I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 89

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10. Leutnant Gust
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videtur. Eine Rechtfertigung seinerseits war um so mehr und in seinem eigensten
Interesse geboten, als er schon durch sein Theaterstück „Freiwild“ vor einigen Jahren
in militärischen Kreisen Mißfallen und Unwillen erweckt hat. Unter solchen Umständen
kann es wahrlich nicht Wunder nehmen und darf er sich gewiß nicht beklagen, wenn
der Ehrenrat sein anmaßendes Ignoriren und vielsagendes Schweigen als eine
Bestätigung des Verdachtes angesehen und ihm den Säbel und Rock nahm, die er
so wenig respektirt hat.
Die Logik dieses Vorgehens ist sehr einfach: Wenn er schweigt, so ist es ihm
offenbar gleichgiltig, was das Offizierskorps von ihm denkt. Ist dies der Fall, dann
ist er zweifellos wirklich ein Gegner des Militärs, sonst müßte ihm sehr daran ge¬
legen sein, diesen Verdacht zu zerstören. Sein Verhalten ist übrigens unbegreiflich,
denn wenn er ein Gegner des Militärs ist, dann muß man es — gelinde gesagt
als sehr sonderbar bezeichnen, daß er den von ihm mißachteten Rock nicht längst
schon freiwillig abgelegt hat; es hat ihn doch nichts daran gehindert, denn
eine Militärzeit ist schon seit einer Reihe von Jahren abgelaufen;
daß er seine Charge dennoch beibehalten hat, ist sein freier Wille gewesen.*) Man
kann der „Reichswehr“ daher nicht Unrecht geben, wenn sie höhnend schreibt: „Warum
mußte er so viele Jahre lang Landwehr=Oberarzt in der Reserve bleiben, trotzdem
ihn kein Mensch dazu zwingen konnte? Weil sich der Federhut und der Offizierssäbel
mitunter doch ganz hübsch machen? Ja, dann ist eine Annehmlichkeit wohl auch
einer Rücksicht wert ... Der Schriftsteller Arthur Schnitzler gefiel sich außer¬
ordentlich mit Sturmhut und Schleppfäbel und der Oberarzt in der Evidenz der
Landwehr Dr. Arthur Schnitzler gefiel sich nicht minder gut im Rüstzeug des
liberalen Kämpen, der den Offiziersehrbegriff auf seine Stahlteder spießt. Und das
ist um eine Eitelkeit zu viel, um die Eitelkeit des Schleppfubels und Sturmhuts.
Die hat der Offiziers=Ehrenrat amputirt.“ So hat Schnitzler zum Schaden auch noch
den Spolt. Aber er hat es nicht anders gewollt; nun muß er sein Schicksal tragen;
es ist hart aber nicht unverdient. Mag sein, daß er und seine Parteigenossen ver¬
ächtlich sagen, das Urteil könne für ihn gleichgiltig sein; ich bezweifle doch, daß es
ihm gleichgiltig wird, wenn ihm jemand den Gruß versagt, seine Hand
nicht nimmt oder ihn sonstwie insultirt und dazu hat jeder das Recht, der sich an
das Urteil des Ehrenrats hält. Dieses Damoklesschwert hängt von nun an immer
über seinem Haupte ..
Ein Gutes aber könnte dieser böse Fall doch haben: vielleicht wird man in
der k. und k. Armee mit der Ernennung der Reserveoffiziere doch endlich vor¬
sichtiger! Es wäre die höchste Zeit. Der Fall Schnitzler lenkt die Aufmerksamkeit
abermals auf diesen dunkeln Punkt.
*) Hierin vermögen wir dem Herrn Verfasser nicht beizustimmen. Mehr als einmal geschieht
es, daß man die Offizierscharge, für die man nicht die mindeste Vorliebe hat (die etwa vorhandene Vorliebe
wird einem gelegentlich der Waffenübungen gründlich ausgetrieben), aus Trägheit (um sich die Schreibereien
zu ersparen) beibehält, ohne auch nur daran zu deuken. Was die „Reichswehr“ vom Federnhute und
Säbel sagt, verträgt wegen seiner Albernheit keine Entgegung. Wir wissen nicht, ob Schnitzler auf
„Schleppsäbel und Sturmhut“ eitel ist, können aber bei dem unläugbaren Geist, wie er aus seinen
Büchern spricht (oft ein Geist, der uns durchaus nicht gefällt, und den wir bekämpfen) unmöglich
glauben, daß er so — sagen wir: befangen sein könnte, an Dingen, gegen die er absichtliche Angriffe
richtet (woran nicht zu zweifeln ist), Gefallen zu finden und es als höchste Wonne ansehen sollte, mit
wallendem Federhute und schepperndem Säbel zu prunken.
(Die Schriftleitung.)