10. Leutnant Gust
box 1/9
— —
n
ängstlichsten Hoftheater können nicht verhüten, daß die
Gestalten böswilliger Minister und sogar schlechter Fürsten
auf die Bühne kommen, und was sollte aus der
dramatischen Literatur werden, wenn durch Verallgemeine¬
rung der Schluß gezogen würde, der Fürstenstand sei ver¬
letzt worden. Lientenant Gustl ist nicht der Prägstock des
österreichischen Ofsiciers, ja er ist überhaupt nur deßhalb
Officier, weil das Problem verlangt, daß in eine leichtsinnige
Existenz die beleidigte Ehre mit der ganzen Wucht wie ein
6Blitzstrahl einschlägt. Der Officier ist seit dem Major
v. Tellheim und noch früher bis zum heutigen Tage un¬
ausgesetzt der Gegenstand des Romans, der Novelle, des
Schauspiels, jeder Art der Dichtung gewesen. Auch der gut¬
4 müthige Humor und die ätzende Satire haben die Figur des
Lieutenants benützt, und Niemandem ist es eingefallen, aus dem
Urtheil über die Einzelnen und aus der Verwerthung tragischer
Conflicte, die im militärischen Wesen liegen, und selbst aus der
künstlerischen Benützung der Schwächen so weitgehende Folgen
abzuleiten. In Oesterreich ist noch weniger Anlaß zur Em¬
pfindlichkeit, weil unser Officierscorps durch Pflichteifer
Bescheidenheit und liebenswürdige Umgangsformen
wärmste Sympathie genießt und der literarischen Kritik
keine neuen Schranken aufzulegen braucht.
Der Ehrenrath war zweifellos bemüht, einen mili¬
tärischen Standpunkt einzunehmen, aber das Ergebniß
ist
doch eine literarische Censur. u den Gründen des Urtheils
gehört die Ansicht des Ehrenrathes, daß der Officiersstand
durch Inhalt und Fassung einer Novelle verletzt sei.
Daraus entspringen höchst wichtige Consequenzen in einem
Lande der allgemeinen Wehrpflicht, wo ein großer Theil
der Schriftsteller im Alter der stärksten schöpferischen Kraft
die Charge von Officieren hat. Die künstlerische Freiheit
wird damit aufgehoben, denn die Grenzen für die Be¬
schlüsse des Ehrenrathes sind nicht leicht zu bestimmen,
weil sie auf sämmtliche Handlungen und die ganze Per¬
sönlichkeit des Officiers sich erstrecken können. Gibt es dal
eine Bürgschaft, daß politische und sociale Meinungen, die
vom Bestehenden abweichen oder sich gegen die geltenden
Einrichtungen wenden, nicht ebenfalls vor diesen Richter¬
stuhl gebracht und dem Begriffe der militärischen Ehre
untergeordnet werden? Viele hundert Männer verlieren
plötzlich die geistige Selbstständigkeit und literarische
nabhängigkeit, die ihnen das Strafgesetz und diee
drematische Censur noch gelassen haben. Ja, selbsti
die
parlamentarische Immunität bietet keinen Schutzf
gegen einen Ehrenrath, welcher auch Reden und Schriften
von Abgeordneten, die Officire sind, seinem Spruche unter¬
werfen kann, denn es handelt sich nicht um eine rechtliche
Verantwortung, sondern um die moralische Ueberzeugung,
von der Würde bei militärischen Standesgerichten. Das
Urtheil des Ehrenrathes wirft eine große politische Frage auft
zu welcher die Novelle „Lieutenant Gustl“ keinen zureichendenn
Anlaß bot. Was der Reserve=Officier in seiner rein
künstlerischen Thätigkeit darf und nicht darf, ist ganz in
Zweifel gezogen und wird von einer bisher unbekannten
militärischen Prüfung, einer neuen Censur bestimmt. Das
is
eine Gefahr für die geistige Entwicklung in Oesterreich, und
für die Offteiere selbst, die bisher nie den Wunsch zeigten,
sich von der Kritik abzusperren und den höchst unvolks¬
thümlichen Beruf einer literarischen Behörde zu übernehmen.
Die österreichische Armee ist das festeste Bollwerk der
Einheit, die unzerbrechliche Klammer für das Reich. De߬
halb sollte sie nicht einmal den Schein auf sich laden, daß
sie mit der Freiheit des persönlichen Rechtes und des
ünstlerischen Schaffens in Widerspruch gerathe.
Vertretungen in Berlin, Chicago, Gent. 1
Ausschnitt aus:
TITr 1401
vol
Tagesbericht.
Dr. Arthur Schnitzler — der Offiziers¬
charge verlustig erklärt!
