I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 134

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I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
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TELEPHON R-23-0-43
Neue Züricher

Mittwoch
21. Dezember 1932
Blatt 6
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wird der kleine Leutnant zum Träger eines Ge= Schriftsteller unserer Tage“ genannt. Der „Ra¬
Deutsches und österreichisches
detzkymarsch“ erweist das in lauterer Schönheit.
fühls, das keinem Senüblen fremd bleibt,einer
Was gilt daneben die Erwägung, ob die
Meläncholie, die weltweit und zeitlos ist.
Schicksal
Problemtiese andern gegenwartsnähern Werken
# Joseph Roth gibt der Gestalt dieses Carl Jo¬
„Radetzkymarsch“ von Joseph Roth (Kiepen¬
die Waage halte, ob unser Interesse für die Unter¬
seph von Trotta eine schlechthin unnachahmliche
heuer Verlag, Berlin).
noch wach
zu
gangsstimmung Alt=Oesterr sichs
Prägung. Man wird hier und dort vergleichend
werden vermöge? Man läßt sich so bereitwillig ge¬
Wie soll man es nur beginnen, wenn man
an den unvergessenen Ferdinand aus Werfels
fangen nehmen von der milden, morbiden Traum¬
sagen möchte, welch tiefe Beglückung man von
„Barbara“ denken vielleicht auch an die genieße¬
süßigkeit, die dieses herrliche Buch umweht und
einem Buche empfing, wie sehr man es, über
rischen und mutlos verzagenden Leutnants im
steht zu innerst berührt vor diesen Gestalten,
jedes intellektuelle Räsonnement hinweg, von
Werke Schnitzlers. Aber Werfels Roman ist viel
denen Haltung mehr ist als Heldentum. Und man
innen heraus lieb gewonnen hats Man kann
dämonischer, problenischwerer, aufgewühlter, als
ist erfüllt von der glücklichen Gewißheit, einem
schließlich ja doch nur eines tun, aus wärmster
der stille, traum=umwobene „Radetzkymarsch“, und
Dichter das seltene Erlebnis echter Ergriffenheit
Ueberzeugung den Rat geben: Lest ihn selber,
Schnitzlers Menschen sind aller schließlichen Resig¬
danken zu müssen.
diesen neuen Roman von Joseph Roth! Laßt
nation zum Trotz doch leidenschaftlicher, leichtlebi¬
Wulter Boesch.
euch einspinnen von seinem unnengbaren Zauber
ger, lauter als die wortschenen von Trottas, die
ihre Sehnsucht und ihre lenksame Weichheit hinter
und gesteht dann, ob ihr nicht irgendwie ergiissen
einem spröden savoir vivre errötend verbergen.
spürt, daß ein Dichter im seltenen Sinne ihn ge¬
schrieben hat.
Ueberhaupt, mit wie viel Feinheit meistert Roth
das Schwierigste: anzudeuten, ahnen zu lassen. in
Die strammen Rhythmen des Radetzkymarsches
einer schüchternen Geste Abgründe von Verwir¬
wollen eigentlich nur schlecht als Leitmotiv für
rung und Trauer spürbar zu machen. Wie lange
dieses so sordinierte Buch passen. Aber sie sind ja
ist es her, seit ein Dichter so subtile Worte für die
auch bloß als Symbol meint, als kennzeichnen¬
rührende Liebe zwischen Vater und Sohn gefun¬
der Klang für alles, was „altes Oesterreich“ be¬
den hat? Bei allem, was die beiden sich sagen
deutet, für die Aera seines vorletzten Kaisers, für
so viel ungelenker, verschämter sagen, als sie gerne
die mühsame äußere Haltung und das mähliche
möchten — weiß man: ja, das gibt es, das spielt
Müdewerden einer versinkenden Welt. Denn wer
noch immer rings um uns. Aber wer hätte die
nur ein wenig sinnenscharf hinhört, wird aus
zartnervige Hand besessen, dies so verhalten schön
ihnen bald die melancholischen, moll=dunkeln
