I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 51

10.
Leutnant Gustl
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beinhalte. Zweitens daß der Ehrenrath mit seinem vorbezogenen
Beschlusse indirect zum Ausdruck bringe, daß sich Dr. Schnitzler
mit dem Autor des ihn höhnenden Artikels in der „Reichswehr“
eventuell mit dem verantwortlichen Redacteur der „Reichswehr
hätte duelliren sollen.
Wie stellt sich nun bei objectiver Prüfung dieser Fall?
Vor Allem darf nicht außer Acht gelassen werden, daß — bis
auf den veröffentlichten Text des „Lieutenant Gustl“ — vom Falle
Schnitzler nichts Anthentisches bekannt ist und jener gegen
einen Ehrenrath geführte Kampf möglicherweise die Gefahr einer
Donquixotiade in sich berge. Doch auch selbst unter der Voraus¬
setzung der Richtigkeit und Vollständigkeit des publicirten
Thatbestandes, verfällt man durch die oberwähnte Kritisirung des
Beschlusses jenes Ehrenrathes in Betreff der Schuld des Dr. Arthur
Schnitzler in einen ungleich größeren Fehler, als es jener ist, ben
man dem Ehrenrathe vorzuwerfen sich berechtigt glaubt. Zunächst
we#s hier das Recht betrifft, den Ehrenrathsbeschluß in diesem
Einzelnfalle überhaupt nur anzufechten, hat eine Legitimation
hiezu in irgend einer Weise nachgewiesen. Nun ist aber denn doch
Herr Dr. Schnitzler — der nicht unmündig, nicht schwach an Geist
nd der auch sonst sein Recht zu wahren nicht verhindert scheint —
zür ganz allein berufen, sich zu äußern, ob er in diesem Ehrenraths¬
beschluß ein Unrecht gegen sich erblicke und ob er auch überdies den
Willen habe, gegen dieses angebliche Unrecht anzukämpfen.
Und so lange Dr. Schnitzler, welcher seine Rechte selber wahr¬
zunehmen zweifellos im Stande ist, zu Schritten diesbezüglich keinen
Anlaß findet, fehlt auch jedes öffentliche Interesse, diesen Einzelfall
zam Ausgangspunkte einer kritischen Action zu wählen. Es ist
somit ein großer und auch für die Sache wenig förderlicher Fehler
— ohne subjectiven Rechtstitel und ohne ein Gebot des öffentlichen
Interesses — gegen eine Specialentscheidung einer competenten
staatlichen Institution Angriffe zu formuliren. Doch größer noch
ist hier ein zweiter Fehler.
Eine der anerkannt wichtigsten Garantien gegen Fehlurtheile
der Gerichte, selbstverständlich auch in Ehrensachen, bietet die
„Unmittelbarkeit" und „Mündlichkeit“ des disbezüg¬
lichen Verfahrens. Und erst in allerjüngster Zeit hat der deutsche
Reichsgerichtsrath Stenglein — anläßlich des in der Auslandspresse
vielerörterten Gumbinner Militärprocesses — die Mißachtung jener
Garantien sogar den betreffenden deutschen „Gerichtsherren“ vor¬
geworfen, weil dieselben, ohne an der mündlichen Hauptverhandlun
unmittelbar theilgenommen zu haben, meritorische Verfügungen
getroffen haben. „Wozu,“ ruft Stenglein aus, „dann den
Apparat der mündlichen Verhandlung, wenn
jene Eindrücke (aus den Acten und mündlicher Bericht¬
erstattung) genügen würden, ein sicheres Urtheil zu
fällen?“ Und diesen „Gerichtsherren“ standen doch wenigstens ein
amtliches Actenmateriale und mündliche Berichte beeideter
Amtspersonen zugebote. Jenen Angriffen und Urtheilen
in dem Falle Schnitzler liegt aber auch nicht einmal dieses dürftige
und unzulängliche Materiale zugrunde! Der größte Fehler aber ist
der dritte.
Es ist nicht ausgeschlossen und kommt vielmehr auch häufig
vor, daß — bei nicht zweifelhaftem Thatbestande — Urtheile der
staatlichen Gerichte, bezüglich der Richtigkeit der Anwendung einer
bestimmten Gesetzesstelle, einer wissenschaftlichen Kritik
unterzogen werden.
Die Frage, ob ein Eigenthumserwerbstitel vorliege, ob ein
Vertrag als Kauf oder Tausch anzusehen, ob eine Handlung als
Diebstahl, Veruntreuung oder Betrug aufzufassen sei und dergleichen,
läßt sich wissenschaftlich frei erörtern, auch wenn ein Gericht sich
schon für diese oder jene Auffassung entschieden haben sollte. In
diesen Fällen handelt es sich eben nur um einen logischen Proceß
der Subsumtion des zweifellosen Thatbestandes unter eine streng
umgrenzte gesetzliche Begriffsbestimmung
(Definition).
Worüber aber wird im Falle Schnitzler eigentlich gestritten?
Darüber, ob Dr. Arthur Schnitzler die militärische Standes¬
ehre verletzt habe oder nicht. Haben wir nun ein Gesetz, das den
Begriff der „militärischen Standesehre“, ja der „Ehre“ überhaupt
begrifflich festsetzt, definirt? Ja, gibt es selbst nur eine wissen¬
schaftlich anerkannte Definirung von der „Ehre“ von der
Standesehre“? Nein. Und warum nicht? Weil die „Ehre“ dem
Gefühlsleben ange. et; weil die „Ehre“ mehr gefühlt, denn gedacht
wird, und deshalb alle Versuche, eine — nicht bloß ganz formale
und inhaltslose — Definition der „Ehre“ zu construiren, er¬
folglos blieben.