Ein militärischer Ehrenrath hat den
Dichter Artbur Schnitzler der Regimentsarzt¬
Charge für verlustig erklärt.
Den Anlaß zu diesem Schritt bot eine psychologische
Novelle „Lieutenant Gustl“ die Schnitzler
in der Weihnachtsbeilage der „Neuen Freien Presse“ ver¬
öffentlichte. Ferner soll es Schnitzler verübelt worden
sein, daß er auf eine in persönlich gehässigem Tone ge¬
Für
haltene Kritik des „Lientenant Gustl“, welche in einem
100
#elusive
hiesigen Militärblatte erschien, nicht reagirt hat.
Porto.
200
hlbar
„
„ 1000
Voraus
Bücher haben ihre Schicksale! Aber dieses Schicksal
Im
hätte man dem „Lientenant Gustl“ und seinem Auton
ist das
Abonnemen
esden
nicht zu prophezeien gewagt. Als die feine, mit intimer
Abonnenten
Scelenkunst, voll Geist und Schärfe geschriebene Novelle
erschien, bildete sie für lange Zeit den Gesprächsstoff des
tend die
literarischen Wien. Man bewunderte Schnitzler, wie er
Inhaltsang
tief und mit einem gewissen graziösen Realismus die Ge=orgen¬
blätter
Zeitung
wodlurch ein
beimnisse einer Lieutenantsfeele vor dem Leser ausbreitete
eLeben
des In- un
Einer, nicht der Lieutenanisseele. Den „Lientenant
eilungen
werden in
Gustl“ zu verallgemeinern, ihn zum Typus des öster¬
reichischen Subalternoffiziers zu ktempeln, fiel Niemandem
ein. Sintemalen der junge Herr, von dessen Seelenzuständen
und absonderlichen Abenteuern uns Schnitzler erzählte,
mit kleinen äußerlichen Variationen auch als Reserve¬
offizier, Hofbeamter, Arzt, Jurist, Bankbeamter, Schrift¬
steller hätte sein können. Und so muthet es mehr als
fremdartig an, wenn das Offizierskorps eines Regiments
Schnitzler wegen dieser Novelle aus seinem Verbande
* „
stößt
Die Geschichte dieses Lieutenant Gustl ist bald er¬
zählt. Er bekommt von einem Freund eine Konzert¬
freikate. Im großen Musikvereinssaal gibt er sich redliche
Mühe, die aufgeführte Messe schön zu finden. Vergebens!
Er langweilt sich. Während er so hinmeditirt über das,
was er sieht und anhören soll, offenbart er eine ganz er¬
staunliche Flachheit und Oberflächlichkeit des Denkens und
Meinens. Nun ist aber Oberflächlichkeit, jene aristokratisch¬
schnodderige Oberflächlichkeit, welche nur von Bummel,
Ball, Souper und Weibern wissen will, doch kein Privileg
der Armee. Den — sit venia verbo! — Gedankengang,
welchen uns Schnitzler als den des Lientenants Gustl
mit so viel liebenswürdigem Humor vorführt, hätte —
wie gesagt — ein Ministerialbeamter ebenso gut denkent
können i#le der Majoratsherr eines gräflichen Hauses, ein
Habitué des Opernballets oder der Erbprinz eines Börsen¬
komptoirs. Diese Gedanken sind aber das Einzige,
was sich am Lieutenaut Gusil verallgemeinern ließe.
Nur ihretwegen kann der Ehrenrath seinen Spruch gefällt
haben. Denn was dem Lientenant Gustl später passirt, ist
ein ganz persönliches Schicksal, etwas absolut Singuläres,
das eine Generalisirung unbedingt ausschließt. Weil
Schnitzler den Lieutenant Gustl mit harmloser Gedanken¬
losigkeit oder mit gedankenloser Harmlosigkeit meditiren
läßt, soll er die Armee beleidigt haben?! — Es ist
nicht auszudenken. Dem Zivilmenschen will solche Logik
nicht in den Kopf. Und wenn der Lieutenant Gustl schon
als ein Lieutenantstypus angesehen werden soll — daß er
den Lieutenantstypus bedeutet, wird wohl selbst
der Ehrenrath nicht zu behaupten gewagt haben
ist es denn ein Dogma, daß der Lieutenant
unbedingt und unter allen Umständen ein Ausbund
sittlichen Ernstes, geistiger Vorzüge und tiefen Wissens
sein muß? Ist der Lieutenant unfehlbar?
