I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 33

10. Leutnant Gust

Lientenant Gustl an Dr. Schnitzler.
4 Sehr geehrter Herr Doktor!
* Da hört sich aber schon Alles auf! Sie wollen sich
am End' darüber beklagen, daß Sie springen baben
müssen? Gelt, das möcht' Ihnen halt gefallen: wenn es
Ihnen gerade paßt, in der Regimentsarzt=Uniform mit dem
großen Federbusch, mit dem Säbel und dem Port=épée und
mit der Jubiläumsmedaille Pflanz machen, am Ring und
in der Kärntnerstraße den Mädeln nachsteigen und sich im
Mantel von dummen Rekruten mit einem Generalstabs¬
Hauptmann verwechseln lassen. Ja, die Uniform, die möcht'
Ihnen gefallen. Dabei aber geniren Sie sich gar nicht und
schreiben über uns die unglaublichsten Sachen ... lanter
Sachen, die gar nicht wahr sind. Und die blöden Zivilisten
lesen das Zeug unterm Strich, glauben es natürlich, und
dann gibt es allerhand grausliche Geschichten. Ja, wissen
Sie, ich begreife da wirklich nicht, wie Sie sich darüber
beschweren können, daß Sie der Ehrenrath gegangen hat
Wenn Sie schon durchaus schreiben müssen, so
schreiben Sie halt pikante Weibergeschichten, da werden
Sie keine Anstände haben, oder, wenn Sie sich schon auf
das Militär kapriziren, so erfinden Sie halt so ein paar
Kasernhofblüthen — in den „Fliegenden Blättern“ stehen
in jeder Nummer so kleine Sacherln zum Todtlachen
oder so einen preußischen Gardelieutenant... es kann
auch ein Oberst oder General oder Rittmeister sein, aber
immer nur preußisch! Uebrigens sind Sie ja Doktor. Da
hätt' Ihnen doch etwas von so g’'spaßigen Bader¬
geschichten einfallen können..., mein Freund Kopetzky
weiß eine Masse und der jüdische Freiwillige von meiner
Kompagnie weiß noch mehr ...
Da kommt aber so ein Tintenfisch daher, der sein
Lebtag nichts gethan hat, als hinter den Büchern gesessen
und vielleicht ein=, zweimal eine Gefrörsalbe .verschrieben
oder einen verwachsenen Nagel operirt, und schreibt
über uns!!
Und die Sachen sind dabei alle nicht wahr! Glauben!
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Sie denn, daß so etwas, wie Sie erzählt haben, wirklich
geschehen kann?! Sollt' mir nur Einer kommen wie der
dicke Bäckermeister ... es gibt überhaupt keinen Bäcker¬
neister, der nicht vor mir gleich gekuscht und mir an der
Garderobe Platz gemacht hätte... Sie schreiben ja
elber, daß es kein Mensch gesehen hat! Woher wissen
Sie es dann?
Und die Geschichte mit der Steffi ist auch nicht
wahr. Denn nicht eine meiner Bekannten heißt Steffi ...
oder, warten Sie nur, mir scheint . .. nein, das Blumen¬
nädel vom Ronacher hat ja Poldi geheißen. .. Uebrigens
garnisoniren die Vierundvierziger, die in Ihrer Geschichte
durch den Prater auf die Schießstätte marschiren, gar nicht
in Wien, die müßten rein wegen Ihres Zeugs da einen
Zug aus Pilis=Czaba, oder wo sie da unten liegen,
heraufgeschickt haben — mit einem Worte, das, was Sie
elber in der Geschichte von dem Doktor sagen, den ich da
nit den Worten „Leute, die sich in Dinge dreinmengen,
von denen sie nichts verstehen“ abgefertigt haben soll,
paßt auf Sie wie ein Mündungsdeckel auf das Gewehr.
Sie verstehen eben auch nichts von uns ... Und
wenn Sie mir vorgeworfen haben, daß ich aus dem
Gymnasium hinausgeworfen und in eine Kadettenschule
gesteckt worden bin, so denken Sie nur daran, daß Sie
nichts weiter als eine achtwöchentliche Rekrutenausbildung
genossen haben und dann noch vier Monate als fünftes
Rad im Wagen bei einer Kompagnie herumgebummelt
sind — das war ihre ganze Truppendienstleistung. Denn
die Zeit, die Sie dann als Arzt bei Marodenvisiten oder
n irgend einem Spital gequacksalbert haben, haben Sie
doch nicht zu Ihrer militärischen Ausbildung verwendet.
Wie konnten Sie also über uns schreiben? Waren Sie
denn je einmal Lieutenant?!
Sie haben also die ganze Geschichte ganz einfach
erfunden ... Sie haben gelogen ... Und wir können
keinen Lügner in unserer Mitte dulden. Denn wir sagen
nur die Wahrheit, immer die Wahrheit.
Ja, wenn Sie eine wahrheitsgetreue Schilderung
von mir gemacht hätten! Da hätten Sie erzählen müssen,
daß ich einer der bravsten und tüchtigsten Offiziere des
Regiments bin, daß ich sowohl das Dienst= als auch das
Exerzierreglement und die Schieß= und Waffen=Instruktion
vollkommen beherrsche, daß ich mich mit rastlosem Eifer
der Ausbildung meiner Untergebenen widme, daß ich den
Drang nach höherer Ausbildung habe und geeignet zur
Beförderung bin. Denn das Alles steht in meiner Quali¬
fikationsliste, die von meinem Hauptmann, von den Stabs¬
ffizieren des Regiments, vom Obersten und vom Brigadier
unterschrieben ist.
Ja, wenn Sie diese Wahrheit gesagt hätten.
Dann wäre jebenfalls eine schönere Geschichte daraus
geworden und Sie könnten noch immer im nächstjährigen
Schematismus als Regimentsarzt stehen... Denn die
Wahrheit läßt man Jeden bei uns sagen . .. Das sagt
je#in Tag beim Rapport mein Hauptmann, und der dient
schon länger, als Sie auf der Welt sind .. . Und wenn
Ihnen schon einmal etwas nicht recht gewesen wäre, so
wären Sie ganz einfach als Soldai und Mann — wenn
Sie auch als Regimentsarzt in der Reserve nur halb
jählen — zu mir gekommen, und hätten Sie es mir ins
Gesicht gesagt . . . oder hätten Sie eine vorschriftsmäßige
Meldung erstattet ... oder hätten Sie sich an den schönen
Grundsatz erinnert, den man Ihnen gewiß während Ihrer,
wenn auch noch so kurzen Dienstzeit zur Genüge klar ge¬
macht hat: „'s Maul halten und weiter dienen!“
Sie haben also gar keine Ursache, sich jetzt zu be¬
klagen, Ihnen ist ganz recht geschehen. ...
Und wenn
Sie vielleicht, wie Sie den sozialdemokratischen Doktor
sagen lassen, nicht zum Militär gegangen sind, ausschlie߬
lich um das Vaterland zu vertheidigen, so können wir
Sie eben nicht brauchen . . ., denn wir sind es.
Außer Dienst war ich immer gemüthlich — so grüße
ich Sie mit herzlichem Bedauern über Ihr allerdings
vohlverdientes Geschick
als Ihr ehemaliger Kamerad
Gustl, Lieutenant.