I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 35

11. Frau Bertha Garlan
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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Seite 4.
Neutöner in umfassenderem Sinn. Sie sind ernste, mit
schaffen hat, ist die Seene „Heimkehr“ Zwei junge,
dem Heczen gestalt nde Künstler, die es weise vermeiden
schlanke Menschen stehen in einem maifrischen Garten Brust
zu blenden oder zu kitzeln, die nicht Aufsehen erregen, son¬
an Brust, ganz dem Gefühl ihrer Liebe hingegeben und
dern Frieden verleihen wollen. In so engem Kreise sich
Die beiden
ihres langersehnten Wiedersehens froh.
ihre Kunst bewegt, von so großem Gehalt ist sie. Es ist
Menschen wirken hier wie eine einzige Seele, die Tiese
aber niemals die Weite, sondern immer die Tiefe der An¬
ihres keuschen Glückes wird dir ganz offenbar, und es ist
schauung, die den Künstler zum Meister macht.
dir als schauest du in ein reines, begnadetes Land, wo keine
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß die Worpsweder
Leidenschaften herrschen, sondern Hand in Hand Frieden
eine Auswahl ihrer Radirungen in zwei werthvollen
und Liebe wandeln, und es erfaßt dich ein Verlangen in
Mappen haben erscheinen lassen: „Vom Weyerberg“ und
dieses wundersame Reich.
„Aus Worpewede“. Sie geben beide (im Verlag von
Vogeler versetzt seine Liebesseenen immer in die
Fischer und Franke erschienen) eine gute Anschauung von
Natur, die den Seligen das Gefühl des Glückes erhöht,
der Worpsweder Rabirkunst und seien den Kunstfreunden
den Trauernden die Schmerzen mildert und zu Thrauen
aufs beste empfohlen.
löst. Denn natürlich auch der Liebe Leid dient seinem
Pinsel als Vorwurf. Ich erinnere an das kleine stim¬
mungsschöne Werk „Verlassen“ Ein Mädchen sitzt weinend,
Neue Erzählungen.
das kummerschwere Haupt auf die Hände niederneigend,
am Rande eines Weihers und wünscht sich hinab auf den
Besprochen von Alexander v. Weilen.
Boden der Fluth. Da kommen die Schwäne neugierig her¬
Die Stellung der Frau, die Frage nach ihren Rechten
beigezogen und stannen das weinende Menschenkind an,
und Pflichten gegen sich selbst wie gegen den Mann, das
und einer reckt fragend und bittend den weißen Hals zu ihr
schwierige Prohlem, wie sich das Bedürfniß nach Mutter¬
empor, als wollte er die Verzweifelnde trösten.
chaft mit ihren neuen Forderungen vereinen läßt — das
Mittelalterliche Motive macht sich Vogeler am liebsten
ind die Aufgaben, welche unsre Zeit im Denken wie im
zu eigen oder besser noch sölche Motive, die von aller Zeit¬
Dichten unablässig zu lösen sucht, ahnend und prophe¬
lichkeit losgelöst sind. Seine Jünglinge sind Knappen in
zeiend ein neues Geschlecht und gereinigte höhere An¬
schlanken Purpurgewändern, das Schwert an der Seite,
schanungen verkündend. In ihren jüngsten Essays „Die
auf dem Haupte die eherne Haube. Seine Mädchen sind
Wenigen und die Vielen“)) legt Ellen Key in klarer,
edle Fräulein mit schleppenden Kleidern und kostbaren
verstandestiefer Darstellung ihre gereisten Ueberzeugungen
Spitzen auf dem glänzenden Haar. Auch seine Natur¬
nieder, ohne zu zerstören, sondern vielmehr auf der Basis
bilder binden sich gewöhnlich nicht an eine bestimmte Oert¬
der Ehe und der Gesellschaft vor allem dahin strebend,
lichkeit. Es sind Phantasielandschaften, und Vogelers
der Frau die Grundlage einer Persönlichkeit zu geben,
Wirken ist ziemlich äußerlich mit Worpswede verknüpft.
die in der vom Konventionalismus befreiten Frau gipfelt.
Freilich fehlen die Worpsweder Motive nie bei ihm, aber
Auch ihr ist es einer der schönsten, unveräußerlichen Vor¬
eine Bedeutung, wie bei den Uebrigen, hat diese Landschaft
züge der Weibesnatur, „mit jubelndem Glücksgefühl für
bei ihm gewonnen. Er könnte seine Bilder allerorten
ein geliebtes Wesen unterzugehen“. Aber auch hier hat
malen. Die Ruhe und Abgeschiedenbeit jedoch reizten ihn,
die Schablone gefahrdrohend verallgemeinert: „Dadurch,
und so hat er sich unter seinen Freunden seßhaft gemacht.