Und — sagen wir es ehrlich — darf denn ein Lieutenant
von zwanzig Jahren, mit seiner frischgebackenen Offiziers¬
glorie nicht ein bischen kindisch, ein wenig outrirt schneidig
und gedankenlos sein? Macht der goldene Stern aus dem
zwanzigjährigen Springinsfeld denn einen Solon? Leidet
das Ansehen der Armee darunter, wenn man weiß und
sagt, daß ihre jungen Herren — jung sind? Muß das
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ängstlichsten Hoftheater können nicht verhüten, daß die
Gestalten böswilliger Minister und sogar schlechter Fürsten
auf die Bühne kommen, und was sollte aus der
dramatischen Literatur werden, wenn durch Verallgemeine¬
rung der Schluß gezogen würde, der Fürstenstand sei ver¬
letzt worden. Lientenant Gustl ist nicht der Prägstock des
österreichischen Ofsiciers, ja er ist überhaupt nur deßhalb
Officier, weil das Problem verlangt, daß in eine leichtsinnige
Existenz die beleidigte Ehre mit der ganzen Wucht wie ein
6Blitzstrahl einschlägt. Der Officier ist seit dem Major
v. Tellheim und noch früher bis zum heutigen Tage un¬
ausgesetzt der Gegenstand des Romans, der Novelle, des
Schauspiels, jeder Art der Dichtung gewesen. Auch der gut¬
4 müthige Humor und die ätzende Satire haben die Figur des
Lieutenants benützt, und Niemandem ist es eingefallen, aus dem
Urtheil über die Einzelnen und aus der Verwerthung tragischer
Conflicte, die im militärischen Wesen liegen, und selbst aus der
künstlerischen Benützung der Schwächen so weitgehende Folgen
abzuleiten. In Oesterreich ist noch weniger Anlaß zur Em¬
pfindlichkeit, weil unser Officierscorps durch Pflichteifer
Bescheidenheit und liebenswürdige Umgangsformen
wärmste Sympathie genießt und der literarischen Kritik
keine neuen Schranken aufzulegen braucht.
Der Ehrenrath war zweifellos bemüht, einen mili¬
tärischen Standpunkt einzunehmen, aber das Ergebniß
ist
doch eine literarische Censur. u den Gründen des Urtheils
gehört die Ansicht des Ehrenrathes, daß der Officiersstand
durch Inhalt und Fassung einer Novelle verletzt sei.
Daraus entspringen höchst wichtige Consequenzen in einem
Lande der allgemeinen Wehrpflicht, wo ein großer Theil
der Schriftsteller im Alter der stärksten schöpferischen Kraft
die Charge von Officieren hat. Die künstlerische Freiheit
wird damit aufgehoben, denn die Grenzen für die Be¬
schlüsse des Ehrenrathes sind nicht leicht zu bestimmen,
weil sie auf sämmtliche Handlungen und die ganze Per¬
sönlichkeit des Officiers sich erstrecken können. Gibt es dal
eine Bürgschaft, daß politische und sociale Meinungen, die
vom Bestehenden abweichen oder sich gegen die geltenden
Einrichtungen wenden, nicht ebenfalls vor diesen Richter¬
stuhl gebracht und dem Begriffe der militärischen Ehre
untergeordnet werden? Viele hundert Männer verlieren
plötzlich die geistige Selbstständigkeit und literarische
nabhängigkeit, die ihnen das Strafgesetz und diee
drematische Censur noch gelassen haben. Ja, selbsti
die
parlamentarische Immunität bietet keinen Schutzf
gegen einen Ehrenrath, welcher auch Reden und Schriften
von Abgeordneten, die Officire sind, seinem Spruche unter¬
werfen kann, denn es handelt sich nicht um eine rechtliche
Verantwortung, sondern um die moralische Ueberzeugung,
von der Würde bei militärischen Standesgerichten. Das
Urtheil des Ehrenrathes wirft eine große politische Frage auft
zu welcher die Novelle „Lieutenant Gustl“ keinen zureichendenn
Anlaß bot. Was der Reserve=Officier in seiner rein
künstlerischen Thätigkeit darf und nicht darf, ist ganz in
Zweifel gezogen und wird von einer bisher unbekannten
militärischen Prüfung, einer neuen Censur bestimmt. Das
is
eine Gefahr für die geistige Entwicklung in Oesterreich, und
für die Offteiere selbst, die bisher nie den Wunsch zeigten,
sich von der Kritik abzusperren und den höchst unvolks¬
thümlichen Beruf einer literarischen Behörde zu übernehmen.
Die österreichische Armee ist das festeste Bollwerk der
Einheit, die unzerbrechliche Klammer für das Reich. De߬
halb sollte sie nicht einmal den Schein auf sich laden, daß
sie mit der Freiheit des persönlichen Rechtes und des
ünstlerischen Schaffens in Widerspruch gerathe.
