I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 59

wunderlicher Anbeter, ein resignirender Krüppel — siefneuerwachte Sehnen unserer Zeit nach Schwung und
Größe
alle tauchen wie aus blassen Nebeln undeutlich auf.
findet hier seinen Ausdruck.
Bedeutet
Wenn wir, eben so spät und eben so plötzlich
„Frau Bertha Garlan“ das exacte Schulbeispiel
intimer Seelenzerfaserung
wie die Heldin erfahren, daß sie Alle doch eigentlich
so schwebte das Ziel
recht ruppige Charaktere sind,
dieses Dramas beträchtlich höher. Was unsere
so läßt uns
diese Entdeckung kühl bis aus Herz hinan. Blieben
Poeten im engen, düsteren Schulhause des Naturalis¬
sie uns doch insgesammt fremd und fern. Fremd wie
mus gelernt haben, das wollen sie jetzt auf den freien
jene seltsame Frau Rupius, die Gattin des Gelähmten,
Höhen des Märchenwaldes zeigen. Die Bevorzugung
deren geheimnißvolle Liebesabenteuer mit so lockender
phantastischer Stoffe ist auch in diesem Fall kein Zu¬
fall. Arthur Schnitzler führte nicht nur die Tagesmode
Gewalt in Berthas stilles Dasein eingreifen. Fremd
endlich wie jener verwöhnte Geigenvirtnose, der einst
ins bunte Bologneserleben des Cinquecento.
als Student mit der blutjungen Bertha tändelte und
Wohl machen sich jetzt auf unseren Bühnen Antoren
an dessen Seite die Gereifte jetzt von einer über¬
breit, denen die rauschende Zeit der italienischen
mächtigen Gewalt gerissen wird.
Renaissance gerade gut genug für ihr süßliches Reim¬
gesäusel scheint. Schnitzler gehört nicht zu ihnen. Er
Ein Künstler von Arthur Schnitzler's Rang ist vor
weiß, daß fade weibische Maskenspäße in dieses Zeu¬
dem Verdacht sicher, daß diese Selbstbeschränkung ein
alter eiserner Männlichkeit übel passen wollen. Er
Nothbehelf poetischer Armuth sei. Dazu huschen uns
möchte ihr wahres Angesicht heraufbeschwören. Jene
die prächtigen Episodengestalten seiner -Dramen, die
seltsame Harmonie inniger, frommer Schönheits¬
scharf umrissenen Typen seines köstlichen Anatolbuches
sehnsucht und rauher, gewaltthätiger Kraft. Die Zeit
allzu lebendig durch die Erinnerung. Wenn in seinem
in der die Propheten hellenischen Formenadels am
neuen Werk wichtige und unmichtige Personen gleicher¬
Tisch skrupelloser Gurgelabschneider zechten. Die Zeit
maßen in ein hüllendes Halbdunkel treten, so geschieht
deren Wahrzeichen Fra Angelico's inbrünstig=rein.
das einzig und allein, um die Gestalt der Heldin in
Engel so gut bilden, wie Verocchio's dräuender
desto intensiverem Licht hervorleuchten zu lassen.
Eisenreiter.
Aber diese leicht zu durchschauende Technik allein
Dies hohe Ziel schwebt unverkennbar über dem
würde den gewünschten Erfolg nicht erzielen können.
Versdrama. Doch ein Schelm, der mehr giebt, als er
Wenn sich die entscheidende Wendung in Bertha
kann. Schnitzler's poetisches Temperament weist nun
Garlan's Leben
so überzeugend offenbart
so
einmal stärker ins Gebiet des Weichen, Rührenden,
war dazu vor Allem die subtile Beobachtungs¬
wohl auch Rührseligen, als in das Reich des Starren.
kraft und die entschleiernde Intuition des poetischen
Rauhen, Verbrecherischen. Die Engel gelingen ihm
Genius von Nöthen. Nur durch diese Mächte, die den
besser als die Condottieri. Deshalb vermochte er nicht,
geschickten Techniker erst zum Dichter stempeln, konnte
alle Stimmungen seiner Renaissance=Tragödie auszu¬
hier das höchste und schwierigste Ziel der Darstellung
chöpfen. Nietzsche's historischer Liebling Cesare Borgia
annähernd erreicht werden. Ich meine das Gefühl
spielt darin eine gewichtige Rolle. Er tritt zwar nicht
der Selbstverständlichkeit, das alle Geschehnisse be¬
be¬
selbst auf. Aber seine Heere umklammern das
gleiten, das über Klüfte und Abgründe seine Brücken
lagerte Bologna. Morgen werden sie die Thore stür¬
schlagen muß. Diese innere Nothwendigkeit alles Wer¬
men, Tod und Verderben in die Stadt schleudern.
dens ist in Schnitzlers Roman erreicht. Nothwendig und
Aus dieser Festung müßte eine bonge, beklemmende
selbstverständlich wirkt Frau Berthas scheinbar so jähe
Schwüle strömen, wie aus Friedrich Hebbel's um¬
Selbstbefreiung aus dem lastenden Bann der Tradition
zingelter Stadt Bethulien. „Schwerter halten den
und des Philisteriums. Diese ehrbare Wittwe und
Brunnen bewacht, Speere starren, die Heiden haben
Mutter eines blonden Buben wirft sich plötzlich einem
große Gewalt über Israel.“
eitlen Musikanten an den Hals. Enttäuschung ist ihr
Solche übermächtigen Eindrücke sucht man in
Loos. Das alte Verhängniß bricht über sie herein.
