I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 72

Garlan
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11. Frau Bertha
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ein instinctives Bedürfnis verspürt hätten, sich zu dem, was
äusserst erheblich. Es ist für den Zionismus doch von
sie als den jüdischen Geist in der Kunst ansehen, in einen
unermesslicher Bedeutung, wenn einer der ersten Dichter
befreienden Gegensatz zu stellen. Damit hängt wohl auch
der europäischen Literatur ihn zum Gegenstande einer
die Tendenz der gesammten „Heimatskunst“ zusammen und
Dichtung macht und ihn dadurch weithin zur Discussion
am Ende auch der ungewöhnliche Erfolg, den der pracht¬
stellt. Es ist aber auch schon bemerkenswert, dass die dem
volle „Hörn Uhl“ des Holsteiners Fressen jüngst gefanden
Zionismus nichts weniger als günstig gesinnte grosse
hat. Es erscheint jetzt, von Lohmeyer herausgegeben, eine
Zeitung, das „Berliner Tageblatt“, das Hauptorgan der
„Deutsche Monatsschrift“, und wenn wir sie nur flüchtig
deutschen Juden, ihn ohne feindselige Glossen erwähnt. In
ansehen, erkennen wir, wie sie sich mit ihren mannigfachen
dem „Weltspiegel“ einer illustrierten Beilage dieser Zeitung
Reisebriefen und dergleichen von den anderen ästhetisieren¬
vom nächsten Tage, kehrt das so lange ängstlich gemiedene
den, schwächlichen Monatsschriften unterscheidet. Hier
Wort „Zionismus“ wieder in einem kurzen, mit einem Porträt
begegnen wir auch nicht einem jüdischen Mitarbeiter.
versehenen Lebensabriss des englisch - jüdischen Dichters
Viele Deutsche spüren wohl den fremdartigen, mit ihrer
J. Zangwill wieder. Solche scheinbar kleine Momente
wirklichen deutschen Welt gar nicht mehr zusammen¬
sind in ihrer Bedeutung durchaus nicht zu unterschätzen.
hängenden Geist aus manchen der besten Schöpfungen der
In der ersten Periode des Zionismus, als er noch das
Modernen gar wohl heraus. Sie finden zum Beispiel in
Eigenthum kleiner Studentenconventikel bildete, war einer der
Schnitzlers „Frau Bertha Garlan“ gar nichts von dem
Programmpunkte: Gewinnung der öffentlichen Meinung in
Leben der wirklichen deutschen Kleinstadt, wie sie sie aus
Europa durch Einwirkung auf die geistigen Führer der
Stormo öder Raabe kennen. Sie wissen auch in den
Völker. Damals war das noch eine reine Utopie; es war
Werken des Jakob Wassermann keine Beziehung zu
kein Weg noch Steg da. Jetzt ist das Ziel so ausserordent¬
deutscher Art und Kunst zu finden.
lich nahegerückt. Hier sind Erfolge der gegenwärtigen
zionistischen Bewegung, die sich ihren erstaunlichen
Aber die stärkeren Talente unter den Juden werden
diplomatischen Erfolgen ebenbürtig anreihen, und die vielen,
eben durch die Ehrlichkeit’ ihres künstlerischen Strebens
die wünschen, dass die „Welt“ ihnen in jeder Nummer von
schon selber getrieben, der heuchlerischen Verwischung
einem neuen praktischen Erfolge melde, und wenn er aus¬
nationaler Besonderheiten ein Ende zu macher, Je tiefer
bleibt, gegen die Taktik der Parteileitung zu murren be¬
ihre Kunst ist und je mehr sie sie zu einer sorgfältigen,
ginnnen, könnten eigentlich mit dem ungeheuren Fort¬
auch die kleinsten und feinsten Nuancen festhaltenden Dar¬
schritte in der Publicität und Notorität der zionistischen
stellung drängt, umso tiefer müssen sie zu der jüdischen
Bewegung sich vorläufig schon ein wenig beruhigen.
