I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 73

11. Frau Bertha Garlan

—O
sind dem Beispiel gefolgt. Nur mit der Invaliden¬
und Altersversicherung ist Deutschland bisher allein
Fortsetzung des Romans „Das Haus Nummer Hundert
von Dietrich Theden Seite 15.
Feuilleton.
Grotisch.
Neulich hat man wieder überall lesen können, es sei
schade, daß wir, die „jungen Wiener“, wie man uns noch
immer nennt, vom Erotischen nicht loskommen können oder
wollen. Es war anläßlich der „Frau Bertha Garlan“, des
neuen Romans von Schnitzler, der ja hier schon kurz
an¬
gezeigt worden ist. Schnitzler hat sich zuerst unter uns
zu
einer gewissen Ruhe und Reife durchgewunden, und
das
sichere Verhältniß seiner Mittel zu seinen Absichten,
ein
Ernst und wohl auch die manchmal fast eher wissenschaft¬
liche als künstlerische Deutlichkeit seiner Darstellung für
den Verstand sichern ihm den Beifall auch solcher Leser, die
sich unseren Wirkungen sonst zu entziehen wissen. Man
hat denn auch jenem Buche die guten Eigenschaften des
Autors, den gelassenen Vortrag, die strenge Anordnung,
die feine Ausführung, die kluge Eintheilung und den be¬
sonnenen Geschmack, gern zugestanden, aber sich dann doch
wieder, weniger gegen ihn besonders als gegen uns Alle,
mit einiger Verwunderung beklagt, wie seltsam es sei, daß
es für uns, die wir nun doch auch schon allmälig aus¬
gebraust haben könnten, noch immer auf der ganzen Welt
nichts als die Liebe und die Beziehung des Mannes zum
Weibe zu geben scheine. Man nimmt, indem man uns
dies vorhält, eine böse Miene an, weist auf die Zustände
unseres Vaterlandes, den Haß der Nationen, das Ringen
der Classen hin, die wir in unserem Dampf und Dunst
verliebter Regungen gar nicht zu gewahren scheinen, und
ermahnt uns, väterlich oder höhnisch, je nach dem Wesen
und der Bildung des Warners, doch endlich gescheit zu
box 2/1
Echsberechtigt. Die Der
flichtung erstreckt sich auf die Beitragsleistung, die
im Wege des Lohn= oder Gehaltsabzuges
erfolgt; der Anspruch richtet sich auf eine gewisse
verden und uns auf den Ernst des Lebens zu besinnen.
Das Publicum, das es liest und hört, muß rein denken,
daß wir nur den ganzen Tag auf Abenteuer laufen, und
wundert sich wohl, was für ein Schlag von Menschen das
sein mag, dem die ganze Welt nur ein verbuhltes Spiel
ist. Es ist an der Zeit, daß wir uns einmal rechtfertigen
oder doch entschuldigen.
Zunächst: Wir haben das Erotische nicht erfunden,
und wir haben es nicht in den Roman gebracht. Man thut
ja wirklich, als sei der vorher ganz unschuldige Roman
erst durch uns ins Sinnliche entartet. Nun, der moderne
Roman tritt zuerst in Frankreich im siebzehnten Jahr¬
hundert auf, und wir haben aus jener Zeit über sein
Wesen ein sehr gelehrtes Buch von Daniel Huet,
Cistercienser, Bischof von Soissons, Mitglied der Académie,
der neben allerhand theologischen und philosophischen
Schriften und Dissertationen zur Lehre des Cartesius selbst
einen Roman: „Diane de Castro, und eben jenen
Tractat über den Roman: „Sur l’origine des romans“
(1670), verfaßt hat. Darin heißt es bündig: „L’amour doit
estre le principal sujet du Roman“ — der Haupt¬
gegenstand des Romans ist die Liebe. Wem aber vielleicht
jene Zeit verdächtig ist, der mag, ohne sich bei der Lyrik
der Renaissance oder unserer Minnesänger aufzuhalten, weil
man ja dem Gedichte seine leidenschaftlichen Neigungen
verzeiht und nur, wie es scheint, gerade vom Roman eine
ernstere Haltung verlangt, gleich zur Antike gehen. Er
findet bei Ovid den Vers:
Omne genus scripti gravitate tragoedia vincit;
hacc quoque materiam semper amoris habet,
ogar die Tragödie, die doch jede andere Gattung an
gravitas, Ernst, Bedeutung und Charakter übertreffe, habe
es doch immer mit der Liebe zu thun. Ovid fügt dann
einen Katalog galanter Abenteuer an, die durch Tragödien
berühmt geworden sind, und ruft aus: „Mir würde die
sae Derung der Verwaltungdiosten des
instituts, die mit 10 bis 15 Millionen veranschlag
werden. (Man schätzt die Zahl der fremden Arbeiter
und Angestellten mit mindestens 250,000 und mit
Zeit fehlen, alle tragicos ignes zu schildern, und mein
ganzes Buch würde nicht hinreichen, auch nur ihre Namen
alle aufzuzählen.“ Wenn nun also selbst das Drama, die
heilige Feier des Dionhsos, die „große Angelegenheit für
die ganze festliche Bürgerschaft“, wie Burckhard gesagt hat
eit Euripides allmälig ganz im Erotischen aufgegangen war
so dürfen wir uns nicht wundern, es gar auf den Seiten¬
wegen der Dichtung immer mächtiger zu finden. Ja, der
Roman, den die Griechen in der großen Zeit nicht gekannt
aben, ist bei ihnen überhaupt ausdrücklich nur zur Dar¬
tellung des Erotischen entstanden. Wir haben über seine
Anfänge und seine Entwicklung ein vortreffliches Buch
von Erwin Rhode, dem Autor der „Psyche"*), die neben
Burckheld's „Griechischer Cultur" und Nietzsche's „An¬
ichten des dionysischen Cult“ wohl das Tiefste enthält, was
noch über das gviechische Wesen gesagt worden ist. In
diesem „griechischen Roman"**) wird nun gezeigt, wie
der Roman eigentlich von gelehrten Arbeiten abstammt,
nämlich von den Sammlungen erotischer Legenden, in
wvelchen sich die Historiker gefielen. „Zwar die sogenannten
Logographen scheinen, trotz ihres Interesses an ver¬
borgenen Stamm= und Ortssagen, solche Liebessagen nicht
onderlich beachtet zu haben, so wenig wie Herodol bei all
seiner Aufmerksamkeit auf seltsame und charaktervolle
Volksüberlieferungen. Einen merkwürdigen Uebergang zu
den eigentlich gelehrten Historikern bildet auch hier Ktesias,
der in der wirkungsvoll und mit voller Absicht auf eine
ergreifende und rührende Wirkung vorgetragenen romanti¬
schen Liebesgeschichte des Meders Stryangäus und der
Sakertönigin Zarinäa vielleicht unter den Griechen das
früheste Beispiel einer ausführlich und mit bewußter Kunst
prosaisch=poetischer Darstellung erzählten Liebesnovelle
instellte. Ohne Zweifel lenkte dann die glänzende Be¬
*) Bei J. C. B. Mohr in Freiburg i. L.
*) Bei Breitkopf und Härtel in Leipzig.