I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 37

11. Frau Bertha Garlan
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Hl.

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lleues vom Büchertisch.
Von
A
Seinrich Bart.
(Abdruck verboten.)
zwischen Entwickelungsfreude und Entwickelungs¬
as ist modern? Diese Frage bildet den Titel
gier, zwischen dem Vorwärtsdrang, der eine Frucht
W einer kleinen Schrift, welche Arthur Seid
der Reife, der Vollendung im Bisherigen ist, der
vor kurzem im Verlage der Berliner „Harmonie“
nach dem Neuen verlangt, weil es eine Erhöhung
veröffentlicht hat. Eine erschöpfende Antwort
und Erweiterung des Lebens in Aussicht stellt,
gibt der Verfasser nicht, aber sein Gedankengang
und jenem Vorwärtshasten, das aus der Unreife
hat viel Ansprechendes und Anregendes. Um sich
ntspringt und nach dem Neuen nur begehrt,
nicht ins allzu Weite zu verlieren, schränkt er die
weil es eben das Neue ist. Das wahrhaft Mo¬
Titelfrage in gewisse Grenzen ein. „Darüber
erne steht nirgendwo im schroffen Gegensatz zu
nüssen wir uns“ meint Seidl, „ein für allemal
dem Gewordenen; ernster Entwickelungsdrang ist
im klaren sein, daß die Frage „Was ist modern?
ohne weiteres vereinvar mit der Beharrungsfreude
zunächst immer nur lauten kann: Was ist für
an dem Tüchtigen, was die Vergangenheit her¬
unsere Zeit gerade das Moderne? Oder ge¬
vorgebracht; in derselben Persönlichkeit kann bald
nauer gesagt: Was ist heute das Lebendige
dies, bald jenes überwiegen. Zu Entartungen
und für unser Dasein besonders wirksam?“ Die
und Auswüchsen führt einzig und allein auf der
Wurzeln dieses Lebendigen, der heutigen Moder¬
einen Seite die blinde Abneigung gegen alles
nität sieht Seidl in den großen Entdeckungen und
Neue, die Rückwärtserei und auf der anderen
neuen Erkenntnissen unserer Zeit. „Unser Blick
die blinde Neuerungssucht, die den Mangel an
hat sich nach außen hin realistisch, das will sagen
Tiefe und Innerlichkeit mit äußerer Übertreibung
nach Seite einer täuschungslosen Erfassung der
und Überhitzung zu verdecken strebt. Gerade diese
Erscheinungswelt, beträchtlich geschärft
5 * *
unklare und unreife Modernität aber drängt sich
nach innen hin hat sich unser Leben ebenso er¬
am meisten in den Vordergrund. Die Auswüchse
staunlich zur Feinnervigkeit fortgebildet, wenn
rregen weit mehr das Interesse, sei es auch nur
mnan will, auch zur Feinfühligkeit veredelt.“
die Spottsucht, als der gesunde, triebkräftige Kern.
Weiterhin äußert sich die moderne Eigenart nicht
Allerdings kommt dieser Kern, wenigstens in der
zum wenigsten in der Abwendung von allem
Litteratur, nur langsam und unauffällig zur Ent¬
dogmatisch Starren, das der Idee der Ent¬
faltung. Das Moverne, von dem Seidl kündet,
wickelung zu widerstreben scheint. Für den Künst¬
offenbart sich bis jetzt mehr in Einzelzügen, im
ler „gibt es kein objektiv Schönes mehr; nichts
Kleinen und Nebensächlichen, als in umfassenden
ist an sich weder schön noch häßlich, ein leben¬
Schöpfungen großen Stils, mehr im Wollen und
diges Subjekt muß erst hinzutreten“ und das
Versuchen, als im Können und Vollbringen. Die
eine als schön, das andere als häßlich empfinden.
ärksten Ansätze zeigt die Lyrik, weit schwächer
Diese Neuanschauung zeugt nicht nur neue For¬
ist das, was sich im Drama bietet, mag es auch
men und neue Stile, sondern führt auch zu neuem
die Offentlichkeit noch so sehr beschäftigen, die ge¬
Gehalt, zu einem neuen Ideal. Letzteres erblickt
ringste Ausbeute aber an moderner Kunst im
Seidl in der „langsam, aber sicher fortschreitenden
großen Sinne und großem Stile bietet der Ro¬
Losringung der Persönlichkeit zum Rechte freier
man. So bacillenhaft unsere Romanlitteratur
Selbstbestimmung nach inneren Eigengesetzen, ohne
wächst und gedeiht so wenig Ebenbürtiges hat
Zwang irgend einer äußeren Autorität.“
sie der Prosaepik des Auslandes entgegenzustellen;
Wie man sieht, stellt sich Seidl durchaus
an wackerer Mittelmäßigkeit ein strömender Über¬
auf die Seite des Neuen, er fühlt sich selbst als
uß, aber wie selten ein Werk, das mit den mo¬
Modernen. Über das, was die sogenannte Mo¬
dernen Meisterwerken der französischen, russischen
derne an bedenklichen Erscheinungen umspannt,
und skandinavischen Erzählungslitteratur auch nur
geht er mit ein paar Worten hinweg. Und doch
verglichen werden kann. Das auszusprechen, ist
wäre scharf zu unterscheiden zwischen einer ge¬
illes andere als eine Sünde gegen den National¬
sunden, wurzelechten und einer krankhaften, an¬
eist, es läuft nicht auf Herabsetzung, sondern auf
gelernten und anempfundenen Modernität. Zwi¬
Ansporn hinaus. Und bei all dem segelt unter
schen Sucht und Sehnsucht nach dem Neuen,