10. Leutnant Gustl
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[Dr. Schnitzter seiner Offieierscharge verlustig — die
„W. A. Z.“ wüthend.] Der oh seiner „literarischen
Thaten“ berüchtigte Jude Arthur Schnitzler, der auch
Regimentsarzt in der Reserve war, ist, wie das Sechs=Uhr-Blatt
meldet, von dem militärischen Ehrenrath seiner Officiers¬
charge verlustig erklärt worden. Als Grund dieses
ehrenräthlichen Verdiets wird die Beleidigung, welche Schnitzler
durch seinen „Lieutenant Gustl“ dem österreichischen
Officierscorps zufügte, angegeben; überdies soll dieser auch an
die in der „Reichswehr“ erschienene persönlich aggressive Kritik
gegen ihn nicht reagirt haben. „Lieutenant Gustl“ — die
Seelenstudie, wie das erbärmliche Machwerk von der „W. A. Z.“
Für
bezeichnet wird — erschien in der „Weihnachts¬
beilage“ der „Neuen Freien Presse“ und erregte nicht
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nur in militärischen Kreisen, sondern bei allen anständigen
Menschen die heftigste Entrüstung; ein frecherer Versuch, die
Fäulnißkeime der Feigheit und der erbärmlichsten Dekadence in
Abonnt
einen Stand hineinzutragen, dem Ehre und Tapferkeit als das
Abonne
höchste gelten, war vordem — auch von einem Juden — noch
nicht gewagt worden. In diesem schmutzigen Pamphlet auf den
Officiersstand, dem Schnitzler — wohl nur infolge von Mi߬
Juhalt
hlätt
verständnissen — damals noch angehörte, schilderte der jüdische
wodure
Literat, die — angeblichen — Gedanken eines jungen Officiers,
des In
er in einem Rencontre mit einem Civilisten den Kürzeren gezogen
werden
hat und nur dadurch vor Schmach und Selbstmord bewahrt bleibt,
daß den Civilisten — der Schlag trifft! — Ueber die Berechtigung
und Pflicht, einen derartigen „Dichter“ einfach davonzujagen
der, obwohl er selbst, wenn auch nur in Verkennung seiner
ethischen Eignung, bisher den Ehrenrock des Officiers trug, sich
nicht schämte, diesen mit seiner „Kunst“ zu besudeln, ist kein
Wort zu verlieren. Es ist nur sehr erfreulich, daß ein milt¬
tärischer, mithin von politischen Einflussen ganz unabhängiger
Ehrenrath mit der Maßregelung des unwürdigen ehemaligen
Regimentsarztes Schnitzler auch den „Dichter“ so gründlich ab¬
geführt hat, indem es diesen um eines seiner Machwerke willen
für standesunwürdig erklärte; besonders bemerkenswerth an
der ganzen Angelegenheit ist jedoch die Haltung der „W. A. Z.“
Diese muß ja natürlich entrüstet sein, da es sich um eine jüdisch
Literaturgröße handelt, entblödete sich aber nicht, in ebenso
blindwüthender als unverschämter Weise das gesammte Officierscorps
zu beflegeln und zu bedrohen, weil dieses einen Jusen, der schon
seiner „Gedankenmonologe“ wegen nie zum Officier taugte, aus
und Seitenwegen unablässig durch jüdische Einflüsse Zersetzungs¬
und Fäulnißkeime in die Armee zu tragen versucht werden, stellt
sich der jüdische Schmock noch keck zur Wehre, wenn er erwischt und
hinausgetreten wird. Es kann aber auch nicht anders sein. Zuerst
schenkt man den Juden das theure Leben ihres Hülsner, dann
liefert man das Officierscorps ihren gefährlichen Zersetzungs¬
versuchen aus — und schließlich würden sie die Herren im Land
erden, wenn sie nicht, wie in vorliegenden Fall, erfreulicherweise
h hin und wieder die verdienten Fußtritte bekämen.
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* Eine neue Zensurbehörde ist in Oesterreich auf¬
getreten. Ein militärischer Ehrenrath hat den
Wiener Schriftsteller Dr. Arthur Schnitzler, Regimentsarzt
in der Reserve, seiner Offizierscharge für ver¬
lustig erklärt. Als Gründe gibt es an, daß Schnitzler
durch seine vor kurzem veröffentlichte Novelle „Lieutenant Gustl“
der „Ehre des österreichischen Offizierskorps nahegetreten“, sei,
und weiter, daß er auf eine in heftigem und persönlichem Tone
geschriebene Besprechung dieses Werkes nicht „reagirt“ habe.
Unter den Leistungen österreichischer Ehrenräthe, die in den letzten
Jahren die Oeffentlichkeit beschäftigt haben, ist diese letzte
zweifellos die originellste. Daß der Reserveoffizier nicht
berechtigt sei, eine politische Anschauung zu haben, die mit der im
Offizierskorps verbreiteten Sorte von Patriotismus nicht
harmonirt, ist uns zu verschiedenenmalen demonstrirt worden.
Nun erfahren wir auch, daß der Schriftsteller durch den Besitz
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eines Offizierspatents verpflichtet ist, seine Phantasie militär¬
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fromm zu erziehen. Läßt er in einer Dichtung einen Offfzier vor¬
I kommen, soll er ihn — wie es bekanntlich auch der Wahrheit
Abonner
entspricht — stets als einen edlen Mann von vielen Tugenden
Abonne
darstellen, der mit allen körperlichen und geistigen Kräften begabt
ist. Daran hat es nun Schnitzler in bedenklicher Weise fehlen lassen.
Sein Lieutenant Gustl ist kein edler und kein gescheiter Mensch.
Inhalt:
Er ist aber auch kein Ausbund von Schlechtigkeit. Die verfehmte
blätt
Novelle ist eben kein Tendenzwerk, das um ihres Zweckes willen
des In¬
die poetische Wahrheit opfert. Freilich darf man auch den Dichter
gegenüber den militärfreundlichen Autoritäten nicht auf die Art
weißwaschen wollen, daß man behauptet, Schnitzler habe nur
einen ganz besonderen Einzelfall schildern wollen und aus rein
technischen Gründen gerade einen Offizier zum „Helden“ seiner
Geschichte bestimmt. Was Schnitzler darstellen wollte, ist ein
seelischer Zustand, der analog der Berufskrankheit in be¬
stimmten, unter spezifischen Bedingungen lebenden Menschen¬
gruppen auftritt, und dem besonders jene Individuen ver¬
fallen, die keinen Fonds von persönlichen Kräften und
Interessen besitzen. Der Lieutenant Gustl, wie ihn Schnitzler
zeichnet, ist sicherlich kein Einzelfall, aber keinem Vernünftigen wird
es einfallen, dem Dichter darum, weil er einen Typus aus dem
Offiziersstande so gut getroffen hat, zu unterschieben, er identifizire
das ganze Offizierskorps mit ihm. Das thut er so wenig,
wie der Arzt, der die Tuberkulose als Proletarierkrankheit kennt,
jeden Proletarier schon als Tuberkulosen behandelt. Es ist daher
ein völliger Unsinn, wenn der Ehrenrath die „Ehre des österreichischen
Offizierskorps“ verletzt erachtet. Jedenfalls aber wird sein Er¬
kenntniß die nützliche Wirkung haben, daß es die Oeffentlich¬
keit auf die virtuose psychologische Studie Schnitzlers aufmerksam
macht. Gar zu schmerzlich wird der Verlust der Offizierscharge
Herrn Dr. Schnitzler wohl nicht treffen. Ein aktiver Dichter ist
schließlich nicht weniger als ein Regimentsarzt in der Reserve.
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