Besonderheit vordringen. Jakob Wassermann beginnt
Das Interesse der Grossen im Geiste für die zionisti¬
wenigstens im Umrisse die Blonden von den Schwarzen zu
sche Bewegung ist eine Propagandag gegen welche alle
sondern. Georg Hirsefffeld bringt in seinen ersten Milieu¬
Broschürenverbreitung. Agitationsreisen und Kreiscon¬
dramen: „Zu Hause“, den „Müttern“ und „Agnes Jordan“
ferenzen wohl kaum aufkommen können. Angesichts solcher
eine künstlerisch vollendete Darstellung äusseren und inneren
grossen Ausblicke hat der Zionismus die Verpflichtung,
jüdischen Lebens. Wenn er sich letzthin im „Weg zum
sich auf der vollen Höhe seiner Idee zu halten. Dem, der
Licht“ mit einem absonderlichen Sprunge auf deutsche
einen hohen Begriff von der zionistischen Bewegung in sich
Bergesmatten und in deutsche Märchenreigen flüchtete, so
trägt, muss das Herz bluten, wenn er denkt, dass die ganze
ist nach dem eclatanten Misserfolge dieses Versuches anzu¬
Bewegung in die an und für sich so überaus nothwendige
nehmen, dass er den Weg zu dem Kreise zurückfinden wird,
und schätzens- und dankenswerte Thätigkeit der Vereine
der ihm mehr vertraut ist und in dem er wirklich Heim¬
und Organisationen zurückgehen sollte. Der Zionismus ist
lichkeiten der Seele offenbaren kann. Von der künstlerischen
gross als grosse Idee schlechthin. Uebe den dämmernden
Gewissenhaftigkeit Arthur Schnitzlers ist zu erwarten, dass
Strassen unseres kleinen Städtelebens steigt ein welthohes,
er der Welt in dieser Beziehung noch manche Ueberraschung
die Ewigkeit berülrendes Ideal- mit noch ganz anderer er¬
bereiten wird. — Aber es genügt nicht, dass die jüdischen
greifender Gewalt empor.
Dichter es verschmähen, schemenhafte Gestalten zu zeichnen
und dass sie Juden als Juden charakterisieren und ihnen
jüdische Namen geben. Eine grosse Wirkung tritt erst ein,
Zweierlei Juden.
wenn sie den heroischen Gehalt des jüdischen Lebens zu
erkennen und herauszuheben wissen. Von dieser Art ist der
Roman von Mao Viola.
grosse holländische Maler Jozef Israöls. Als er sich letzhin
(Fortsetzung.)
aus Anlass der Eröffnung der Secessions-Ausstellung in
„Ich wollte, auch dieses wäre bereits vorüber, ohne uns
Berlin aufhielt, gab der Kunstkritiker des „Berliner Tag¬
neues Unglück gebracht zu haben. Doch ich darf Sie nicht
blatt“ einen „Eindruck“ von ihm wieder. Er denkt „an den
länger in Anspruch nehmen, Herr Rosenstein, Papa erwartet Sie
Mann, wie er still für sich in dem heiligen Buche liest und
und ich will Sie zu ihm geleiten.“
forscht. Er liest das grosse Werk seines Volkes in hebräisch“,
Sie gieng mit ihm tiefer in den Park, an einer Laube vorbei,
in welcher der elegante Fischl neben einem hohen, bleichen
Jetzt hat er ein Bild gemalt in dem alles ist, was in
M#ichen sass. Fischl gesticulierte mit den Händen und sprach
ihm lebt.
so eifrig, dass Paul unwillkürlich einen Blick auf die Insassen
Jene wundervolle Scene, die er inseinem Buche „Spanien“
der Laube werfen musste. Er enthielt sich jedoch jeder Bemer¬
kung, er that, als ob er nichts gesehen hätte, und doch wusste er,
erzählt. Wie er einen alten Thoraschreiber trifft, in einem
dlass das bleiche Mädchen Emmy Tulpenthal sei, die von Fischl
alten Hause, einer alten Stadt, und wie die beiden Spröss¬
überredet wird, den Grafen zu vergessen und seine Gattin zu
linge desselben Volkes, die eine Welt scheidet, sich in der
werden.
Sprache ihrer Väter verständigen.“
Auf einer Bank, die unter einer mächtigen Linde stand,
trafen sie alsbald Tulpenthal, seinen Sohn Gaston und den Ver¬
In derselben Nummer des „Berliner Tageblatt“, in der
walter. Tulpenthal reichte Paul die Rechte und machte ihn mit
über Israels’ neueste Pläne berichtet wird, wird auch die
Gaston und dem Verwalter bekannt. Nach einigen einleitenden
von der „Welt“ zuerst gebrachte Nachricht reproduciert,
WVorten bat Gaston Paul um Entschuldigung, dass er ihn bemühe,
dass Emile Zolaseit mehreren Wochen in Jerusalem weile
allein er wäre ihm wirklich sehr dankbar, wenn er statt des
Adjuncten als Zeuge fungieren wollte, denn dieser sei erst peun¬
um Eindrücke für einen grossangelegten Roman zu sammeln¬
zehn Jahre alt und völlig unerfahren.
„In diesem dürfte auch der Zionismus — Zola sympathisiert
Paul versicherte, dass er ihm sehr gern zu Diensten stehe
bekanntlich mit den Bestrebungen der Zionisten — eine
und frug nach den Bedingungen des Duells.
Rolle spielen.“ Diese kleine Notiz ist in doppelter Beziehung
„Gezogene Pistolen“, erwiderte der Verwalter, „dreimaliger