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Leutnant Gust.
10 I nenenenennenensenenen .
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das trifft aber doch nur dann zu, wenn eine wirkliche Schuld vorliegt, wenn der
Betreffende selber seine Ehre befleckt hat. Der Defraudant, der Vaterlandsverräter,
der Meineidige haben dies gethan, sie sind in ihren eigenen Augen Verbrecher, gleich
viel, ob die Welt es weiß oder nicht. Der Fall des Lieutenants Gustl liegt aber
ganz anders. Seine Menschenehre bleibt unberührt, sie kommt gar nicht in Frage,
denn er hat sich nichts zu schulden kommen lassen; seine Standesehre ist aber voll¬
ständig gewahrt, wenn niemand den Makel sieht, den ein böser Zufall ihr zugefügt
hat. Nur ein Mann von hypertrophisch feinem, ja krankhaftem Ehrgefühl würde
ich an Lieutenant Gustls Stelle anders benommen, d. h. sich erschossen haben.
Jedenfalls hat niemand das Recht, diesen zu tadeln, daß er dies nicht gethan hat
und seinem jagendlichen Lebensdrange gefolgt ist.
Und trotz alledem soll dieser arme Lieutenant Gustl ein „herzloses, jämmer¬
liches Subjekt“ sein!? Da muß sich doch die Frage aufdrängen, ob es denn wirklich
der Ehrenkodex des Ofsiziersstandes verlangt, daß ein ihm Angehörender sich das
Leben nehme, wenn er — ohne eigene Schuld — das wehrlose Opfer eines brutalen
Angriffs wird. Angenommen z. B. ein Offizier würde nächtlicher Weile an einem
einsamen Orte von einer Schaar angetrunkener Burschen überfallen und trotz aller
Gegenwehr wörtlich und thätlich aufs schwerste insultirt. Soll sich der ganz
chuldlose Mann, weil ihm dieses Mißgeschick widerfahren ist,
töten müssen? Das wäre doch heilloser Wahnsinn, der jedes Fünkchens Vernunft
entbehrte. Ein Gesetz oder auch nur ein gesellschaftliches Herkommen, das einen solchen
Frevel erheischt, das nicht nur einem Unschuldigen das Todesurteil spricht, sondern
alle, die ihm nahestehen, ins Unglück stürzt, ein solches Gesetz oder Herkommen
kann es doch gar nicht geben! Und wenn es eines gäbe, dann wäre es dümmer
und schlimmer als die mittelalterlichen „Gottesurteile“ unseligen Angedenkens, und
die es in Ehren halten, lüden damit eine ungeheuere Schuld auf sich. Es ist ja
wahrlich schon thöricht und hart genug, wenn der arme Teufel, den ein ähnliches
Schicksal ohne seine Schuld ereilt hat, den Rock des Kaisers ablegen muß und da¬
durch in seiner Existenz bedroht, vielleicht vernichtet wird; zu verlangen, daß er auch
das Leben von sich werfe, das hieße denn doch nichts anderes als einen Mord be¬
gehen, sich auf das geistige und moralische Niveau der alten Moloch=Priester herab¬
drücken, die ihre Mitmenschen unbedenklich dem Götzen opferten, dem sie dienten. Daß
dieses unmenschliche Gesetz, wenn es überhaupt vorhanden sein sollte,*) keineswegs
immer zur Anwendung gekommen ist, dafür spricht ein Präzedenzfall, der eine
Als Feldzeugmeister Baron Haynau, der berüchtigte Alba Ungarns, im Jahre
1852 die Weltausstellung in London besuchte, wurde er vom Publikum, das seinen
Namen erfahren hatte, wörtlich und sogar thätlich grob insultirt. Es fiel ihm des¬
halb aber nicht ein, sich zu töten und auch niemand Anderer dürfte erwartet haben,
daß er dies thun müsse. Wenn aber eine so schwere Beschimpfung — er wurde mit
Straßenkot beworfen und an seinem langen Schnurrbart gezerrt — einen General,
dessen Namen, zumal damals, aller Welt geläufig war, nicht an seiner Ehre schädigen
und zum Selbstmord zwingen konnte: wie soll es dann die weit geringfügigere
Beleidigung, die dem unbekannten simpeln Lieutenant Gustl widerfahren ist?
Aus alldem geht wohl zur Genüge hervor, daß die Handlung der Novelle,
das Verhalten des Lieutenants Gustl, auch nicht den geringsten
Anlaß bietet, darin eine Verhöhnung und Beleidigung des Offiziersstandes
zu sehen.
Das Urtheil des Ehrenrats ruft daher den Anschein schweren Unrechts
hervor, um so mehr, als es unläugbar einen hemmenden Eingriff in die Freiheit
der Kunst darstellt.
*) Im Sinne der Ausführungen der „Reichswehr“ scheint es denn doch vorhanden zu sein.
(Die Schriftleitung.)
