I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 42

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Frau Bertha Garlan

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Die Gegenwart.
Nr. 27.
ihm über den Zeiten, in denen sie lebten. Sie hatten die
ihn den meinigen, weil er im selben Hause mit mir wohnt;
Zeiten, nicht die Zeiten sie gemacht. Grimm ist ein Helden¬
aus keinem anderen Grunde — geht just zur Börse. Es
verehrer, doch nicht einer, der die Augen schließt vor dem
freut mich immer von Herzen, wenn er in all' die funkelnde
Allzumenschlichen, das auch den Helden anhaftet. Er nimmt
Frühlingslust verbissen, überarbeitet, übernervös hineinstarrt,
die Helden als Menschen, er streut nicht vor ihren Bildern
denn Disconto=Commandit werden an solchen Tagen um
Weihrauch, so daß in den Wolken schließlich ihre Umrisse
mehrere Procent nachgeben, und die Rettung der Casseler
verschwimmen. Er ist kein Carlyle. Trotz aller Verehrung
Treber=Gesellschaft ist wieder fraglich geworden. Sobald er
und Liebe, die er für sie hegt, ein wenig skeptisch tritt er
um die Ecke hastet, wird es auf dem Balcon tief unter mir
ihnen gegenüber. Er lächelt wohl: „Seid Ihr wirklich so ge¬
lebendig. Dann holt die stattliche Schwarzhaarige gelbe
wesen, wie man Euch kennt?" Er weiß, auch die Sonne hat
Romanbände hervor und paßt auf, ob ich ihr gelbe Rosen
Flecken, aber thut das wirklich ihrem Glanze Abbruch?
auf den Kopf werfe. Meist treffe ich sie, denn der Balcon
Die großen Persönlichkeiten sind ihm die geistigen Höhen
liegt, wie gesagt, unter meinem Fenster, und ich habe, ehe
der Menschheit, zu denen man emporstreben muß. Wie Jemand
ich die Blumen fallen lasse, nur nöthig, den Winddruck in
sich zu Goethe verhielt, das war ihm wichtig, das war für
Rechnung zu stellen, der der Schwerkraft Abbruch thut. Dar¬
ihn ein Maßstal. Weil er nur ein Auge für die Höhen
nach richtet sich das Maß von Energie, womit i die Maréchal
hatte, streiften seine Blicke nur flüchtig die Niederungen, durch
Niel in die Tiefe werfe. Verirren sollen sie sich nicht, und
die er wandern mußte, um zu den Bergen zu kommen. Was
sie sind weder für die verwittwete Geheime Canzleirath, noch
in den Thälern an seltneren Blumen duftete, an Blüthen¬
für den zum Generalstab abcommandirten, ernsten Haupt¬
bäumen stand, übersah er fast vor den Kronen der Gebirge,
mann bestimmt. Gottlob, daß er von Disconto=Commandit
von denen man so weit zurück und vorwärts in die Lande
so wenig wie ich versteht. Sonst ...
sehen konnte. Hier oben wehte eine reinere Luft, hier weitete
Am farb'gen Abglanz haben wir das Leben.
ich die Brust, und hier oben schien Alles dort unten in den
Heute ist keine Farbe in der Welt. Kein Weiß, Roch,
Niederungen so klein und unbedeutend. Für Hermann Grimm
Blau oder Schwarz. So recht ein Tag, um sich mit Roman¬
scheint eine historische Entwicklung der Dinge nicht vorhanden
figuren die Zeit zu vertreiben, da die Romanfigur der jungen
zu sein. Auch die Großen der Erde sind mit einem Male
Schwarzhaarigen ja doch nicht zum Vorschein kommt. Lassen
da, sie sind gleich groß, sowie sie vor uns erscheinen. Sie
wir die gelben Rosen bei Seite, greifen wir wie die Schwarz¬
scheinen niemals irgendwo auf der Gasse als Kinder gespielt
haarige zu den gelben Bänden.
zu haben, als Knaben in die Schule gegangen zu sein. Grimm
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ieht sie immer zur Zeit ihrer höchsten Kraft, gleichsam im
Spätsommer ihres Lebens, noch vom Blüthenduft umschwebt
Arthur Schnitzlerdessen „Schleier der Berenice“ ein
und schon mit reifen Früchten geschmückt. Der Lenzessonne,
vortreffliches Drama sein muß, denn kein Berliner oder
deren warme Lichter auf den jungen Kronen gespielt, des
Wiener Theaterdirector will es spielen, Arthur Schnitzler hat
Sommerwindes, der über das volle Laub ging, gedenkt er
zum Entgelt dafür einen minder guten Romen geschrieben.
