I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 28

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11. Frau Bertha Garlan


Literarische Notizen.
[„Frau Bertha Garlan'. Roman von
Arthur Schnitzler. Berlin, Verlag S. Fischer.
1901.] Das Schiller'sche Wort vom Hunger und der Liebe,
die das Weltgetriebe zusammenhalten, hat „Jung Wien“ be¬
kanntlich nur zur Hälfte erfaßt, zur zweiten Hälfte. Auch der
Bedeutendste dieser Autorengruppe, Arthur Schnitzler, be¬
scheidet sich damit. Das Getriebe der inneren Welt nicht
anders wie das der äußeren interessirt ihn nur von einem
Gesichtspunkte aus: Das Verhältniß des Mannes zum Weib,
des Weibes zum Manne. Wenn man daher sein neuestes
Buch ein frauenrechtlerisches nennt, so ist ein Mißverständ¬
niß von vornherein ausgeschlossen. Nur ein Frauenrecht
kann es geben, über das da verhandelt wind. Es wird die
Jlusive
Sehnsucht nach Wonne ebenso in die Frau gelegt als in den
Für
Mann; aber bei den Frauen wird es Sünde und fordert
hlbar
Sühne, wenn die Sehnsucht nach Wonne nicht zugleich die

Sehnsucht nach dem Kinde ist. So lautet Schnitzler's These,

die zu erhärten und zu erweisen er Frau Bertha Gaclan's
ist das
einfache Geschichte erzählt. Sie ist äußerlich so einfach, so
es den
Abon
wenig verschlungen und so uncomplicirt, daß sie kaum für
den mittelstarken Band ausreicht und nicht recht verständlich
macht, warum der Dichter just diese seine Erzählung vor ihren
itend die
Vorgängerinnen ausgezeichnet, ihr den Titel „Roman“ be¬
rgen¬
Inh
scheert hat. Da ist eine junge Witwe nach einem älteren
Zeitung“
he Leben
Manne. In einem kleinen Landstädtchen lebt sie mit ihrem
wod
heilungen
halbwüchsigen Buben dumpf und wunschlos dahin. Und ein¬
des
mal überkommt sie die Erinnerung an den Poesieschimmer, der
wer
einige ihrer Backfischtage bestrahlt hat. Da hat sie einen Con¬
servatoristen gekannt und geliebt, aus dem inzwischen ein
großer Künstler geworden ist. Und sie reist nach Wien, sucht
den Mann auf, und in ihrem Herzen und in ihren Sinnen
sprießt über Nacht all das auf, was der Sonnenbrand und
der Staub des Alltages vertrocknen und verdorren ließ. Jenem
Manne aber ist sie nur ein leichtes Abenteuer einer Nacht ge¬
wesen, ein flüchiger Rausch, der nichts hinter sich läßt denn
ein klein wenig Katzenjammer. Aeußerlich geschieht nichts gar
nichts mehr in dem Buche. Der Roman ist schon zu Ende.
Frau Bertha Garlan wird in ihrer Kleinstadt weiterleben, der
ganze Wahn dieser wenigen wirren Tage ist vorüber, in ihr
verklingen die letzten Schauer einer verlangenden Weislich¬
keit. . .. Freilich hat das Schnitzler'sche Buch noch einen
ganz anderen, reicheren Inhalt. Es ist ein Meisterstück psycho¬
logischer Kleinkunst, das der Dichter hier geboten hat. Der ge¬
heinnißvolle Schleier, der über die weibliche Psyche gebreitet
ist, ward selten mit zarteren und weicheren Fingern zu heben
versucht.
St—
„Frau Bertha Garlan.“ Roman von Arthur Schnitzler.
Berlin, Verlag von S. Fischer.
— Es ist ein Blühen über die öster¬
reichische Literatur gekommen. Wir sind nun auf dem besten Wege,
neben dem österreichischen Drama den modernen österreichischen Roman
zu erhalten. Einer unserer feinsten Dichter hat uns diesmal ein echtes
kleines Kunstwerk gegeben. Schnitzler versteht es wie kaum ein
Zweiter, sich in das Wesen einer Frau hineinzuspinnen. Mit seinem
zarten Silberstift zeichnet er Frauen voll schöner Sehnsucht in farben¬
reicher, äußerst charakteristischer Prosa. Er verbindet in selten künst¬
lerischer Weise die Psychologie des Analytikers mit der des Poeten.
So schafft er aus Dissonanzen des Lebens harmonische Werke der Kunst.
Jetzt hat er auch die krystallklare, tiese Einfachheit der Großen gefunden.
Seine Figuren sprechen nicht mit der verstellten Stimme des Autors,
der hinter ihnen steckt, sie tragen nicht dessen Larve, sie haben alle ihre
eigenen Gesichter, ihre eigenen Grimassen. Hier, im Roman, konnte
sich Schnitzler geben, wie er ist. Der grobe Theaterapparat zwingt
unwillkürlich zu massiveren Mitteln herab. So wirken in „Frau Vertha
Garlan“ alle Vorgänge mit der suggestiven Kraft der Wahrheit; eine
wunderbare Ehrlichkeit verleiht dem Werke eigenartigen Zauber.
A. E.
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„Frau Vertha Gaxlau.“ Roman von Arthur=Schnitzler.
Berlin, Verlag von S. Fischer. — Es ist ein Blühen über die öster¬
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zu erhalten. Einer unserer feinsten Dietter hat uns diesmal ein echtes
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zarten Silberstift zeichnet er Frauen voll schöner Sehnsucht in farben¬
reicher, äußerst charakteriftischer Prosa. Er verbinde#### selten künst¬
lerischer Weise die Psychologie des Analytikers mit der des Poeten.
So schafft er aus Dissonanzen des Lebens harmonische Werke der Kunst.
Jetzt hat er auch die krystallklare, tiefe Einfachheit der Großen gefunden.
Seine Figuren sprechen nicht mit der verstellten Stimme des Autors,
der hinter ihnen steckt, sie tragen nicht dessen Larve, sie haben alle ihre
eigenen Gesichter, ihre eigenen Grimassen. Hier, im Roman, konnte
sich Schnitzler geben, wie er ist. Der grobe Theaterapparat zwingt
unwillkürlich zu massiveren Mitteln herab. So wirken in „Frau Bertha
Garlau“ alle Vorgänge mit der suggestiven Kraft der Wahrheit; eine
wunderbare Ehrlichkeit verleiht dem Werke eigenartigen Zauber.
A. E.
creiden
##legt. Recht hübsc
„Dein niterarisches Debut“, und toll — was selte
Autor der Fall ist — gibt sich das Geschichtchen vom „Heidel

