I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 88

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10. Leutnant Gustl
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verspotten, die das Reich gegen Kriege schützen soll, die nie kommen. Jemand,
dem ich diese schwer belastende Stelle vorhielt, erwiderte darauf, der Autor
habe nicht mit Absicht, sondern ganz zufällig gerade Chinesen angeführt,
weil eben zur Zeit, als er seine Novelle schrieb, sich die chinesischen Wirren ab¬
spielten. Da sei ihm das Wort sozusagen in die Feder gefloßen. Mag sein! dann
hat er jedenfalls recht gedankenlos drauf los geschrieben und einem österreichischen
In
Offizier einen Gedanken imputirt, den ein solcher nicht gehabt haben kann.
keinem Falle vermag diese harmlose Deutung der Stelle die andere gravirende
Deutung zu widerlegen, denn die liegt näher und niemand kann den, der sich an sie
hält, zwingen, sich der ersten anzuschließen; es sei denn, daß der Antor selber
feierlich die Erklärung abgegeben hätte, daß ihm jede armeefeindliche Tendenz fern
gelegen sei.
Das hat er aber nicht gethan. Er hat die Aufforderung, sich zu rechtfertigen,
die ihm vom Ehrenrat zugegangen war, vielmehr völlig ignorirt. Und darin, nicht
in der Novelle, dürfte der eigentliche Grund für das Urteil des Ehrenrats zu suchen sein.
Zur Not würde jene Stelle, die einzige, wo der Antor sterblich ist, ja aus¬
gereicht haben, darauf eine Anklage zu begründen; aber man dürfte kaum fehl gehen,
wenn man annimmt, daß sie mit seiner Verurteilung thatsächlich nichts zu thun ge¬
habt hat; die Annahme ist um so wahrscheinlicher, als sie in der mit dem Urteil
des Ehrenrats sympathisierenden Presse nirgends erwähnt, offenbar von ihm ganz
übersehen worden ist.
Dieses Uebersehen war aber ein bedauerlicher Fehler des Ehrenrats, denn
wenn er jene Stelle durch die ihm nahestehende Presse öffentlich angenagelt und als
das Substrat seines Verdikts bezeichnet hätte, so wäre der Vorwurf der Ungerechtigkeit
von Seiten der liberalen Presse im Voraus erstickt oder doch sehr erschwert worden.
Da er dies nicht that, gab er ihr den Anschein der Berechtigung für ihre Anklagen.
Aber nur so weit es die Novelle betraf; ganz anders liegen die Dinge,
was den Antor selber anbelangt. Da konnte von einem Unrecht keine Rede sein,
denn da lag dessen Schuld offen zu Tage. Der Ehrenrat hätte darum sehr wohl
daran gethan, wenn er in seinem Verdikt hierauf das Hauptgewicht gelegt, wenn
er durch die ihm nahestehende Presse dies in den Vordergrund gestellt hätte. Er
hat das zwar nicht gethan, aber dennoch kann nicht daran gezweifelt werden, daß
das entscheidende Moment bei seinem Urteil nicht die Novelle, sondern das Verhalten
des Autors gewesen ist. Daß er auf eine gehässige, wie es heißt in beleidigendem
Tone gehaltene Besprechung*) seines Buches nicht durch eine Forderung reagirt hat,
was ihm vom Ehrenrat zum Vorwurf gemacht worden ist, das darf ihm billiger
Weise nicht verübelt werden, und der diesbezügliche Teil der Begründung des ehren¬
rätlichen Urteils muß als ein arger Mißgriff bezeichnet werden, der nur aus der
völligen Unkenntnis der litterarischen Verhältnisse hervorgehen konnte. Wohin sollte es
denn führen, wenn ein Schriftsteller jeden beleidigenden Angriff von Seiten der
Kritik mit einer Forderung beantworten müßte? Bei der beispiellosen Verrohung
des öffentlichen Tones, der heutzutage Mode ist, bei der üblichen Sucht, persönlich
zu beleidigen und verdächtigen, hätte mancher Autor das zweifelhafte Vergnügen, sich
jede Woche mit einem andern Rezensenten zu schlagen und die Litteraturkritik sänke
damit auf das Niveau des Fechtbodens herab. In diesem Teil thut die Anklage
dem Verhalten Schnitzlers also sicher Unrecht. Dadurch jedoch, daß er die Auf¬
forderung, sich zu rechtfertigen einfach ignorirte, hat er sein eigenes Verdammungsurteil
gesprochen, denn er hat damit nicht nur seine Pflicht als Landwehrarzt grob verletzt;
als welcher er dem Ehrenrathe Rechenschaft schuldig ist, er hat damit das Offiziers¬
korps schwer beleidigt; und schlimmer als das; er hat damit der Vermutung, er
sei ein Gegner des Militärs, nur neue Nahrung gegeben; qui tacet, consentire
(Die Schriftleitung.)
*) In der „Reichswehr“.