I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 54

11. Frau Bertha Garlan
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Verfasser des Ganzen eine einzige Person ist, und zwar ein
Frage“ von Wolf von Teinach (Dresden,
Weib ... In diesem Falle könnte man übrigens ohne¬
). Er verräth einen recht glücklichen Humor, der
weiters an einen männlichen Autor glauben, so kräftig un
manchmal laut auflachen läßt. Leider fehlt es
herb ist das Buch, so frei von jener sentimentalen oder —
rgen Uebertreibungen, und daß der Autor zum
beim „modernen" (Ueber=)Weih — brutalen Ueber¬
drei Paare „sich kriegen“ läßt, ist denn doch ein
triebenheit.
antediluvianisch; es läßt übrigens vermuthen,
utor feminini generis ist.
Da könnte man Arthur Schnitzler's neues Buch
„Frau Berta Garlan“ (Berlin, S. Fischer), über das
sehr empfehlenswerthes Buch voll freier
or wenigen Tagen an anderer Stelle dieses Blattes schon
enntniß und herber Kraft ist Emil Marriot's
nd „Schlimme Ehen“ (Berlin, G. Grote). Daß
Einiges gesagt worden ist, weit eher für ein Pr.
uct
veiblicher Herkunft halten, so weich, zart und sensitiv ist
riot nur „Schlimme Ehen“ zum literarischen Vor¬
es geschrieben. Es ist Schnitzler's erster Roman und zugleich
nt, ist bi der. düsteren, herben Lebensauffassung
der erste gelungene Roman aus dem sogenannten „Jungen
riftstellerin ziemlich selbstverständlich, und nich
Wien“. Was dieses bisher an Romanen geleistet, war eine
ßsie diese ihr so sehr zusagende Aufgabe glücklich
Reihe von Mißgeburten, an denen sich die künstlerische
Der gestörte Hausfriede, die dunlle Kehrseite
Impotenz dieser selbstbewußten Gilde in unzweiselhaftester
nilienlebens, das auf den Umschlägen gewisser
Weise offenbarte. Daß es erst Schnitzler gelungen ist, auf
en und auf Oelfarbendruckbildern in der Regel
diesem Gebiete ein tüchtiges Werk zu schaffen, ist eigentlich
und rührend dargestellt wird: das ist ja geradezu
nicht zu verwundern, denn er ist der Einzige aus „Jung¬
ne dieser Schriftstellerin. Das glückliche Gelingen
Wien“, bei dem Können und Wollen nicht in schreiendem
gsten Werkes verdient umso mehr Anerkennung,
Mißverhältniß stehen. Er will nicht nur, er kann auch.
be Thema schon von einem anderen Autor in
Sein Gebiet ist allerdings etwas beschränkt, aber in diesem
irksamer Weise behandelt worden ist, von Gustav
kleinen Bereich ist er groß, da ist er zu Hause und kann
ppf nämlich, in seiner „Bilanz der Ehe“. Aber
alle Vorzüge seines feinen Talents entfalten. Wer aber etwa
kann diesen gefährlichen Vergleich sehr wohl ver¬
glauben sollte, sein neues Buch sei ein Wiener Roman im
id das will nicht wenig sagen. Geht ihrer Dar¬
eigentlichen Sinne des Wortes — und diese Annahme läge
uch die mephistophelische Satire, die eisige
ja nahe, da er aus „Jung=Wien“ kommt —, der würde sich
eit Schwarzkopf's ab, ist ihre Eigenart auch nicht
ehr täuschen, denn dazu fehlt ihm eigentlich Alles; man
ch potenzirt wie bei ihm, so haben ihre Figuren
wird überhaupt gut thun, den Wiener Roman, der eigentlich
Fleisch und Blut, ihre Novellen wirken daher
noch immer ungeschrieben ist, nicht von „Jung=Wien“ zu
nteressante psychologische Experimente, sondern wie
erwarten, denn die ganze Denk=, Gefühls= und Ausdrucks¬
egebenheiten. Der Dialog wäre noch besser, wenn
weise dieser literarischen Gruppe ist Alles eher als wienerisch,
Verfasserin entschließen könnte, die Personen so
zu lassen, wie man in Oesterreich auch in den
Weit wienerischer als alle Wiener Nomiane Jung¬
streisen spricht, also nicht im Imperfect, der dort
Wiens ist Paul v. Schönthan's kürzlich erschienener
ebraucht wird. Auch die Ich=Form sollte sie meiden.
Roman „Frau Lot“ (Stuttgart, Bonz u. Co.). Schon in
einem Novellenbuche ist sie übel angebracht, denn
seiner Erzählung „Schlechte Race“ und seiner Skizzen¬
ammlung „Wiener Luft“ hat er den Wiener Ton
sobald man über die Sache ein bischen nachdenkt,
getroffen. In diesem Buche nun ist es ihm vielleicht in noch
drollig, wenn in einem und demselben Buch
höherem Grade gelungen als dort. Es beimelt Einen förmlich
Ichs schreiben, jedes als Mann schreibt und der
an, so wienerisch weht es Einem daraus entgegen. Ja, das¬
st echte unverfälschte Wiener Luft, das ist der laue, weiche
Odem Wiens, in dem sich der frische Hauch des Wiener¬
waldes mit dem schwülen Duft der Weltstadt zu einem
anziehenden Parfum verbindet, das ist die verführerische
Wiener Luft, in der es klingt und singt, jauchzt und
chluchzt wie in einem Walzer von Strauß, das ist die
bethörende, sinnbestrickende Luft des Capua der Geister!
Und die. Gestalten, die Schönthan in diese Atmosphäre
versetzt hat, sind zum Theil ebensogut wiedergegeben
vie das Milieu, ganz besonders die Dreiv iertelweltdame
Mizzi und das Halbweltdämchen Bertha; weniger gelungen
ind die eigentlichen Helden der Erzählung, die zu
conventionell gerathen sind, und sehr groß ist
und
Abstand zwischen der glänzenden Milieuschilderung
Fabel
Charakte##stik einerseits und der Durchführung der
anderseits; die läßt nämlich recht viel zu wünschen übrig
und macht den Eindruck sträflicher Flüchtigkeit oder, um
einen wienerischen Ausdruck zu gebrauchen, arger
Schlamperei“. Gerabe von einem so talentvollen Autor
wie Schönthan ist man berechtigt, mehr Sorgfalt und
weniger Schablone zu verlangen. Es scheini, daß dieser
Autor, gewohnt, das Gold seines Talents in kleiner,
blinkender Münze auszugeben, sich einfach nicht die Mühe
und die Zeit nimmi, sein Werk ausreifen zu lassen, zu
glitten und zu feilen; so wird eine Schleuderarbeit daraus
der man das echte Gold des Materials wohl ankennt, die
es aber umso mehr bedauern läßt, daß der Autor sich's
o leicht gemacht und dadurch den künstlerischen Werth seines
Werkes so arg herabgedrückt hat.
Immerhin bleib: das Buch trotz seiner großen
Schwächen eine sehr unterhaltende Lectüre und ein
bemerkenswerther Versuch, den Wiener Roman zu schaffen,
den es leider noch immer nicht gibt. Es scheint fast, daß die
Wenigen, die ihn zu schreiben befähigt wären, die es
könnten, nicht wollen; die Vielen aber, die wollten, nicht
können. Wann wird endlich der Schöpfer des Wiener
Romans kommen und wer wird es sein?