Schnitzler's Tragödie vergebens. Wenn auch an
Was ihr Lebenskern und Daseinsinhalt bedeutet, das
manchen Stellen tapfer der Versuch gemacht wird,
ist dem Mann nichts als eine hübsche, schnell ver¬
aller angeborenen Weichheit zum Trotz die Brutalität des
gessene Episode seines Wandeelebens. Und mit
Cinquecentos anzudeuten. Eine einheitliche Stimmungs¬
bitterer Resignation kehrt die Enttäuschte zu ihrem
gewalt kann deshalb nicht aufkommen. Aber die
Kinde in den engen Kreis kleinstädtischer Existenzen
zarte, poetische Erscheinung der Heldin Beatrice ver¬
zurück.
breitet einen Zauber, der solche Mängel fast ver¬
Ein geringeres Talent würde ausreichen, um diese
gessen läßt. Eine eigenthümliche, fast sonnambule
fimple Alltagsgeschichte durch Complicationen und
Verschleierung bildet den Märchenreiz all ihres
Katastrophen reicher auszugestalten. Aber nur eine
Thuns. Von unsichtbaren Mächten scheint sie an¬
reife und reiche Kunst konnte sie mit so eiserner Con¬
getrieben zu werden, nicht von eigenem Willen. Un¬
sequenz bis in die kleinste Verzahnung überzeugend
sichtbare Mächte führen das kindliche, holde Wesen in
wirken lassen. Wie im Geist der Einsamen die in¬
die Arme des Poeten Filippo, der um ihretwillen
brünstige Sehnsucht nach Lebensglück, nach ein wenig
seine stolze Braut verläßt. Doch eine unentrinn¬
Sonnenwärme aufkeimt, das ist mit vollendeter In¬
bare, magische Gewalt trennt die Liebenden, in¬
timität erspäht und erlauscht. Die Uebermacht winziger
dem sie den Feinfühligen wähnen läßt, seine Beatrice
Zufallsereignisse über ein ganzes prinzipienfestes
habe ihn auch nur im Traum betrogen. Der
Ein Bild in einem
Menschenleben documentirt sich.
Traum wird Wahrheit. Wirklich begegnet der armen
Zeitungsblatt, die flüchtige Aehnlichkeit eines Knaben —.
Handwerkerstochter in fürstlicher Pracht der Herzog
das genügt, um in einer mählich versauernden Klein¬
von Bologna. Wirklich wird sie in der tollen Ver¬
städterin erloschene Gluthen aufs neue zu entfachen.
zweiflungsnacht vor dem Fall der Festung seine
Denn vor dem Blick des Poeten, in dessen Schaffen
Herzogin. Aber übermächtige Magie führt die Braut
sich das Gesetz der inneren Nothwendigkeit erfüllt,
aus dem Festestrubel zu ihrem Poeten, um mit ihm
giebt es keine Sprünge und Zufälle.
gemeinsam zu sterben. Angesichts des Todten schreit
Diese hochentwickelte Kunst erzwingt sich unseren
ihre kindliche Lebenssehnsucht auf. Entsetzt weicht sie
Respect. Vom Respect zum Enthusiasmus ist freilich
aus dem Raum, in dem neben der Leiche ihr kostbarer
noch ein weiter Abstand. Ein Abstand so weit wie
Schleier liegen bleibt. Das Kleinod verräth ihre
vom hochbegabten Talent Schnitzler's zum schöpferischen
wirre, stammelnde Begier, fortzuleben um jeden Preis.
Genius jener Meister, die Anna Karenina oder
In der gefürchteten Nähe des Todten wird sie vom
Madame Bovary vor uns leben ließen. Ihre herbe
eigenen Bruder niedergestochen, während draußen die
Kraft fehlt dem weichen Wienerischen Naturell des
Posannen des Usurpators zum Sturm blasen.
Dichters. Deshalb gelingt es ihm bei aller Kunst
Manche Scene dieser farbenreichen Wirrniß mag
nicht, aus seiner Seelenstudie den letzten Rest Nüchtern¬
zu blaß erscheinen. Für das tolle Baechanal einer
heit und Eintönigkeit zu verscheuchen. Deshalb erweckt
Sterbensnacht mag Schnitzler's poetische Macht nicht
Frau Bertha Garlan's Erlebniß zwar unsere lebendigste
zwingend und überzeugend genug wirken. Aber dem
Antheilnahme. Aber wir trennen uns von ihr wie
unendlich rührenden Reiz dieser erst halb erschlossenen
von einer interessanten Bekanntschaft. Nicht wie von
Mädchenseele wird sich Niemand entziehen können.
einer Schwester, deren Weh uns ins Herz schneidet
Ihr innerstes Wesen wird nur von flackernden Streif¬
Herbheit und Kraft mangeln auch dem Drama
Aber sie genügen, um eine vom
lichtern erhellt.
„Der Schleier der Beatrice“. Deshalb fehlt
Schicksal zermalmte Existenz fast genau so klar er¬
auch diesem Werk das Letzte und Höchste, das ein
kennen zu lassen, wie jenes mit der Präcision des
treffliches Kunstwerk in ein Unvergeßliches, in ein
Anatomen zergliederte Frauenbild der Romanstudie.
Erlebniß wandelt. Den Klatschmäulern und Intri¬
Das eben ist das Geheimniß echter Poesie, der#
guanten der Coulissen war die seltsame Bühnen¬
Raunen aus dem Halbdunkel ebenso vernehmlich kling
geschichte der Tragödie ein Leckerbissen. Dem Kunst¬
wie aus der vollbeleuchteten Helle.
freund aber, den die Mysterien einer k. k. Directions¬
Monty Jacobs.
kanzlei wenig interessiren, bleibt von der Lectüre die
*
Erinnerung an eine Fülle poetischer Feinheiten. Das