I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 53

11. Frau Bertha Garlan

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Wbatl..—
Autor nicht zum Vorwurf gemacht werden, das schadet
nicht und wird ihm nur vom großen Publicum verübelt
werden, das auf die Liebesgeschichte nun einmal nicht ver¬
zichten will; was dagegen Bebenken erwecken muß, ist der
Umstand, daß Ompteda die Courtisane Diane de Varennes
so ausführlich charakterisirt, so vielversprechend eingeführ
hat, daß der Leser erwarten muß, sie werde eine wichtige
Rolle spielen. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall;
sie ist eine vollkommen belanglose Episodenfigur, die mit
dem Gang und der Handlung nicht das Geringste zu thun
hat. Wozu aber Erwartungen wecken, wenn man sie nicht
erfüllen will? Das enttäuscht und verstimmt, denn es sieht
aus, als wäre man vom Autor zum Besten gehalten
worden. Diese auffallende Inconsequenz läßt sich wohl
kaum anders erklären als mit der Annahme, der Autor
habe ursprünglich die Absicht gehabt, diese Figur eine Rolle
spielen zu lassen, sie jedoch im Laufe der Erzählung fallen
lassen. Das aber würde auf Flüchtigkeit in der Arbeit
deuten und die Befürchtung bestätigen, daß der Autor sich
durch seine schönen Erfolge zu einer Ausbeutung seines
Talents verführen läßt, die dieses ernstlich gefährden
müßte.
Wäre Ompteha nicht zu jung, das heißt sein Ruhm,
so könnte man denken, er habe schon Schule gemacht, so sehr
erinnert ein anderer neuer Roman seines Verlages an ihn,
an seine Wahrheitstreue und Schlichtheit. Er heißt „Vice¬
feldwebel Starke“ und hat Maximilian von Rosenberg
zum Verfasser. Es ist die traurige Geschichte des Nieder¬
ganges eines braven, tüchtigen Menschen, der einen Schrift
vom rechten Weg gemacht hat und diesen trotz aller An¬
strengungen in Folge widriger Umstände nicht mehr finden
kann. Er verirrt sich immer weiter, und da er keinen Ausweg
weiß, stürzt er sich freiwillig in jenen dunklen Abgrund, aus
dem noch Keiner zurückgekommen ist. Mehr über dieses Buch
zu sagen, wäre überflüssig. Mit vielen guten Büchern ist's
wie mit dem Ruf der Frauen: Je weniger man über sie zu
sagen weiß, desto besser sind sie.
Ein Buch, von dem dies auch gilt, und das ebenfalls
warm empsohlen werden kann, ist der Roman „Die
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e
brennende Frage“ von Wolf von Teinach (Dresden,
C. Reißner). Er verräth einen recht glücklichen Humor, der
den Leser manchmal laut auflechen läßt. Leider fehlt es
nicht an argen Uebertreibungen, und daß der Autor zum
Schluß gar drei Paare „sich kriegen“ läßt, ist denn doch ein
bischen zu antediluvianisch; es läßt übrigens vermuthen
daß der Autor feminini generis ist.
Ein sehr empfehlenswerthes Buch voll freier
Menschenkenntniß und herber Kraft ist Emil Marriot's
Novellenband „Schlimme Ehen“ (Berlin, G. Grote). Daß
Emil Marriot nur „Schlimme Ehen“ zum literarischen Vor¬
wurf nimmt, ist bei der. düsteren, herben Lebensauffassung
dieser Schriftstellerin ziemlich selbstverständlich, und nicht
minder, daß sie diese ihr so sehr zusagende Aufgabe glücklich
gelöst hat. Der gestörte Hausfriede, die dunkle Kehrseite
jenes Familienlebens, das auf den Umschlägen gewisser
Zeitschrifien und auf Oelfarbendruckbildern in der Regel
so innig und rührend dargestellt wird: das ist ja geradezu
die Domäne dieser Schriftstellerin. Das glückliche Gelingen
ihres jüngsten Werkes verdient umso mehr Anerkennung,
äußerst wirksamer Weise behandelt worden ist, von Gustav
Schwarzkopf nämlich, in seiner „Bilanz der Ehe“. Aber
Marriot kann diesen gefährlichen Vergleich sehr wohl ver¬
tragen, und das will nicht wenig sagen. Geht ihrer Dar¬
stellung auch die mephistophelische Satire, die eisige
Grausamkeit Schwarzkopf's ab, ist ihre Eigenart auch nicht
so drastisch potenzirt wie bei ihm, so haben ihre Figuren
doch mehr Fleisch und Blut, ihre Novellen wirken daher
nicht wie interessante psychologische Experimente, sondern wi¬
ahre Begebenheiten. Der Dialog wäre noch besser, wenn
ich die Verfasserin entschließen könnie, die Personen so
sprechen zu lassen, wie man in Oesterreich auch in den
höchsten Kreisen spricht, also nicht im Imperfect, der dor
ast nie gebraucht wird. Auch die Ich=Form sollte sie meiden.
Gerade in einem Novellenbuche ist sie übel angebracht, denn
es wirkt, sobald man ülber die Sache ein bischen nachdenkt,
geradezu drollig, wenn in einem und demselben Buch
mehrere Ichs schreiben, jedes als Mann schreibt und der
Verfasser des Ganzen eine einzige Person ist,
Weib .. . In diesem Falle könnte man ü
veiters an einen männlichen Autor glauben,
herb ist das Buch, so frei von jener sentimen
beim „modernen“ (Ueber=) Weib
bru
triebenheit.
Da könnte man Arthur Schnitzler
Frau Berta Garlan“ (Berlin, S. Fische
vor wenigen Tagen an anderer Stelle dieses
E iges gesagt worden ist, weit eher für
weiblicher Herkunft halten, so weich, zart um
es geschrieben. Es ist Schnitzler's erster Romat
der erste gelungene Roman aus dem sogenan
Wien“. Was dieses bisher an Romanen gelei
Reihe von Mißgeburten, an denen sich di
Impotenz dieser selbstbewußten Gilde in unz
Weise offenbarte. Daß es erst Schnitzler gelt
iesem Gebiete ein tüchtiges Werk zu schaffen
icht zu verwundern, denn er ist der Einzigt
Wien“, bei dem Können und Wollen nicht
Mißverhältniß stehen. Er will nicht nur,
Sein Gebiet ist allerdings etwas beschränkt,
kleinen Bereich ist er groß, da ist er zu He
alle Vorzüge seines feinen Talents entfalten.
glauben sollte, sein neues Buch sei ein Wien
eigentlichen Sinne des Wortes — und diese
ja nahe, da er aus „Jung=Wien“ kommt —,
ehr täuschen, denn dazu fehlt ihm eigentlic
vird überhaupt gut thun, de Wiener Roman
noch immer ungeschrieben ist, nicht von „I¬
rwarten, denn die ganze Denk=, Gefühls= un
weise dieser literarischen Grutye ist Alles eher
Weit wienerischer als alle Wiener R
Wiens ist Paul v. Schönthan's kürzlich
Roman „Frau Lot“ (Stuttgart, Bonz u. C
einer Erzählung Schlechte Race“ und se
ammlung „Wiener Luft“ hat er den
getroffen. In diesem Buche nun ist es ihm vie
öherem Grade gelungen als dort. Es beimelt