zu formen? Oder wer vermöchte mit so kargen
Akkorde des innern Versagens, des kaum einge¬
Mitteln den Schmerz eines Knaben beim unbe¬
standenen Ueberdrusses, des leisen Hinsterbens
greiflich brüsken Tod der ersten Geliebten in sei¬
vernehmen, die nur da und dort durchspielt werden
ner vollen Ausweglosigkeit zu fassen? Es ist nicht
von den hellern Tönen einer letzten lässigen Lust
erstaunlich, daß ein Kritiker Joseph Roth einen
am Leben.
der untheatralischsten, keuschesten, saubersten
Joseph Roth gibt den Roman des Vorkriegs¬
Oesterreich, mit allem Liebenswerten und allem
Fragwürdigen der mörschen Monarchie, aufge¬
zeigt an ihren typischsten Milieus, dem der tra¬
ditionstreuen Beamten und der in Langeweilt
verkommenden Offiziere. Welche Kunst, am schein¬
bar Nebensächlichen alle Verfallssymptome des
Großen und Weltwichtigen schreckhaft deutlich zu
machen! Da kommt ein recht enkender, dem Kaiser
überlegungslos ergebener Bezirkshauptmann
in
eine an der äußersten Nordostgrenzes gelegene Gar¬
nisonsstadt; die das Reich übergoldende Sonne
Gewiß, die Dinge, um welche es in diesem
von Schönbrunn dringt nur noch in dürftigsten
Roanan geht, sind unserm Gegenwartsempfinden
Strahlenfetzchen hierher, die dünne „staatserhal¬
schon unendlich entrückt. Sie sind aus so anderer
tende" Oberschicht einer hu „Prachig zusammen¬
Ebene erwachsen als die bangen Fragen, die
gewürfelten Bevölkerung in allen Zersetzungs¬
unfer Denken Tag um Tag dräuend belasten. Wen
gefahren bedenklich ausgesetzt. Erschütternd nun,
berührt e“ heute noch tragisch, daß eine Welt, die
wie der alte Hauptmann aus den zweiflerisch¬
ihr Daseinsrecht tändelnd vertat, in tausend
resignierten Gesprächen dieser von Alkohol, wilder
Trümmer ging? Und es gabe auch Dringlicheres,
Wien=Sehnsucht und bitterer Skepsis angekränkel¬
als sich mit den Geschicken des harmlosen, nicht
ten Gesellschaft schlaglichtgleich erkennt: Wir alle
sehr mutigen „Helden“ des. Leutnants von Trotta
leben ja in Wirklichkeit gar nicht mehr. Das alles,
ober ist gar nicht er der Held, soldern der selt¬
die Armee, die Beämten, das Kaisertum, das ist
sam glorifizierte Großvater, der wacker Vater, die
nur noch Staffage. Darunter lebt und drängt
dem jungen Carl Joseph so wenig Blut und
schon längst etwas unverständlich Neues, mnit
— aufmerksan zu befassen. Die
Frische ließen?
einem neuen Willen, einem neuen Gott. Oder er¬
erscheinen uns an sich wohl kaum mehr sehr er¬
schütternd auch, wie Franz Joseph auf einmal sein
regend. Aber dieser wohlerzogene junge Mann
hohes Alter angstvoll ermißt, als man ihm be¬
(das gehorsame „Jawohl, Papa“ der Knabenzeit
deutet, der junge Leutnani von Trotta sei der
stempelt ihn für sein Leben) wird zum Typus,
Enkel und nicht, wie er angenommen hatte, der
wenn man ihn aus der engen österreichischen Um¬

Sohn seines einstigen Lebensretters, des „Herden
welt löst; diese ist nur der, übrigens, denkhar ge¬
von Solferino“= Er erschrickt; daß alles so rasch
eignete und mit vertrautestem Wissen gefügte
zerrinnen konntel Daß man schon so überlebt und
Rahmen für den müden unheldischen, dem
verbraucht ist! „Der Kaiser trat einen Schritt zu¬
Leben erliegenden Dekadent, wie er sich ohne
rück, wie weggedrängt von der gewaltigen Zeit,
wesentliche Veränderung überallhin in euro¬
die sich plötzlich zwischen ihm und dem Jungen
päisches Erdreich verpflanzen ließe. So gesehen
aufetürmthatte