegt, fast könnte man sie etwas
überinterpretirt finden, wogegen ihre Folie, die Frau
Rupius, wenig Farbe erhalten hat und stark im Dunkel
bleibt. Aber jedenfalls bedeutet der Roman einen großen,
künstlerischen Fortschritt, den ich vor allem darin sehe,
daß der Dichter bei aller Objektivität der Darstellung
viel mehr Wärme und Herz als bisher offenbart.
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Su-wart, Boerlin
No 7 /2 997
Nun desch Stache
Die Aufsehen erregenden Erscheinungen des letzten Jahres sind unter den
genannten Werken nun freilich nicht zu suchen, die kommen immer noch aus
den Kreisen der Dekadenten. Einen Erfolg errang Jakob Wassermanns
„Geschichte der ungen Renate Fuchs“. Man kann nicht sagen, unverdient, denn,
wie der Kunstwart schon bei Gelegenheit der „Juden von Zirndorf“ hervor¬
gehoben hat, Wassermann ist ein Talent. Freilich, er ist auch durch und durch
ungesund, und seine künstlerische Manier erscheint keineswegs einwandfrei —
wir werden uns mit ihm noch gründlicher zu beschäftigen haben. Neben Wasser¬
mann stand als die Erfolgreiche des letzten Jahres, Clara Viebig: auf ihren
besseren naturalistischen Roman „Das tägliche Brot“ folgte der neue Geschichten¬
band „die Rosenkranzjungfer“, in dem denn doch fast alles nur noch Mache àla
Tovote ist. Dieser selbst ließ ein schlechtes Buch „Frau Agna“ erscheinen, das
nichtsdestoweniger mehrere Auflagen erlebte — Berlin W. kann, wie es scheint,
seinen Tovote nicht mehr entbehren. Einen dicken zweibändigen Roman „Der
Weg des Thomas Truck“ giebt soeben Felix Holländer heraus, der, wie
Wassermann, einzelne feine Eigenschaften hat. Arthur Schnitzlers Roman
„Frau Bertha Garlan“ ist nicht sonderlich bedeutend, wenn auch besser als
Tovotes „Frau Agna“. Ueber Schlafs „Die Suchenden“ und Willes „Offen¬
barungen des Wachholderbaums“ werden wir wohl noch zu sprechen haben.
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