so nebenher; die Zeit, da aus den Blüthen Früchte geworden,
„Frau Bertha Garlan“ heißt er und ist natürlich S.
und die Zeit, da die Früchte eingesammelt werden, gilt ihm
Fischer Verlag. Die amtliche Gründung Jung=Wiens hat
als die wichtigste.
auf Schnitzler keinen günstigen Einfluß ausgeübt. Er hält
Wie sie waren und was sie uns bedeuten, hat er so oft
eine Position jetzt für gesichert und bemüht sich nicht mehr
gefragt Angesichts der irdischen Großen. Wie er war, was
strebend. Während er im „Anatol“ ein Eigener war, Jemand,
er uns bedeutet, fragen wir, nun er nicht mehr ist. Er war
der zwar keinen größeren Melodienvorrath besitzt, aber mild
ein feiner Mensch, vornehm in Gesinnung und Gebahren,
sonnige Weisen schmiegsam und klug zu instrumentiren ver¬
vom Kopf bis zum Fuß ein Gentleman; begabt mit dem
steht; während er in „Freiwild“ und dem schwächeren „Ver¬
tiefsten Verständniß für die Größe und Schönheit der Kunst,
mächtniß“ ernsthaft erotische Probleme zu lösen versucht
die ihm die Blüthe des Lebens war; ein Mann, dessen
und im „Grünen Kakadu“ kecken Wurfs sein Bestes aus¬
Fähigkeit nachzuempfinden auf's Höchste ausgebildet wot;
spielte und ein Mann zu sein trachtete, statt des phäakisch
kein Fachgelehrter, sondern ein reproducirender Künstler,
geistreichelnden Lebejünglings, den er bis dahin markirte¬
während er bis hierher an sich selbst und seinem Werk ar¬
beitete, beginnt er in dem Roman von der Dame Garlan zu
faulenzen. An und für sich sind Schnitzler's Liebesaffairen
herzlich eintönig. Immer das süße Mädel, das ihm zur
Strafe nun auch der ewige Stil= und Novitätenhascher Wol¬
Romantik von heute.
zogen in greulichem Ueberbrettl=Stumpfsinn bedichtert hat;
immer die wehrlose Sehnsuchtsvolle, die liebt und giebt und dann
Von Max Kempff.
still zu Grunde geht. Frau Bertha sieht den Jugendfreund
Wolkenballen hängen über dem Canal. Die Platanen,
wieder nachdem sie aus der Nüchternheit ihrer Ehe glücklich
deren gefiedertes Laub sich so zärtlich der Sonne entgegen¬
befreit ist. Er hat zehn lange Jahre besser genutzt, denn sie
zurecken pflegt, frieren im kalten Ost, schütteln sich unbehag¬
und ist ein Anderer geworden, als sie träumte. Künstler und
lich und haben alle koketten Launen vergessen. Es hätte auch
Lebenskünstler, den weder Skrupel noch Zweifel plagen. Seine
keinen Zweck, den schön blank leuchtenden Stamm und das
dröhnende Berühmtheit entschließt sich gnädig, die hingebende
graziöse Geäst, das Spiel der tänzelnden Blätter heut in den
Schmachtende für eine Nacht oder zwei an's Herz zu nehmen.
Wassern zu bespiegeln, denn die Wasser sind stumpf und todt.
Eigentlich wird sie sein Eigen, ohne es zu wollen und recht
Eintöniges Grau, wie von Bleiklumpen, die lange halbver¬
zu begreifen. Und schaudernd erkennt sie dann, daß das
gessen in Regen und Wind gelagert haben.
flammende, unerhörte, centrale Glück ihres Lebens ihm ein
Sonst sind die Spaziergänge am Ufer um diese Stunde
beiläufiges Abenteuerchen wie andere mehr gewesen ist. Und
reich belebt. Kinderfräulein in Roth, Blau und Weiß, mit
sie muß Gott auf den Knien dafür danken, daß es ihr
weiß, blau, roth herausgeputzten Mädeln und Bengeln; kurze
wenigstens nicht so schlimm ergangen ist, wie der jungen Frau
Röckchen und weite Janker; fröhliche Greise, die nach den ge¬
o und so; daß sie sich in Heimlichkeit, ohne daß die Welt
sundbäckigen Fräulein schauen und sie immer wieder in Ver¬
Witterung bekam und Scandal schlug, aus der bittersüßen
legenheit setzen durch die alte Frage, ob das reizende Kleine
Heimlichkeit zurückziehen konnte.
im Wägelchen ihr eigenes sei. Mein Bankier — ich nenne
Schnitzler spielt gemächlich mit seinem Stoffe, dreht und