I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 43

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11. Frau Bertha Garlan
TARETATTTIAWWATNLI
Nr. 27.
Die Gegenwart.
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wendet ihn unablässig, damit wir das Gewebe auch ja von
sonnenes, Zielloses, Verflatterndes. Ohne sich um den Pfad
allen Seiten betrachten können. Aber die rechte Liebe ist
zu kümmern, klettert Wassermann in's Waldgebirg; hierhin,
das doch nicht. Aber die warme, freudige Schöpferlust offen¬
dorthin führt ihn der Zufall, und stille Wunder der Mädchen¬
bart sich nicht darin, und kein neuer Ton klingt auf. Diese
eele, toller Mannes= und Fann=Spuk, selsame Märchen¬
Frau Bertha interessirt uns weniger als manche Nebenfigur;
gesichter steigen unterwegs auf. Aber auf die Höhe kommen
verborgene Einzelheiten der mühsam zum Roman ausgereckten
wir nicht. Ein Ausblick öffnet sich nicht. Wie Renate die
Novelle wollen uns an's Herz greifen, und dann tritt immer
Liebe sucht, Erfüllung und Erlösung, das ist im meisterhaften
Dame Garlan, die wir schon halb vergessen hatten, störend
Traumstil geschildert, und die eigenthümlichen Kerle, die nach
dazwischen. Aehnliche Geschichten wird Schnitzler noch zu
ihren jungen Reizen dürsten, die sie erprobt, Einen nach dem
Hunderten erzählen können, ohne sich zu echauffiren. Er
Andern, und Alle fortwirft, sie sind Alle Gesellen, mit denen
braucht nur auf den Knopf zu drücken, dann dudelt der
die Wanderung verlohnt. Ihr Aeußeres bleibt verschwommen
Automat gehorsam das Stückchen. Mancher wird's noch oft
wie ihre äußeren Erlehnisse, aber um so eindringlicher sprechen
gern hören, Mancher die Spieldose bald gähnend bei Seite
sie aus der Dämmerung zu uns. Besonderen Duft haucht
schieben. Für die Kunst und für Schnitzler's Kunst ins¬
die Wahrhaftigkeit dieser gleichsam unterirdischen Begeben¬
besondere bedeutet das süße Mädel dieser Prägung heute
heiten in das Buch. Die semitische Psyche ist von Wasser¬
nichts mehr.
mann mit erschreckend scharfsichtigen Augen studirt worden.
*
Er liebt sie zärtlich, und wenn er sie malt, dann merkt man
einem behutsamen Pinsel, seiner matten Farbengebung die
Ein Zurückbleibender ist auch Heinz Tovote. Nur
Sympathie an. Doch zu fälschen versteht er nicht, und seine
daß man bei Schnitzler die Empfindung hat, er ruhe sich
Kunst bleibt absichtslos naiv. Deßhalb ist es so köstlich, in
bloß aus Bequemlichkeitsgründen ein bißchen aus, halte sein
diesem Buche, das fast nur Judenphotographien bringt, zwischen
literarisches Mittagsschläfchen, während Tovote wirklich aus¬
den Zeilen zu lesen. Wenn den Libanon Regenwolken um¬
gepumpt und erschöpft zu sein scheint. Nach langer Rast
hängen, die jede Aussicht dunstig verschleiern, und wenn
hat er im Verlage von Fontane & Co. wieder einen Roman
warmer Wasserdampf zwischen den Cederstämmen blaßgrüne
„Frau Agna“ erscheinen lassen. Bei Licht besehen, sind es
Vorhänge zieht, dann offenbart sich Einem die Landschaft
freilich zwei Romane. Die Dame war unvorsichtig genug, ihrem
Judäas, wie in Wassermann's Roman seine Seele.
Hausfreunde gefährliche Briefe zu schreiben, und der Haus¬
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freund verübt damit, als er sehr. nöthig Geld braucht, nied¬
liche Erpresserkunststücke. Das ist der eine Roman. Der
Ein Menschenkind, das mit vergeisterten Augen in die
andere handelt ebenfalls von Erpressern, und darin besteht
Tiefe der Dinge starrt, ein Poet, der Seelen sucht, weil er
das gemeinsame geistige Band, das den Roman nicht klipp
selber Seele hat
siehe da Gabriele Reuter, die Poetin.
und klar in zwei Bände ausein# der fallen läßt. Der Maler¬
Zweimalhunderttausend Frauen schriftstellern in Deutschland,
professor, der nicht Graefe heißt, wird von den Eltern seines
zweimalhunderttausend — oder sind es nur zwanzigtausend?