Ist aber der allgemeine Begriff der „Ehre“ unfaßbar
und vage, so ist der Begriff der „Standesehre“ — schon der
Natur der Sache nach — für die Nichtstandesgenossen in vielen
Fällen direct unverständlich Der glaubensstarke Christ und der antike
Philosoph, sie finden ihre Ehre darin, einen unverdienten Schimpf
mit Demuth, respective Gleichmuth zu ertragen und verstehen nicht
die ritterliche Reaction des stolzen Edelmannes und Officiers des
Mittelalters und der Neuzeit sowie vice versa. Der größte Schimpf
bei uns in Europa, dem Nebenmenschen ins Gesicht zu speien, gilt
bei manchen Stämmen anderer Menschenracen als die höchste „Ehre“.
Und ganz umsonst wird eine Einigung im Punkte „Ehre“ zwischen
einem Eskimo und einem Italiener versucht werden. Es muß somit,
wie es auch immer mehr geschieht, ein Spruch in Ehrensachen aus¬
schließlich Standesgenossen vorbehalten werden, und es ist ein doppelt
schwerer Fehler, wenn man als Nichtstandesgenosse den Spruch
eines competenten Gerichtes — hier des Officiersehrenrathes
*
in Ehrensachen einer meritorischen Kritik unterzieht. Ob und inwie¬
ferne Jemand die „Standesehre“ verletzt habe, darüber läßt sich mit
Worten überhaupt nicht, am allerwenigsten mit Nichtstandesgenossen
streiten; darüber kann einzig und allein nur ein Forum standes¬
gemäß (correct) fühlender Standesgenossen entscheiden. Der erwähnte
Fehler ist im Uebrigen in diesem Falle um so größer, als
das ehrenräthliche Verfahren bei der Landwehr wie im Heere auf
dem Grundsatze der „Unmittelbarkeit" und „Mündlichkeit“ fußt.
Der zweite Vorwurf — selbstverständlich auch nur hypothetisch
geht dahin, daß der erwähnte Ehrenrathsbeschluß den „ungesetz¬
lichen" Duellzwang sanctionire. Auf die Duellfrage hier einzugehen,
ist leider absolut unmöglich. (Ich habe meine Anschauung in dieser
Frage übrigens in einer eigenen Broschüre [„Der Zweikampf.“
Zweite Auflage. 1900, Verlag Perles] motivirt zum Ausdrucke ge¬
bracht.) Thatsache ist jedoch, daß dieser Vorwurf aus dem veröffent¬
lichten Wortlaute jenes Ehrenrathsbeschlusses durchaus nicht be¬
gründet werden kann. Ja, wenn man den veröffentlichten Spruch,
daß Dr. Schnitzler „gegen die persönlichen Angriffe der „Reichswehr“
keinerlei Schritte unternahm", ganz' ohne Vorurtheil erwägt,
so kommt man nothgedrungen zu einem völlig gegentheiligen Schluß,
als jenem, der daraus gezogen wurde. „Keinerlei Schritte“
weist denn doch darauf, daß vorliegenden Falls nicht bloß nur ein
Schritt — das Duell — sondern daß eine Mehrheit von Schritten
dem Ehrenrathe — als für Dr. Schnitzler möglich — vorgeschwebt
haben müsse. Von diesem nur so nebenbei Bemerkten abgesehen, gilt
auch für diesen Vorwurf alles in Betreff des ersten Vorwurfes¬
Gesagte in ganz gleicher Weise.
Mag also auch das „ehrenräthliche Verfahren“ in mancher
Richtung eine gründliche Reform wünschenswerth erscheinen lassen, so
ist just der Fall des Dr. Schnitzler wohl am wenigsten geeignet, zu
Reformen anzuregen. Das einzige Gebrechen des Verfahrens,
welches dieser Fall beleuchtet, wäre eigentlich der Umstand, daß
es derzeit an der Möglichkeit gebricht, den Angeklagten, der dem
Ehrenrathe sich nicht stellt, hiezu zu zwingen (wie im Strafproceß),
wodurch der Ehrenrath sehr unliebsamerweise in die Lage kommen¬
kann, über einen Kameraden — ohne ihn gehört zu haben —
eventuell den Stab zu brechen.
v. Norwin)
Die Lanze als Waffe der Keiterei.
Eine Studie von Marcus v. Czerlien, k. u. k. Generalmajor.
(Fortsetzung.)
Trotz alles Bemühens, noch weitere Vortheile der Lanze zu
finden, will es uns nicht gelingen, daher wir nun getrost zur An¬
führung und Besprechung ihrer Nachtheile schreiten können, die sich
in einer recht ansehnlichen Menge wie folgt einstellen:
1. Sie stört — wenn nur theilweise im Gebrauche — die Ein¬
heitlichkeit der Ausrüstung, Ausbildung und Verwendung der Reiterei.
2. Sie erhöht die Belastung des Pferdes und erschwert die
gleiche Gewichtsvertheilung. Die Deutschen machen jetzt Versuche, um
den Carabiner auf der linken Seite des Sattels fortzubringen; über¬
dies soll auch eine zusammenlegbare Lanze im Project sein.