Leutnant Gust.
10 I nenenenennenensenenen .
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das trifft aber doch nur dann zu, wenn eine wirkliche Schuld vorliegt, wenn der
Betreffende selber seine Ehre befleckt hat. Der Defraudant, der Vaterlandsverräter,
der Meineidige haben dies gethan, sie sind in ihren eigenen Augen Verbrecher, gleich
viel, ob die Welt es weiß oder nicht. Der Fall des Lieutenants Gustl liegt aber
ganz anders. Seine Menschenehre bleibt unberührt, sie kommt gar nicht in Frage,
denn er hat sich nichts zu schulden kommen lassen; seine Standesehre ist aber voll¬
ständig gewahrt, wenn niemand den Makel sieht, den ein böser Zufall ihr zugefügt
hat. Nur ein Mann von hypertrophisch feinem, ja krankhaftem Ehrgefühl würde
ich an Lieutenant Gustls Stelle anders benommen, d. h. sich erschossen haben.
Jedenfalls hat niemand das Recht, diesen zu tadeln, daß er dies nicht gethan hat
und seinem jagendlichen Lebensdrange gefolgt ist.
Und trotz alledem soll dieser arme Lieutenant Gustl ein „herzloses, jämmer¬
liches Subjekt“ sein!? Da muß sich doch die Frage aufdrängen, ob es denn wirklich
der Ehrenkodex des Ofsiziersstandes verlangt, daß ein ihm Angehörender sich das
Leben nehme, wenn er — ohne eigene Schuld — das wehrlose Opfer eines brutalen
Angriffs wird. Angenommen z. B. ein Offizier würde nächtlicher Weile an einem
einsamen Orte von einer Schaar angetrunkener Burschen überfallen und trotz aller
Gegenwehr wörtlich und thätlich aufs schwerste insultirt. Soll sich der ganz
chuldlose Mann, weil ihm dieses Mißgeschick widerfahren ist,
töten müssen? Das wäre doch heilloser Wahnsinn, der jedes Fünkchens Vernunft
entbehrte. Ein Gesetz oder auch nur ein gesellschaftliches Herkommen, das einen solchen
Frevel erheischt, das nicht nur einem Unschuldigen das Todesurteil spricht, sondern
alle, die ihm nahestehen, ins Unglück stürzt, ein solches Gesetz oder Herkommen
kann es doch gar nicht geben! Und wenn es eines gäbe, dann wäre es dümmer
und schlimmer als die mittelalterlichen „Gottesurteile“ unseligen Angedenkens, und
die es in Ehren halten, lüden damit eine ungeheuere Schuld auf sich. Es ist ja
wahrlich schon thöricht und hart genug, wenn der arme Teufel, den ein ähnliches
Schicksal ohne seine Schuld ereilt hat, den Rock des Kaisers ablegen muß und da¬
durch in seiner Existenz bedroht, vielleicht vernichtet wird; zu verlangen, daß er auch
das Leben von sich werfe, das hieße denn doch nichts anderes als einen Mord be¬
gehen, sich auf das geistige und moralische Niveau der alten Moloch=Priester herab¬
drücken, die ihre Mitmenschen unbedenklich dem Götzen opferten, dem sie dienten. Daß
dieses unmenschliche Gesetz, wenn es überhaupt vorhanden sein sollte,*) keineswegs
immer zur Anwendung gekommen ist, dafür spricht ein Präzedenzfall, der eine
Als Feldzeugmeister Baron Haynau, der berüchtigte Alba Ungarns, im Jahre
1852 die Weltausstellung in London besuchte, wurde er vom Publikum, das seinen
Namen erfahren hatte, wörtlich und sogar thätlich grob insultirt. Es fiel ihm des¬
halb aber nicht ein, sich zu töten und auch niemand Anderer dürfte erwartet haben,
daß er dies thun müsse. Wenn aber eine so schwere Beschimpfung — er wurde mit
Straßenkot beworfen und an seinem langen Schnurrbart gezerrt — einen General,
dessen Namen, zumal damals, aller Welt geläufig war, nicht an seiner Ehre schädigen
und zum Selbstmord zwingen konnte: wie soll es dann die weit geringfügigere
Beleidigung, die dem unbekannten simpeln Lieutenant Gustl widerfahren ist?
Aus alldem geht wohl zur Genüge hervor, daß die Handlung der Novelle,
das Verhalten des Lieutenants Gustl, auch nicht den geringsten
Anlaß bietet, darin eine Verhöhnung und Beleidigung des Offiziersstandes
zu sehen.
Das Urtheil des Ehrenrats ruft daher den Anschein schweren Unrechts
hervor, um so mehr, als es unläugbar einen hemmenden Eingriff in die Freiheit
der Kunst darstellt.
*) Im Sinne der Ausführungen der „Reichswehr“ scheint es denn doch vorhanden zu sein.
(Die Schriftleitung.)