berger Studenten und dem Teufel“ Auch der sentimentale Wiener To¬
fehlt nicht; er ist im „Gemüthsredacteur“ angeschlagen.
R. H—r.
800
„Frau Bertha Garlan.“ Roman von Arthur Schnitzler
Berlin, Verlag von S. Fischer. — Es ist ein Blühen über die öster
reichische Literatur gekommen. Wir sind nun auf dem besten Wege
neben dem österreichischen Drama den modernen österreichischen Romat
zu erhalten. Einer unserer feinsten Dichter hat uns diesmal ein echte
kleines Kunstwerk gegeben. Schnitzler versteht es wie kaum ein
Zweiter, sich in das Wesen einer Frau hineinzuspinnen. Mit seinen
zarten Silberstift zeichnet er Frauen voll schöner Sehnsucht in farben
reicher, äußerst charakteristischer Prosa. Er verbindet in selten künst¬
Bestens empf
lerischer Weise die Psychologie des Analytikers mit der des Poeten.
So schafft er aus Dissonanzen des Lebens harmonische Werke der Kunst.
Jetzt hat er auch die krystallklare, tiefe Einfachheit der Großen gefunden.
Seine Figuren sprechen nicht mit der verstellten Stimme des Autors,
der hinter ihnen steckt, sie tragen nicht dessen Larve, sie haben alle ihre
eigenen Gesichter, ihre eigenen Grimassen. Hier, im Roman, konnte
ich Schnitzler geben, wie er ist. Der grobe Theaterapparat zwingt
unwillkürlich zu massiveren Mitteln herab. So wirken in „Frau Bertha
Garlan“ alle Vorgänge mit der suggestiven Kraft der Wahrheit; eine
wunderbare Ehrlichkeit verleiht dem Werke eigenartigen Zauber.
A. E.
Dan 0