I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 27

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11. Frau Bertha Garlan

fallen, da erwecken verschiedene kleine Geschehnisse ihre Phantasie
wie ein Geständniß
als Weib. Ein Jugendflirt aus dem Konservatorium wird
Ingenehm für eine
vor ihr wieder lebendig, da sie von den Erfolgen des Geigen¬
die
serscheint,
künstlers, den sie einst so heiß zu lieben vermeint, in der
geladen werden will.
großen Welt da draußen liest. Und bald bildet sie sich ein, ihn
ose gewesen, um die
nech immer zu lieben, sie schreibt ihm, es entwickelt sich ein
r der Dame gegen¬
breflicher Verkehr, und ihm folgt eine persönliche Begegnung
wohlabgemessenes
mit kurzem, berauschendem Liebesglück. Die arme kleine Frau
chtete, wer ihre allzu
denkt an gewaltige Umwälzungen in ihrem Dasein, sie wi
Glanz der haselnu߬
Geliebten
in die Hauptstadt übersiedeln, um in der Näh
ußte sich wohl sagen,
weilen zu können, dort mit ihrem Klavierunterricht tapfer
satten Tugend auf
den Kampf ums Dasein führen. Aber der Geliebte lehnt zart
pielte auch in keinem
und entschieden Alles ab, denn er liebt nicht wieder; ihm war
damit war es um
die Begegnung mit der Jugendbekanntschaft das Abentener einer
Auftretens geschehen.
flüchtigen Stunde, das er als Frauengourmand verkostete,
t
mehr, die sie
den aber bei Leibe keine ernste Affäre werden darf. T
dann auch, wie
anne Weiblein fällt aus allen Himmeln; doch am Todten¬
zuletzt befielen sie
bette einer Freundin, die ein Opfer verbotener Liebe
trahlte auf wie ein
wird, kommt ihr Klarheit und Verständniß über die Sinnes
verlosch wie ein ganz
verwirrungen der letzten Tage, sie wird sich dessen bewußt
daß sie den Geigenkünstler eigentlich nie geliebt, und in dem
n, die auch nicht zu
Abscheu über das Vergangene erkennt sie, daß sie nicht zu
t. Gestatten Sie, daß
jenen Frauen gehöre, die sich sorglos und mit lockeren Sitten
nerhin merkwürdigen
über die Trostlosigkeiten des Daseins zu trösten vermögen.
le, von der man im
Wenn das eine Verlorene ist, so hat sie sich jedenfalls wieder¬
allen Salons erörtert
jefunden, und die Verlorenen, die sich so rasch wieder finden,
esten Damen gestehen,
ind auch nicht die richtige Spezies. Die geschilderten Frauen¬
llen rothen Lippen
schicksale bilden den Inhalt eines eben erschienenen Romans
Frau Bertha Garlan.
von Arthur Schnitzler: „Frau Bertha Garlan.“
Auch eine
hicksal.
Und noch eue Verkorene, die erst recht keine ist ... die
künstlerische
jüngste Ausstellung unserer Sezession, zeigt uns hundert¬
das Wiener
lang
neunundachtzig Gemälde des Wiener Künstlers Jo¬
ßlich der Versorgung
hann Viktor Krämer. Das ist ein Mann, der sehr viel
rProvinz und führt
kann. Er bietet beachtenswerthe Arbeiten von beinahe
edem Gebiet der Malerei. Ganz prächtige Typen aus dem
Ehe, der Gatte stirbt.
Orient, wie den „Zigeuner aus Jerusalem“, den „Basken“,
ch unterstützt von der
den „Lustigen Neger“, die „Lustigen Beduinenknaben“ und
Knaben und empfindet
Andere, dann sehr hübsche Landschaften, auch Vieles in
n kleinlichen Verhält¬
Kleinmalerei voll Feinheit und Stimmung, Architekturbilder,
ns, wo alles versauert
Historiengemälde, Genres — die Vielseitigkeit des Künstlers
nSchicksal anheimzu¬
ist wirklich erstannlich. Freilich sind in der Sammlung auch
die verschiedensten Einflüsse wahrnehmbar, ja, nicht einmal
die Malweise des Künstlers ist eine gleichmäßige. Sie wechselt
nahezu mit dem Vorwurf. Aber zwei Gemälde enthält die
Ausstellung, die in der Fülle tüchtiger und anerkennenswerther
Arbeit wie wahre Genieblitze berühren. Das eine ist eine „Mater
besser, eine Darstellung der drei Marien,
lolorosa“,
ackender, nahezu typischer Verkörperungen des Grams in
hiedenen Variationen, ein höchst bedeutendes Rundbild.
mnahe eine ganze Seitenwand ein und
ndere
eige shis die Verlorene“ die ich meine. „Ein Abend in
Gemälde. Vor uns liegt das blaue
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den Sonne, und der blaue Himn
er mit d
Am Meeresstrande, auf einer langen
Art, sitzt ein lachender Bursche un
in Lied zur Laute. Das Mädchen I
einen
auf der Bank in seinem kirschrothen Kleide, an den Ihrigen
idelte Vorwurf hat dieses Mal nichts
eschmiegt. Der oft
nichts Süßliches an sich. Mau be¬
Felecktes und Gez
reift sofort, daß die Liebe des Paares sehr realistischer Art
t, daß auch das vorgetragene Lied kein. Kirchen¬
das Glücksgefühl der Beiden da
esang sein mag.
ruht auf sehr realem Boden, und doch ist es ein absolutes.
In Licht und Farbe, in Haltung und Ausdruck der kypischen
Gestalten, in der Stimmung des Ganzen liegt so viel künst¬
lerische Empfindung, daß man sich von der Szene kaum
trennen kann, ja immer wieder zu ihr zurückkehren muß. Da
bemerkte ich, wie ein geistlicher Herr neben mir sich bekreuzigte.
Ja, wahrhaftig, ich hatte gar nicht daran gedacht — es ist
auch sündige Liebe, was da gemalt wurde! Besitzt sie darum
den unbezwinglichen Reiz? Und ist dieses Mädchen da wirk¬
lich eine „Verlorene“ für die man die Gnade des Himmels
aurufen muß? Blos weil sie liebt und glücklich ist und
wahrscheinlich des priesterlichen Segens dabei entbehren zu
können glaubt?! Nein, ich glaube, auch das ist nicht die
richtige Art der „Verlorenen“, und der Himmel wird ihr
nicht zürnen, was auch die Frommen sagen mögen.
Hugo Klein.