Lieblingsmodells unsittlicher Handlungen — so heißt es ja wohl
— Genug, sie machen den Eindruck wie zweihunderttausend.
im Strafgesetzbuche — bezichtigt. Er fühlt sich unschuldiger
Und sie stricken Liebesromane. So etwas von Literatur¬
als ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee, läßt sich aber
verwüstung giebt es in keinem anderen Culturlande. Die Eng¬
doch zur Zahlung von Schweigegeldern bewegen. Tovote
länderinnen, die Bücher schreiben, verrathen dabei doch wenig¬
hat diese abenteuerliche Dummheit nicht eben sonderlich glaub¬
tens etwas Menschenkenntniß, etwas gefälliges Plaudertalent,
haft motivirt. Das Ende vom Liede ist dann, daß der arg¬
manchmal sogar ein bißchen Phantasie. Aber unsere Damen ...
lose Professor Selbstmord begeht; im Schlußcapitel rollt der
Die Reuter ist wie eine üverirdische Erscheinung unter ihnen.
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Leichenwagen am Hause seiner
— sozusagen — Leidens¬
Schon daß ihre Romane eigentlich gar keine sind, sondern
gefährtin vorüber, die den Kampf indeß siegreicher bestanden
ganz subjective, lyrische Aeußerungen eines reichen, fraulichen
hat. Die Arbeit ist bemerkenswerth fasrig componirt, auf
Geistes, schon das nimmt für sie ein. „Ellen von der
Schritt und Tritt stört die Unheitlichkeit der Handlung, spürt
Weiden“ (S. Fischer Verlag) ist, als episches Kunstwerk be¬
man die federhalterkauende Unlust des Autors, sein Sitzfleisch.
trachtet, nicht sonderlich weit her. Lockere Composition; ver¬
Wie er selber nie in Wärme kommt, so auch der Leser nicht.
worrene, mitunter selbst schattenhafte Chorakteristik, — der
Regenwetter über'm Canal. Tovote ist noch immer einguter
liebe Dr. Fritz Erdmannsdörfer z. B. sollte sich selbst an
Beobachter, und deß zum Beweise trägt er fleißig herbei, was
Anämie behandeln — äußere Unwabrscheinlichkeiten die Fülle,
er in Berlin gesehen hat. In seinen früheren Werken aber
und daneben der spukhaft schöne, gemiale Maler, den man
spiegelte sich all' dies Blatt= und Rankenwerk gefällig auf
jetzt aller Orten umgehen sieht. Und dennoch — wie fesselt
sonndurchleuchtetem, heißem Blau, raste ein Strom von Leiden¬
das seltsame Buch! Wie ein verregneter Sommertag im
schaft oder doch heißblüriger Sinnlichkeit durch das Buch und
Harz, wo man meilenweit keinem Weibgeborenen begegnet,
riß mitunter selbst den Bedenklichen hin. Heute regnet's,
sich mitten in der mittelften Cultur und doch allein mit den
und grau und grämlich liegt die Straße da. Um diese
Berggespenstern weiß, doch alle ihre Geheimnisse erfährt.
nüchterne, unpersönliche Geschichte zu schreiben, bedurfte es
Ellen von der Weiden's Berliner Schicksale, ihr merkwürdiges
eines Tovote nicht. Das ist Romanindustrie. Vielleicht
Eheleben, ihre phantastische Brautnacht im Harzer Walde
nicht einmal in Berlin marktgängige, und sicher keine für
das ist mit jener Naturkraft geschrieben, die alle Kunst und
den Export.
alle Kunstfehler vergessen macht. Auch über Gabriele Reuter's
*
Roman hängen graue Wetterwolken, es ist wenig sommer¬
licher Frohsinn und sonnige Farbe darin. Aber hier hat
Herr Jacob Wassermann, der früher in der „Jugend“
künstlerische Absicht sie ausgemerzt; ihre Romantik ist aus
allerlei Phantastisches drucken ließ und dann die Comödie
inneren Gründen melancholisch. Wenn die Reuter wollte,
„Hockenjos“ schrieb, ein schlechtes Stück mit einem guten
so würde ihr Buch gelbe Strahlen sprühen und von gelben
ersten Act, hat jetzt bei S. Fischer „die Geschichte der
Rosen duften. Einstweilen aber schildert sie nur Menschen
jungen Renate Fuchs“ herausgebracht. Das Buch ist
und Begebnisse im Regen. Es ist einigermaßen unverständ¬
begeistert gelobt worden, und von Leuten zwar, die nicht zur
lich, und verräth mehr den Hunnen als den literarischen
Kameraderie gehören, sich auch sonst im Besitz der bürger¬
Kritiker, daß man ihr das zum Vorwurf macht.
lichen Ehrenrechte befinden. Es scheint mir denn auch wirk¬
lich eine erkleckliche Talentprobe. Sein Bestes ist sein Ver¬