daß sie dies unter allen Verhältnissen für das Ideal an¬
Zwei Seelen wohnen in Vogeler. Die eine zieht ihn
=sah, hat die Frau sowohl ihre eigene, wie die Entwicke
mt-Gesiattudes inigen, teinttensermecnge
lung des Mannes verzögert.“ Und sie formulirt die An¬
lockt ihn auf das Feld des Schnurrigen, Sonderbaren. Ver¬
sprüche der Frau dahin, daß alle jene Ausdrucksformen
schmolzen finden sich diese beiden Triebe in seinen so dumm¬
der Individualität, die dem Rechte der Anderen nicht
üßen Märchenbildern. Eine lächelnde Naivetät ist über
schaden, ihr offen stehen.
ie ausgegossen, es sind die Bilder eines großen Kindes,
In diesem Sinne hat auch eine Reihe von Dichtungen,
das dich mit seinen blauen, verträumten Angen so unschul¬
die in diesem Jahre zutage getreten sind, die Frau ge¬
dig ansieht, daß du ihm gut sein mußt. Diese Märchen¬
schautt, die Ellen Key noch immer als eine „neue Materie
bilder sind romantisch, aber ihre Romantik wied zumeist
für die Forschung“ von der wir nicht wissen, wozu sie
durch irgend einen schnurrigen Einfall auf das drolligste
sich entwickeln wird, bezeichnet. Am schönsten durch Ruhe,
Ihre Wirkung ist vorwiegend dekorativ.
prosanirt.
einsachen Vortrag und tiefes Erfassen des stillen Innen¬
Vogeler ist der Einzige in Worpswede, der sich nach dieser
lebens, das sich selbst genügen muß, ohne nach der Welt
Richtung bethätigt, und zwar thut er es in sehr rühriger
zu fragen, erweist sich die schlichte echt österreichische
Weise. In seinen Möbelentwürfen knüpft er gern an die
Frauengestalt die in Arthur Schnitzlers Dichtung
gefälligen Formen der Biedermaierzeit an, er hat Tapeten
den Namen „Frau Vertha Garlan“?) trägt. Echt öster¬
und Teppiche entworsen und bemüht sich in letzter Zeit be¬
reichisch ist schon das Milien, in das er sie stellte: ein
onders um die künstlerische Ausschmückung der Bücher.
kleines Donaustädtchen, in dem sie als Wittwe mit ihrem
In den Erscheinungen des „Insel=Verlages“ hat er bisher
Knaben still dahinlebt, umgeben von Provinzmenschen,
seine Ideen am glücklichsten verwirklichen können.
unter denen es nicht an Originalen fehlt, fern von allem
Es sind zwei Mappenwerke von Vogeler erschienen:
Großstadtgetriebe, wenn man es nicht sucht, aber dann
seine Neigung zum Märchenhaften hat ihn veranlaßt, eine
leicht erreichbar. So ist der Ort ein Bild ihres Selbst,
Anzahl Zeichnungen zu Gerhart Hauptmanns „Versunkener
das sich nicht bewußt wurde, welche Lebenssehnsucht in
Glocke“ zu entwerfen.!) Dann hat er zehn sehr schöner
ihrem Inneren schlummere, bis, geweckt durch die Er¬
kleiner Radirungen zu einer Sammlung „An den Früh¬
innerung an einen Jugendfreund, plötzlich in ihr Herz
ling“ vereinigt.?) Vogeler ist erst 28 Jahre alt. Er hat
das wilde Verlangen nach einem Liebesglücke einzieht,
sich schon jetzt in so ungewöhnlicher Weise hervorgethan,
das sie nie genossen und einmal wenigstens kennen lernen
daß er in Worpswede die große Hoffnung für die Zu¬
will. Und so wandert sie zu ihm, der ihr freundlich
kunft darstellt.
liebend wie einst entgegenkommt, mit voller Sicherheit
des Gefühls gibt sie sich ihm hin, ohne Reue
und Gewissensbisse, ja geradezu stolz auf ihren Muth.
Was die sechs Männer, die sich in dem entlegenen
In dieser Unbeirrbarkeit ihrer Empfindung ist sie ge¬
Flecken zusammengethan haben, so eng miteinander ver¬
radezu eine Wiener Figur, und, wie bei dem Drama
bindet, ist ihre große und ehrliche Liebe zur Natur, die es
„Liebelei“ desselben Dichters, darf man hier auf Grill¬
bewirkt hat, daß sie ihr reiches Können rein von Manier
darzers Hero verweisen die ihre innige Verwandt¬
erhielten, und die ihnen die Einfachheit und Gesundheit
schaft mit der Gestalt des modernen Dichters besonders in
ihrer Gefühle bewahrt hat. Die Worpsweder sind keine
7 Berlin, Fischer.
1) Verlag von Fischer u. Franke, Berlin.
)Ebenda.
2) Insel=Verlag, bei Schuster u. Loeffler, Berlin.