Vertretungen in Berlin, Chicago, Gent. 1
Ausschnitt aus:
TITr 1401
vol
Tagesbericht.
Dr. Arthur Schnitzler — der Offiziers¬
charge verlustig erklärt!
Ein militärischer Ehrenrath hat den
Dichter Artbur Schnitzler der Regimentsarzt¬
Charge für verlustig erklärt.
Den Anlaß zu diesem Schritt bot eine psychologische
Novelle „Lieutenant Gustl“ die Schnitzler
in der Weihnachtsbeilage der „Neuen Freien Presse“ ver¬
öffentlichte. Ferner soll es Schnitzler verübelt worden
sein, daß er auf eine in persönlich gehässigem Tone ge¬
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haltene Kritik des „Lientenant Gustl“, welche in einem
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Bücher haben ihre Schicksale! Aber dieses Schicksal
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hätte man dem „Lientenant Gustl“ und seinem Auton
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nicht zu prophezeien gewagt. Als die feine, mit intimer
Abonnenten
Scelenkunst, voll Geist und Schärfe geschriebene Novelle
erschien, bildete sie für lange Zeit den Gesprächsstoff des
tend die
literarischen Wien. Man bewunderte Schnitzler, wie er
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tief und mit einem gewissen graziösen Realismus die Ge=orgen¬
blätter
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beimnisse einer Lieutenantsfeele vor dem Leser ausbreitete
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des In- un
Einer, nicht der Lieutenanisseele. Den „Lientenant
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werden in
Gustl“ zu verallgemeinern, ihn zum Typus des öster¬
reichischen Subalternoffiziers zu ktempeln, fiel Niemandem
ein. Sintemalen der junge Herr, von dessen Seelenzuständen
und absonderlichen Abenteuern uns Schnitzler erzählte,
mit kleinen äußerlichen Variationen auch als Reserve¬
offizier, Hofbeamter, Arzt, Jurist, Bankbeamter, Schrift¬
steller hätte sein können. Und so muthet es mehr als
fremdartig an, wenn das Offizierskorps eines Regiments
Schnitzler wegen dieser Novelle aus seinem Verbande
* „
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Die Geschichte dieses Lieutenant Gustl ist bald er¬
zählt. Er bekommt von einem Freund eine Konzert¬
freikate. Im großen Musikvereinssaal gibt er sich redliche
Mühe, die aufgeführte Messe schön zu finden. Vergebens!
Er langweilt sich. Während er so hinmeditirt über das,
was er sieht und anhören soll, offenbart er eine ganz er¬
staunliche Flachheit und Oberflächlichkeit des Denkens und
Meinens. Nun ist aber Oberflächlichkeit, jene aristokratisch¬
schnodderige Oberflächlichkeit, welche nur von Bummel,
Ball, Souper und Weibern wissen will, doch kein Privileg
der Armee. Den — sit venia verbo! — Gedankengang,
welchen uns Schnitzler als den des Lientenants Gustl
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wie gesagt — ein Ministerialbeamter ebenso gut denkent
können i#le der Majoratsherr eines gräflichen Hauses, ein
Habitué des Opernballets oder der Erbprinz eines Börsen¬
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was sich am Lieutenaut Gusil verallgemeinern ließe.
Nur ihretwegen kann der Ehrenrath seinen Spruch gefällt
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ein ganz persönliches Schicksal, etwas absolut Singuläres,
das eine Generalisirung unbedingt ausschließt. Weil
Schnitzler den Lieutenant Gustl mit harmloser Gedanken¬
losigkeit oder mit gedankenloser Harmlosigkeit meditiren
läßt, soll er die Armee beleidigt haben?! — Es ist
nicht auszudenken. Dem Zivilmenschen will solche Logik
nicht in den Kopf. Und wenn der Lieutenant Gustl schon
als ein Lieutenantstypus angesehen werden soll — daß er
den Lieutenantstypus bedeutet, wird wohl selbst
der Ehrenrath nicht zu behaupten gewagt haben
ist es denn ein Dogma, daß der Lieutenant
unbedingt und unter allen Umständen ein Ausbund
sittlichen Ernstes, geistiger Vorzüge und tiefen Wissens
sein muß? Ist der Lieutenant unfehlbar?
Und — sagen wir es ehrlich — darf denn ein Lieutenant
von zwanzig Jahren, mit seiner frischgebackenen Offiziers¬
glorie nicht ein bischen kindisch, ein wenig outrirt schneidig
und gedankenlos sein? Macht der goldene Stern aus dem
zwanzigjährigen Springinsfeld denn einen Solon? Leidet
das Ansehen der Armee darunter, wenn man weiß und
sagt, daß ihre jungen Herren — jung sind? Muß das